Es war ein Geier, der hackte in meine Füße. Stiefel und Strümpfe hatte er schon aufgerissen, nun hackte er schon in die Füße selbst. Immer schlug er zu, flog dann unruhig mehrmals um mich und setzte dann die Arbeit fort. Es kam ein Herr vorüber, sah ein Weilchen zu und fragte dann, warum ich den Geier dulde. »Ich bin ja wehrlos«, sagte ich, »er kam und fing zu hacken an, da wollte ich ihn natürlich wegtreiben, versuchte ihn sogar zu würgen, aber ein solches Tier hat große Kräfte, auch wollte er mir schon ins Gesicht springen, da opferte ich lieber die Füße. Nun sind sie schon fast zerrissen.« »Daß Sie sich so quälen lassen«, sagte der Herr, »ein Schuß und der Geier ist erledigt.« »Ist das so?« fragte ich, »und wollen Sie das besorgen?« »Gern«, sagte der Herr, »ich muß nur nach Hause gehn und mein Gewehr holen. Können Sie noch eine halbe Stunde warten?« »Das weiß ich nicht«, sagte ich und stand eine Weile starr vor Schmerz, dann sagte ich: »Bitte, versuchen Sie es für jeden Fall.« »Gut«, sagte der Herr, »ich werde mich beeilen.« Der Geier hatte während des Gespräches ruhig zugehört und die Blicke zwischen mir und dem Herrn wandern lassen. Jetzt sah ich, daß er alles verstanden hatte, er flog auf, weit beugte er sich zurück, um genug Schwung zu bekommen und stieß dann wie ein Speerwerfer den Schnabel durch meinen Mund tief in mich. Zurückfallend fühlte ich befreit, wie er in meinem alle Tiefen füllenden, alle Ufer überfließenden Blut unrettbar ertrank.
Analyse
Der Erzähler wird von einem großen Aasfresser attackiert. Der Erzähler bezeichnet dies als die Arbeit des Geiers, also etwas fast Legitimiertes, Zwangsläufiges. Wie der Tausch des Gesichtes gegen die angebotenen Füße zustande kam, wird nicht näher erläutert. Da hat es offensichtlich eine Verständigung gegeben, zumindest in Gesten. Das Gespräch mit dem Herren wirkt wunderlich. Aus der Situation heraus wäre ein sofortiges Eingreifen bzw. das Auffordern zum sofortigen Eingreifen angebracht gewesen und nicht dieses umständliche Reden, das eher eine Rechtfertigung ist, warum sich der Erzähler eben nicht konsequent wehrt. Das Tier dagegen ist mächtig in seiner ruhigen körperlichen Kraft und zielstrebigen Art im Gegensatz zum zögerlichen Erzähler, der den Geier fast zu bewundern scheint. Dem Gespräch der beiden Männer hat der Geier ruhig zugehört, eigentlich wie ein dritter stiller Gesprächsteilnehmer, um dann in furioser Weise sein Vernichtungswerk zu verrichten.
Die kleine Geschichte baut sich zunächst fast ungelenk auf – vor allem durch die direkten Reden des Mittelteils. Die beiden letzten Sätze aber erscheinen wie eine dicht gedrängte Abfolge bis zum Höhepunkt, in dem sich alles bündelt:
- die Absicht des Geiers
- der schreckliche Schnabelhieb
- das Befreiungsgefühl des zurückfallenden Erzählers
- die Blutströme, in denen der Geier ertrinkt
Quelle; Wikipedia