Die Grüne Hölle - Aus dem Expeditionstagebuch von Dr. Gisbert Flötenzupfer

Bild von NickCharles
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Montag, 16. Juli

Wir haben mit letzter Kraft das Hochplateau der Hincar-El-Pico-Berge im unerschlossenen Süden Perus erreicht. Unter uns breitet sich schier endlos, zumindest aber bis an die Grenzen meiner Vorstellungskraft, der kochende, dampfende Dschungel aus, die grüne Hölle - olfaktorisch gewöhnungsbedürftig wie weiland die Kuttelsuppe meiner Großmutter. Von den ursprünglich sechs Teilnehmern, die in Lima die Reise antraten, sind nur noch Dr. Schmidt-Fronwein, der forensische Anthropologe, Dr. Hallmackenreuther, Expeditionsarzt und zuständig für die Dokumentation der Funde, sowie ich selbst, Doktor Gisbert Flötenzupfer, am Leben und halbwegs bei klarem Verstand. Professor Dosenmulch, unser Botaniker, wurde kurz nach seiner Ankunft von einem der Wissenschaft unbekannten Insekt gestochen. Er kollabierte in der darauffolgenden Nacht - fantasierend und mit Schaum vor dem Munde. Seine letzten Worte waren: „Keine polnischen Frauen mehr, und den Nacken bitte gründlich ausrasieren.“ Über die Bedeutung dieser Aussage können wir nur Vermutungen anstellen.
Zwei Tage später wurde Dipl.-Ing. Kraushaar-Böllenkamp Opfer einer acht Meter langen Würgeschlange, die wir, zum Zweck der wissenschaftlichen Klassifizierung, mit puerto-ricanischem Scotch getötet, einbalsamiert und per Luftpost in die Heimat geschickt haben. ($ 378 zusätzliche Versandkosten wegen Überlänge des Frachtgutes – eine Unverschämtheit! Glauben diese Kretins vielleicht, dass wir eine extrem seltene Anakonda wie einen Feuerwehrschlauch zusammenrollen, nur damit sie in das verdammte Standardpaket passt? Außerdem wäre das gar nicht möglich gewesen. Kraushaar-Böllenkamp befand sich ja noch in der Schlange. So haben wir wenigstens die Kosten für seine Überführung gespart.)
Gestern war es Sieglinde Nölle-Naumann, unsere hochbegabte Doktorandin, die mit den Worten „Ich geh dann mal für kleine Paläobotanikerinnen“ das Lager verließ und nimmermehr gesehen ward. Trotz intensiver Suche, gelang es uns lediglich eine Rolle Toilettenpapier der Marke „Glööckler Ritzenfest“, zwei leere Dosen Raumlufterfrischer, Duftnote „Pfirsich-Maracuja“, und die chinesische Gesamtausgabe der Reden von Nikita Chruschtschow zwischen 1951 und 1963 zu entdecken. Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Gut, dass wir wenigstens das Klopapier haben. Das werden wir noch brauchen. Ich sage nur: Montezumas Rache!

Dienstag, 17. Juli

Die drückende Hitze, bei einer Luftfeuchtigkeit von über 90 %, setzt meinen Kollegen mächtig zu. Ich habe den Vorschlag gemacht, Schweiß zu sammeln, abzukochen und für die Bereitung der Mahlzeiten zu verwenden. Von den geschätzten dreißig Fingern der Expeditionsteilnehmer, sind bereits elf beim Wasserholen den Piranhas zum Opfer gefallen. Dennoch wurde ich von Schmidt-Fronwein und Hallmackenreuther überstimmt. Na gut, das ist deren Problem. Ich besaß die Geistesgegenwart, meine alten Torwarthandschuhe aus der Zeit bei der A-Jugend des „Sport- und Freikörperkultur-Klubs Victoria 96“ mitzunehmen. Beißt euch nur die Zähne aus, ihr widerlichen Fischstäbchen!
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Abendessen ist fertig: Rouleau d´ omble chevalier farci de salade braisée, sauce vin rouge à la moutarde à l´ancienne, polenta.
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Schmidt-Fronwein ist mit dem Abwasch dran. Hallmackenreuther schraubt die Zeltstangen zusammen. Ich versuche, das Satellitentelefon zu laden, finde aber keine Steckdose mit Wechselstrom-Adapter. Verdammte grüne Hölle!

