Die Schlauheit - Page 12

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von der Gewerkschaft erkämpft. Die reale Macht der Arbeiter steht prinzipiell über der Macht der Herrschenden.

Was verhindert dann noch die kommunistische Macht? Daß das Volk beim Streik auf entbehrliche Befriedigungen verzichten muß. Hier setzen die Herrschenden ihre verführerische Konsum- und Unterhaltungsindustrie ein, wie seit Jahrtausenden panem et circensem.

3. Die Privatsphäre

Wenn Repression bewußt wird, kann eine Leistung im Interesse des Systems nur unter Zwang erbracht werden. Bei allen Verrichtungen ist Unlust das vorherrschende Gefühl. Der Geist weicht in Gebiete aus, deren Repression er noch nicht realisiert.

Resignierend strebt einer dann nach Genuß. Sexualität scheint der Königs-Weg. Am Ende geht alles ins Geheime, der Sonderling, der wunderliche Mensch und Gescheiterte, der im Leben nicht zurecht kommt. Schließlich der Unsoziale, Flucht in die Romantik - ernährt mich, fordert er, ich Dichter bin Gottessohn. Eine Traumwelt als Rettung aus dem repressiven Alltag.

Im herrschenden System flieht jeder die Welt. Ein ganzes Volk aus Sonderlingen, aber keinem offen sichtlich, denn das wird von den kreativitätsfeindlichen Medien verschleiert. Ursprünglich gab es ja nur Gemeinschaft.

Flucht in den privaten Bereich. Jeder Eindringling ist Scherge der repressiven Welt, ist Eindringling ins letzte Refugium des Eingeborenen. Bissig reagiert der im Gedenken, was ihm schon alles genommen wurde. Er haßt den Herren, wie er das Hochwasser haßt, das die Hütten des Volkes vernichtet. Dem Gott des Hochwassers aber kann er Opfergaben bringen und der verschont ihn dann im kommenden Jahr. Der Herr jedoch schlägt immer zu, egal was einer hingibt. Die Götter lassen leben, die Herren bringen Tod.

Den meisten gelingt es, einen Rückzugsraum zu errichten. Die Gesellschaft schafft sogar extra private Inseln, damit der Mensch nicht zugrunde geht und das ganze System gefährdet.

Das Leben ist heute ohne Rückzug nicht zu ertragen. Jeder wird zur Einrichtung einer Privatsphäre angehalten im allumfassenden Ausbeutungsmechanismus. Deshalb ist nichts für das System wichtiger, als die Befriedigung der gerade noch zugestandenen Massenbedürfnisse. Wer kann da noch unglücklich sein? Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Doch warum dann überall Unzufriedenheit?

Weil der Mensch nicht von Brot allein lebt. Die allgegenwärtige Werbung ist in Wahrheit nichts anderes als der Häftlingsappell im kapitalistischen Gulag.

Die ins Private vereinzelte Menschheit wird als höchste Stufe persönlicher Freiheit gefeiert. Persönlichkeitskult und Individualismus sollen die Massenbasis verekeln. Einzelgänger sind die Protagonisten des Systems, markante Persönlichkeiten das Vorbild. Also wünscht doch die Gesellschaft selbst die Freiheit des Individuums und sichert das Überleben. Was soll dann die ganze Aufregung?

Weil die persönliche Freiheit das Herrschaftssystem stabilisiert, denn dadurch kann das Außerpersönliche total repressiert werden. Das sichert die Zinserträge einer ungeheuren Kapitalmasse sowie die notwendige Vernichtung des Mehrwerts. Das System droht ununterbrochen, mit seinem Zusammenbruch alle in den Abgrund zu ziehen. Allenthalben Weltuntergangsangst.

Im Laufe der Menschheitsgeschichte dienten Kult, panem et circensem, Religion, Krieg, die Welt des Geistes und die persönliche Freiheit zum Überleben in totaler Repression.

Die allgemeine Schulpflicht verminderte die Wirkung von Kult, panem et circensem und Religion. Mit steigender Vernichtungsmacht wurde auch der Krieg kontraproduktiv. Es blieb also nur noch die Welt des Geistes. Diese hilft aber lediglich einem Teil des Volkes, denn die Welt des Geistes ist der Massenbasis abgeneigt und zunächst nur Ergötzen der herrschenden Klasse. Der Aggression der Massen bietet sie kein Ventil.

Da schuf das System die bürgerliche Revolution. Dabei gelangt jeweils diejenige Cleverenclique zur Herrschaft, der es gerade am besten gelingt, die Aggression der Massen zu neutralisieren, zur Zeit durch die Konsumgesellschaft.

Individuelle Freiheit, Privatleben und Menschenwürde dienen zur Bereitstellung der dafür schulisch zugerichteten Massen. Sie lösen Feudalismus und Religion ab und dehnen den Kapitalismus über den ganzen Erdball aus. Da das persönliche Leben mehr denn je im Privaten liegt, kann die öffentliche Repression jetzt allumfassend sein. Wer aber auch im Privaten repressiert wird, muß den Lebenssinn trotzdem im Öffentlichen suchen. Wer dort eine Machtposition erringt, rächt die private Deprivation an den Untergebenen.

