Meine Höhle, meine Hütte, mein Haus

Bild von Dieter J Baumgart
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Über die Eigenthümlichkeiten von Eigenthümern…

Es war einmal ein 1500-Seelen-Dorf, gelegen an einer Wegverzweigung und umgeben von Wiesen und Bäumen.
Auf der anderen Seite dieser Wegverzweigung hatten nun auch ehemalige Dorfbewohner eigene Anwesen – drei an der Zahl – errichtet, weil ihnen das dichte Beieinander und die Rücksichtnahme auf anderer Leute Gewohnheiten nicht so recht behagte.
Es war zu einer Zeit, da die Menschen ihre Pferde nicht mehr weit entfernt in Flur und Feldern grasen ließen, sondern draußen vor der Tür. Und ein Jeder hatte mehr oder weniger viel Pferde, Rassetiere oder Ackergäule, wie es der gesellschaftliche Status oder die beruflichen Anforderungen so verlangten. Wer aber keines oder aber nur einen Drahtesel sein eigen nannte, der war ein gar armer Tropf.
Auch fraßen die Pferde nicht wie in früheren Zeiten leckeren Hafer und hin und wieder eine Mohrrübe. Nein, sie soffen Benzin oder Diesel und ein wenig Öl. Und so sie krank waren, mehr Öl und auch Wasser, das sie dann außerhalb ihres Wirkungsbereiches im Überflusse verdampften.
In der Nähe dieses Dorfes und der kleinen Anwesen fand sich auch ein großes Nest, bewohnt von gewaltigen Blechfliegen, die da Tag und Nacht gar mächtig brummten und summten, und häufig war die Luft voll des Getöses, und die Blätter der Bäume wurden schwarz, weil die Fliegen infolge längerer Wartezeiten vor dem Nest den Harn nicht halten konnten; und die Bäume selbst grämten sich.

Nun trug es sich aber zu, daß just eines Tages drei recht unansehnliche Gesellen an der Wegverzweigung angesiedelt wurden. Wobei erschwerend hinzu kam, daß sie nicht nur in Sichtweite der schmucken Anwesen ihr Quartier aufgeschlagen hatten, nein, hin und wieder schlugen auch Gesprächsfetzen an die empfindlichen Ohren der Eigenheimer, wenn die Gesellen miteinander plauderten, was man ihnen schließlich nicht verwehren konnte.
Das Schlimmste jedoch war der Anblick, der sich den drei Familien bereits von ihren Terrassen her bot: Es waren großbauchige Gefäße, weder schön von Gestalt und schnittig und glänzend, wie die Ställe der mehr oder minder großen Pferdeherden, noch dienten sie wie die Blechfliegen vornehmlich den Managern – das waren auch Menschen, aber andere – auf dem Wege zu wichtigen Orten, wo sie ebenso wichtige Dinge zu entscheiden hatten.
Der einzige Sinn und Nutzen der drei Großbäuche lag darin, einen Teil des von allen Bewohnern erzeugten Abfalls, so er aus Glasflaschen oder Papier bestand, aufzunehmen und vielseitiger Weiterverwendung zuzuführen.
Das war gewißlich kein großer Nutzen, verglichen mit ihrem abstoßenden Äußeren und dem Lärm, den sie sogar gelegentlich zu nachtschlafender Zeit rücksichtslos erzeugten, meinten die Einzelhäuslinge.
Gewiß, die Blechfliegen waren erheblich lauter und auch die Pferde, wenn sie freudig wieherten, so ihnen die jeweiligen Halter in die Pedalerie traten. Aber das war ja auch etwas anderes.

Die solchermaßen belästigten Bürger jedenfalls reagierten bestürzt ob der Unansehnlichkeit, die sich eingangs ihrer Objekte ausbreitete und gewiß auch den Wert derselben minderte. Sie berieten sich und sannen auf Abhilfe. Denn schließlich, wenn sie das geahnt hätten, dann wären sie doch im Dorfverband geblieben und hätten etliches gespart.
Flugs wandten sie sich Hilfe erheischend und im Bewußtsein ihres besonderen Status an den zuständigen Gemeindefachrat für Abfallwirtschaft in der Hoffnung, das Ohr des Beamten zu gewinnen. Erheischten sie doch Änderung und Verbesserung der obwaltenden Zustände, die sie fürwahr als unerträglich und dem Ansehen ihrer Anwesen abträglich schilderten.