Donnerstag, 19. Juli

Heute Morgen wurden wir von mehreren Kohorten der hochaggressiven Roten Waldameise angegriffen. Sie schwangen abgesägte Bleirohre und brüllten Parolen wie: „Libertad!“ und „Tod den US-amerikanischen Imperialisten“. Gut nur, dass ich darauf bestanden habe, meinen getreuen Henrystutzen einzupacken. Eine ordentliche Ladung auf den Pelz gebrannt – das ist genau die Sprache, die diese roten Teufel verstehen!
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Hallmackenreuther ist der Überzeugung, dass wir aus den unergründlichen Tiefen des Dschungels beobachtet werden. Gut. Hallmackenreuther glaubte ebenfalls, dass der 1. FC Köln in der Jahresendtabelle 2010/2011 vor Schalke 04 liegen würde. Was kann man da erwarten? Dennoch beschließen wir, Nachtwachen einzurichten. Sicher ist sicher!

Freitag, 20. Juli

Wunderbar geschlafen – trotz Nachtwache! Hallmackenreuther ist verschwunden. Leider spurlos. Jetzt muss Schmidt-Fronwein die Expeditionsausrüstung allein tragen. Er hält sich tapfer, murrt jedoch gelegentlich, dass er Hilfe gebrauchen könnte. Musste ihm klar machen, dass meine Messungen mit dem Dum-Dum-Navigationsgerät unerlässlich für unsere Heimkehr in den Schoß der westlichen Überflussgesellschaft sind. Der Dschungel ist kein Pony-Hof. Ein Schritt vom rechten Pfad und wir würden auf Nimmerwiedersehen im Labyrinth der Karnivoren verschwinden.

Montag, 23. Juli

Wir haben die Überreste einer Stadt entdeckt! Einer Stadt! Es kann sich nur um das mythenumwobene Katzköttlklum-Patztekl handeln! Eine Weltsensation. Wenn das verdammte Satellitentelefon funktionieren würde, könnte ich National Geographic anrufen. Zumindest aber meine Frau, um ihr mitzuteilen, dass ich mich zum Abendessen verspäte. Die würde vielleicht Ohren machen!
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Zur Feier des Tages gönnen wir uns die letzten Dosen „Piss-Off Edelbrew“. Wir haben eine Münze geworfen. Ich darf das Bier trinken, Schmidt-Fronwein den Pfand behalten. Er scheint nicht recht zufrieden mit dieser Lösung. Der Mann ist der geborene Querulant.

Dienstag, 24. Juli

Schmidt-Fronwein geht es nicht gut. Entweder liegt das am Bier (Während ich schlief, hat er die Neigen getrunken) oder an dem Giftpfeil, der beim Erwachen in seiner Armbeuge steckte. Ich habe die Wunde notdürftig mit Odol versorgt und ihm gesagt, er müsse sich keine Sorgen machen. Die nächste Telefonzelle ist nur acht Tagesreisen entfernt.
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Schmidt-Fronwein hat Fieber und phantasiert. Behauptete steif und fest, dass er den Duft von Nürnberger Rostbratwürstel in der Nase habe. Ich flößte ihm unsere letzte Flasche Dom Perignon ein. Danach schien es besser zu gehen. Er schläft jetzt und schnarcht. Auch ich habe den Duft von Nürnberger Rostbratwürstel in der Nase, kann jedoch an meinem Körper nicht die geringste Spur einer Wunde entdecken. Schneller als in unseren Breitengraden üblich sinkt die Nacht herab. Stockdunkel ist es – abgesehen von den grellgelb leuchtenden Pupillen diverser Fleischfresser. Die Rufe der Aras und Papayas gellen wie Schreie aus dem Totenreich über die majestätischen Wipfel der Urwaldriesen. Der Henrystutzen liegt entsichert auf meinen Schenkeln. Sorge dich nicht, Schmidt-Fronwein. Du bist bei mir in guten Händen. Morgen, das verspreche ich, sieht die Welt schon wieder anders aus.

