Mal wieder ein Schwank aus meinem Leben: Als ich zur Berufsschule ging, unterhielt ich mich einmal im Pausenhof mit einer Mitschülerin. Sie sprach leise und tat geheimnisvoll. Ach, unter was für einem „schrecklichen Schicksal“ sie doch leide.
„Krebs?“
„Viel, viel schlimmer!“ Sie begann zu weinen.
Ich wartete geduldig, bis sie ihre Tränen in einem Taschentuch getrocknet hatte.
Was konnte schlimmer sein als Krebs?
Mit brüchiger Stimme meinte sie schließlich: „Aber sicher weißt du es längst? Man kann es ja sehen! Oh wie schlimm!“
Sie weinte erneut. Aber diesmal genügte ihr ein Taschentuch nicht. Sie nahm eine Packung aus der Tasche ihrer Jeans.
Ich sah genauer hin, doch nicht aufdringlich. Sie war bildschön: zarte Figur, dunkle Haare und blaue Augen. Vielleicht bekommt sie nicht genug Männer ins Bett? Ob ich da eventuell …
Sie unterbrach mich jäh in meinen Gedanken: „Ich habe eine furchtbar entstellte Nase!“
Und mit diesen Worten zeigte sie auf das Hügelchen ihres Nasenrückens.
Ich musste einen Schritt näher.
„Jeder starrt hin, es ist soooo eine Pest!“
Ich trat einen Schritt zurück, sah verlegen zu Boden.
Dann tauchte ihr Freund auf. Ein selten hässlicher Fratz: übergewichtig, picklig und mit lichtem Haar. Er besuchte die Parallelklasse in derselben Schule.
Schon damals konnte ich nicht meinen Rand halten und deshalb fragte ich: „Wegen deines Freunds machst du dir keine Gedanken?“
Sie sah mich erstaunt an: „Er sieht doch gut aus!“
Kommentare
Über den Geschmack lässt sich eben streiten. - Und: Man sieht nur mit dem Herzen gut - das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar (Saint-Exupéry, Antoine de).
LG Annelie