Der Fachbeamte wiederum hatte für den so inniglich vorgetragenen Wunsch ein offenes Ohr, blickte über seinen grünen Tisch, erkannte gleichfalls, wenn auch aus gehöriger Entfernung, die schrecklichen Zustände an der Wegverzweigung und verfügte sogleich eine Änderung, die unverzüglich vorzunehmen sei. Wobei ihn die Tatsache beflügelte, daß diese Änderung den strapazierten Gemeindesäckel mit ganzen 23 Pfennig für den fernmündlichen Boten belastete, der die Weisung dem Hüter der drei unerwünschten Gesellen überbrachte.
Und so wurden die Unruhestifter in Windeseile an einen Ort verbracht, wo sich gewöhnlich Fuchs und Has’ Gute Nacht sagen.
Der Bereichsbeamte und die Bewohner der kleinen Anwesen links der Wegabzweigung waren es zufrieden. Hatte doch der Hader ein gutes Ende, und auch bei den bevorstehenden Gemeindewahlen konnten ein paar sichere Stimmen für den geschätzten Chef nur von Vorteil sein.

Die Sache war wohl ausgestanden, und daß Fuchs und Has’ sich je über Unansehnliches und Geräusch mokiert hätten, ward wohl noch an keines zuständigen Menschen Ohr gelangt.

Der Weg für jene, die Glas und Papier nicht gemengt mit allem anderen Unrat auf die Müllkippen schicken wollten, verlängerte sich nun um etliche Meter. Und besonders Alte und Gebrechliche und Mütter großer Familien hatten das Nachsehen, insonderheit so ihre Wohnwabe schon vom ursprünglichen Standort der drei Dickbäuche einiges entfernt war. Für sie verdoppelte sich der Weg auf mehr als einen halben Kilometer. Und es ist bekanntlich ein Unterschied, ob diese Strecke mit Gepäck, zu Fuß oder zu Pferde bewältigt wird.
Gewiß, auch die Bewohner der kleinen, offenbar unter behördlichem Schutz stehenden Anwesen hatten es nun ein wenig weiter. Doch nahmen sie dies angesichts der verbesserten Ansehnlichkeit ihrer Wohnstätten gern in Kauf und gaben den entfernter Wohnenden zu bedenken, daß sie ja schließlich Glas und Papier erst willig ins Haus getragen hatten. Also sollte es doch ein Leichtes sein, diese Verpackungsmaterialien wieder dorthin zu verbringen, wo sie sie gefüllt erworben hätten.
Ein wohlfeiler Rat, der jedoch bei näherer Betrachtung seine Tücken offenbarte.

Und so trug es sich im Folgenden zu, daß der fernmündliche Bote des Öfteren im Rathaus anklopfte und Botschaften aus dem 1500-Seelen-Dorf überbrachte: Einige Dörfler mochten nicht einsehen, daß die Wünsche Weniger zu Lasten der großen Mehrheit durchgesetzt werden sollten.
Der Abfallbevollmächtigte war da – sicher zu Recht – anderer Ansicht. So erläuterte er väterlich, daß eine einmal getroffene Anordnung, insonderheit wenn sie vom Ordnungsamt formuliert wurde, nicht einfach, nur weil ein paar hundert Leute meinten, dagegen sein zu müssen, widerrufen werden könne. Das wäre dem Ansehen und der Durchsetzung der Öffentlichen Ordnung abträglich und müsse ja den Bürger verunsichern, was wiederum ein obstruktives Verhalten besonders jüngerer Gemeindeglieder fördern könne.
So beschied er dann auch die Änderungswünsche negativ und ging davon aus, daß die Dörfler sich wieder beruhigen und ein Einsehen zeigen würden.

Doch jene verunsicherten weiter und wandten sich schließlich an ihre beiden Heimatzeitungen, die da bekanntlich besonders in kommunaler Hinsicht die Vielfalt der Meinungen und Ansichten nachhaltig und öffentlich zur Diskussion stellen.
Sorgsam wurden die Ansichten der Streitenden und der Fachbehörde durchleuchtet und veröffentlicht.
Und tatsächlich: Eines Tages und in aller Stille wanderten die drei Dickbäuche ganz in die Nähe ihres alten Standortes zurück.
So geschehen im Jahre des Heils Eintausendneunhunderteinundneunzig. Die Gemeindeordnung hat keinen Schaden genommen, die drei Gesellen reden etwas leiser miteinander, die ehemaligen Dorfbewohner haben den Zaun um ihre Gärten ein wenig erhöht, und alle sind es zufrieden.
Und wenn sie, die drei Unansehnlichen, nicht gestorben sind, dann stehen sie noch heute da…

Kommentare

23. Mär 2017

...und stehen, stehen, stehen !
Ein langer Text und so wichtig.
Sollten viele lesen.
Danke lieber Dieter.
Herzliche Grüße in den Abend,
Volker