Mittwoch, 25. Juli

Der Morgen ist angebrochen, und die Welt sieht aus wie immer. Zum Frühstück Escargots á la Bourguignonne. Fronwein klagt über Bauchgrimmen. Er äußert die Ansicht, dass ihm Schaumwein Blähungen verursache. Ich denke an Gottfried Benn, der gesagt hat: „Wen Bier hindert, der trinkt es falsch.“ Das möge auch in diesem Fall gelten.

Donnerstag, 26. Juli

Fußspuren! Eindeutig sind das Abdrücke nackter menschlicher Füße. Nackter weiblicher menschlicher Füße. Nur wenige Meter von unserem im Morgendunst verglimmenden Lagerfeuer entfernt.
„Meinst du, es gibt hier so was wie Schrumpfkopf-Indianer?“ Schmidt-Fronwein zittert wie Espenlaub.
„Ach, hanebüchener Unsinn“, tue ich seine Befürchtungen mit einer lässigen Handbewegung ab und hebe etwas vom Boden auf, das aussieht wie ein sorgfältig von einem Hund zerkauter Tennisball.
„Was ist das?“, fragt Schmidt-Fronwein.
„Ein sorgfältig von einem Hund zerkauter Tennisball“, entgegne ich und lasse das Objekt hastig in meinem Rucksack verschwinden.
Gisbert, denke ich, deine bisherige Glückssträhne könnte hier und jetzt ihr unrühmliches Ende finden.

Freitag, 27. Juli

Sie sind hinter uns her – daran kann nicht der geringste Zweifel bestehen! Immer wieder hören wir ein trockenes Knacken, den gellenden Alarmruf einer Horde Flughunde oder das Kreischen der Nashornkäfer hoch droben in den undurchdringlichen Schaumkronen. Schmidt-Fronwein, dieser Warmduscher, ist nur noch ein Nervenbündel. Ich hatte keine Wahl. Neben unseren Vorräten, den Zelten, den Wasseraufbereitungsgerätschaften, der Fotoausrüstung, den Scheinwerfern, Leuchtraketen und der aufblasbaren Mehrzweckhalle mit integriertem Schankbetrieb, musste ich ihm auch die Kisten mit den steinernen Artefakten aus Katzköttlklum-Patztekl aufbürden. Immerhin, das Dum-Dum ist jetzt unsere letzte Chance. Und ich bin der Einzige, der es bedienen kann. Da muss ich beide Hände frei haben.

