Coffee to go

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von Susanna Ka

Eine Tasse Kaffee, eine einzige noch. Und wenn ich sie stehlen muss.
Gerade habe ich mein Frühstück beendet, die erste Mahlzeit nach der Operation gestern Mittag. Es war spartanisch. Ein glutenfreies Brötchen, zwei Milligramm Margarine, ein Fingerhut roter süßer Marmelade und eine Tasse Kaffee – eine einzige. Das ist für so einen Kaffeejunkie wie mich viel zu wenig. Das reicht gerade mal, um den Geschmack zu testen. Aber wegen einer Tasse Kaffee darf ich die Schwester nicht herbeiklingeln. Schließlich bin ich im Krankenhaus und nicht im Hilton. Also – selbst ist die Frau. Ich arbeite mich aus dem bequemen Bett, schnappe mit meiner rechten Hand die leere Kaffeetasse und mache mich auf den Weg.
Dass die Rechte noch gar keine Kraft hat, dass sich auf dieser Seite drei lange Schnitte unter dem Schlüsselbein und ein tiefes Loch in der Muskulatur befinden, und dass der neue Herzschrittmacher wie ein schwerer Stein unter meiner Schulter hängt, das alles registriere ich nicht. Ich habe nur einen Gedanken – Kaffee.
Im blaugeblümten Schlafanzug stehe ich im strahlenden Weiß des Krankenhausflurs. Weiße Wände, weiße Türen, weißes indirektes Licht. Kein Mensch weit und breit, aber dort, kaum noch sichtbar, so weit weg, steht der Frühstückswagen mit den Kaffeekannen.
Das ist zu schaffen. Mutig marschiere ich los und komme tatsächlich heil am Frühstückswagen an.
Die Kaffeetasse immer noch in der rechten Hand, pumpe ich mit der Linken Kaffee hinein, greife mir drei Tütchen mit dem kristallinen weißen Zeug und will mich wieder davonschleichen.
Aber … aus welcher Richtung bin ich denn gekommen? Irritiert drehe ich mich einmal um die eigene Achse. Weit entfernt schimmern Umrisse durch den Nebel. Der Empfangstresen der Stationsschwester. Dem gegenüber liegt mein Zimmer.
Da muss ich wieder hin, auch wenn jetzt meine Knie anfangen zu zittern. Was ist denn plötzlich mit den Türen los? Warum tanzen sie alle aus der Reihe? Verdoppeln sich, wandern die langen Wände entlang? Ich bin doch hier im Städtischen Krankenhaus und nicht in Hogwarts. Oder?
Den Blick starr auf den Tresen gerichtet, folge ich den Schlangenlinien des Flurs. Einmal nach rechts, einmal nach links. Meine rechte Schulter schmerzt höllisch. Wäre ich doch nur nicht so unbedacht gewesen! Ich kann die Tasse nirgends absetzen. Also – durchhalten. Nur keine Schwäche zeigen, auch mir selbst nicht. Warum trage ich eigentlich eine Tasse mit kaltem Kaffee mit mir herum? Was hatte ich denn damit vor? Mit letzter Kraft erreiche ich den Tresen und kann endlich dieses blöde Ding absetzten. Es ist niemand da. Es ist überhaupt niemand zu sehen. Alle Menschen sind eingesperrt in die Zimmer mit den wandernden Türen. Ich muss auch in so ein Zimmer hinein, aber in welches. Und warum bin ich überhaupt hier draußen in diesem schrecklichen Flur?
Entschlossen lasse ich den Tresen los, konzentriere mich auf die nächstliegende Tür …
„Günaydin!“
Auf dem Bett, in dem ich eigentlich liegen sollte, thront eine uralte Frau. Ihr Morgenrock, in leuchtendem Rot mit gelben Blüten, bringt das ganze Zimmer zum Strahlen. Schwarze Augen lächeln mich freundlich an.
„Günaydin!“
„Günaydin! Ana“
Respektvoll senke ich den Kopf und ziehe mich zurück.
Wieder in dem tanzenden Flur, versuche ich mich zu sammeln. Nur nicht schwindelig werden, nur nicht zusammenklappen. Was ist denn bloß mit meiner Schulter passiert? In heißen Wellen verteilt sich der Schmerz im meinem Bewusstsein. Ich muss ins nächste Zimmer. Um die Tür aufzubekommen, stemme ich mich mit dem ganzen Körper dagegen.
„Hallo, junge Frau! Haben Sie uns Kaffee mitgebracht?“
Zwei ältere Herren in Schlafanzügen sitzen vergnügt an einem winzigen Tisch am Fenster. Sie frühstücken mit Ei, Schwarzbrot und Schinken. Erwartungsvoll halten sie mir ihre leeren Kaffeetassen entgegen.
Kaffee – da war doch was … ist mir entfallen.
Die Türen tanzen jetzt um mich herum. Bube-Dame-König-Ass, links-zwo-drei-vier… und zur anderen Seite … Bube-Dame-König-Ass, rechts-zwo-drei-vier… Ich bin Alice im Wunderland. Vor meinen Augen manifestiert sich die rote Königin, die Schmerzenskönigin. Sie hat meine Schulter mit einen vergifteten Pfeil durchbohrt.
Meine Beine sind wie Wackelpudding, lange werde ich mich nicht mehr aufrecht halten können.
Noch eine Tür – vielleicht ein Fluchtweg. Mit allerletzter Kraft stürze ich mich in die Herzdame und …
„Frau Ka, das sind Sie ja!“
Fürsorglich hilft mir meine Zimmergenossin ins Bett.
„Sehen Sie mal, die Schwester hat Ihnen noch einen Kaffee gebracht.“

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