Samstag, 28. Juli

Das Dum-Dum hat den Geist aufgegeben. Oder, um genauer zu sein, es empfiehlt uns, die Autobahn zu verlassen und der Ortsumgehung Bergisch-Gladbach/Refrah zu folgen. Schmidt-Fronwein gegenüber bewahre ich Stillschweigen. Er hat schon genug an seiner Last zu tragen.
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Pst! Ich versuche jetzt möglichst lautlos mit der Feder übers Papier zu kratzen. Direkt vor uns, im Gewirr der Schlingpflanzen und Lianen, ist, gleichsam dem Erdreich entwachsen, eine Gestalt aufgetaucht. Sie regt sich nicht, schaut unverwandt in unsere Richtung. Ob sie uns bemerkt hat? Die Sonne geht allmählich unter. Wir können lediglich die strahlenumkränzte Silhouette der geheimnisvollen Erscheinung ausmachen. Was hält sie da in der Hand? Ist das eine steinzeitliche Keule? Werde ich hier, tausende Kilometer von dem Ort entfernt, da in grauer Vorzeit meine Wiege stand, einen schmerzhaften und sinnlosen Tod sterben? Ich packe den Henrystutzen, wohlwissend, dass die letzten Kugeln durch die Feuchtigkeit des Dschungels verdorben sind. Heilige Mutter Gottes, hilf uns in dieser Not …
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Die Erscheinung tritt näher. Schlank und wohlgestalt ist sie. Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen. Ihre soeben erst erblühenden Rundungen sind in spärliches Blattwerk gehüllt. Wer mag sie sein, dieses überirdisch anmutende Wesen? Eine Prinzessin? Vielleicht die Letzte aus einem uralten Inka-Geschlecht? Schön bist du, Göttin, deine Farben sind wie der Regenbogen, dein Duft ist von den Meeren … Sie sieht beachtlich weiß für eine Schwarze aus. Möglicherweise waren ihre Vorfahren Conquistadores. Nun hebt sie den Gegenstand. Will sie uns ein Zeichen geben? Welches Zeichen? Was hat das zu bedeuten? Was ist das? Ein Kultgerät? Ein Speer? Ein hölzernes Totem? Nein, es ist …, das ist … - Ups! - … eine Grillzange! Ja, unbestreitbar. Eine Grillzange aus Edelstahl! Mit riffelfestem Griff aus Polyvinylchlorid.

„Die Holzkohle ist heiß, die Würstchen sind kross, das Bier ist kalt und Frau Noelle-Naumann hat ihren selbstgemachten Kartoffelsalat mitgebracht. Mama sagt, ihr könnt jetzt getrost aus den Büschen kommen, die Arbeit ist erledigt. Herr Dosenmulch, Herr Kraushaar-Möllenkamp und deine anderen Kumpels werden allmählich ungeduldig. Die haben Kohldampf. - Sag mal, Paps, sind die eigentlich immer so crazy? Und was genau rauchen die? Das stinkt ja ekelhaft!“
„Schmidt-Fronwein“, sage ich, „das hat was zu bedeuten. Das hat definitiv was zu bedeuten. Allein, ich weiß nicht, was!“
„Hör mal, Gisbert, noch ’ne Tüte?“ Schmidt-Fronwein sieht aus wie ein Schmetterling. Ein Schmetterling in einem quietschgelben Greatful-Dead-T-Shirt. „Ey, Gisbert, Bruder, compadre! Make Love not War, Alter, hörst du? Make Love not War.”

Kleiner Tipp am Rande: Die Pilze aus Katzköttlklum-Patztekl vor dem Verzehr in reichlich einem Liter Wasser drei Stunden aufquellen, dann auf kleiner Flamme bis zur gewünschten Konsistenz schmoren lassen. Nach Belieben eine Prise Estragon hinzugeben. Das ist besser, Leute, echt viel besser - schon wegen der lustigen Halluzinogene!

„The ants are my friends, they’re blowin‘ in the wind!“
(Alte Lagerfeuerweisheit)

© 2017 Carl LaFong

Interne Verweise

Kommentare

01. Jul 2017

Ein einziges Like - und noch KEINEN Kommentar!
Verwerflich!
Dem muss abgeholfen werden! Umgehend!
Supertext, ich sitze in der Schmunzelecke, von zeitweiligen Lachkrämpfen geschüttelt, während sich bunte Bilder vor meinen tränenglasigen Augen entfalten. Ich hoffe, das ist heilbar ...

04. Jul 2017

Besten Dank für Deinen sehr freundlichen Kommentar. Ich hoffe, dass die dringend benötigte Heilung mittlerweile eingetroffen ist.

Liebe Grüße

Dok

04. Jul 2017

Vielen Dank, Alf. freut mich, dass es Dir gefallen hat.

Beste Grüße

Dok