Je weitgehender das Öffentliche die Gesellschaft bestimmt, desto wichtiger ist das Privatleben und desto intensiver müssen die im Privaten empfangenen Deprivationen wiederum im Öffentlichen kompensiert werden. Ist in diesem System das Private letztlich gänzlich unbehaust, siehe Orwells 1984, dann wird der Einzelne selbst zum Protagonisten der Systemmaschine.

Durch den Rückzug auf das Private wird die Masse in Einzelelemente zerhackt. Für die Repressoren ist nicht der Individualismus gefährlich, sondern die Massenbasis.

Vereinzelung erbringt weniger Originalbefriedigung. Man kann sich aber solcherart frei von jedem Moralkodex Ersatzbefriedigungen hingeben, rund um die Uhr von der Konsum- und Unterhaltungsindustrie bestärkt. Ohne Konsum- und Unterhaltungsindustrie würden wir zur Masse durchdringen, uns organisieren und gegen die Repression aufstehen.

Die Religion strebte einst Gemeinschaftshandlungen geradezu an. Demgegenüber sind heute Kommunikation und Organisation zerstückelt. Musik- und Sportveranstaltungen sind lediglich Events und täuschen Gemeinschaftshandlungen nur vor.

Das aktuelle System ist unstabil. Die Demokratie wird von einer im Namen des Volkes die Gesellschaft verwaltenden Bürokratie abgelöst.

Die Massen müssen den Schwindel der bürgerlichen Revolutionen überwinden. Es geht um permanente Revolution. Es geht um Freiheit im Einklang mit dem Kollektiv. Das Private darf nicht mehr die Begegnung mit der Gemeinschaft behindern. Der Mensch muß als Person in die Ökonomie, Kultur, Kommunikation zurückkehren, wie sie vor zwanzigtausend Jahren bestanden. Die Gesellschaft von vor zwanzigtausend Jahren in diesem Jahrhundert fortsetzen, darum geht es, ohne Clevere und Ausbeuter. Eskimos und Aborigines müssen an die Hebel der Schaltzentralen, ihre Natur als magische Maschine im Blut und ohne die Cleverness, ihren Gebrauch zum Schlechten zu wenden. Weg mit dem individualistischen Machen.

4. Revolution

Das Vorpreschen der Revolution führt wie jede Disziplinlosigkeit in Massenaktionen zum Mißerfolg. Die Revolution wird durch die Vorkämpfer zerstört. Die Massen haben ihr eigenes Zeitmaß.

Linksabweichler sind im Kontext der Parteien der Mitte ein falscher Begriff, denn es handelt sich erstens um Opportunisten und Hasardeure, die nichts zu verlieren haben, als das von ihnen selbst nicht geachtete eigene Leben. Zweitens verlassen sie die Massenbasis als sogenannte Vorkämpfer, ja verachten diese und drittens sind sie gar Faschisten ohne deren bürgerlichen Hintergrund. Wir können keine faschistischen Kampfformen übernehmen. Der Faschismus hat die von der drohenden Gewalt der Massen eingeschüchterte Bourgeoisie hinter sich. Wir müssen die LiLi-San-Linie vermeiden, zu der die Vorhut angesichts ihrer Wirkungslosigkeit immer wieder greifen will.

Selbst wenn eine Idee für uns hilfreich ist, braucht es Jahre, bis die Massen dafür bereit sind. Wenn sich die Masse einer Idee hingibt, hat dein vorkämpferisches Gehirn sie schon lange hinter sich. Überrascht erlebst du das vor zwanzig Jahren Geschriebene heute als aktuell, wenn sich der alte Text auch durch ein verstaubtes Vokabular selbst aus dem Verkehr zieht.

Du bist mit deinen neuen Gedanken schon viel weiter als wir. Wenn du dich den von den Vorgängergedanken angetriebenen Massen mit deinen neuesten Ideen anschließt oder damit gar die Führung beanspruchst, betreibst du die, angeblich von den Massen selbst erzeugte, sogenannte schnelle Entwicklung der Revolution. Doch nach kurzer Zeit steht das Ganze still.

Fortschritt kann nur schrittweise geschehen, sonst usurpieren Hasardeure die Bewegung und werden zu den neuen Ausbeutern. Wenn du nach deinen neuesten Gedanken handelst, dann bist du von den Massen isoliert und die der Masse innewohnenden Beweggründe haben mit dir nichts gemein. Die vorpreschende Vorhut schädigt die Revolution und verlagert die Auseinandersetzung auf falsches Terrain.

Wie kann dein für die aktuelle Situation wichtiger Gedanke, vom Establishment unterdrückt, - aus Kasachstan, Sao Paolo, Kalabrien - mich noch in diesem Jahrzehnt erreichen? Wie erfahre ich deinen Gedanken aus einer fernen Masse, hier den Massen zur Hilfe, und nicht das ideologische Geschrei eurer Führer?

Dein Gedanke wird keinen Journalisten locken, keinen Bestsellerautor. Als Klein-Moritzdenken wird er abgetan, der inneren und äußeren Zensur wird er zum Opfer fallen, als jugendverführend oder faschistoid. Du selbst hast ja keine Übung, zu vermitteln, was du nur nebelhaft erkennst, nur die Wahrheit ist in deiner Seele. Im bourgeoisen Kram von Zeitung und Fernsehen erkenne ich deinen Gedanken nicht, wenn er in der untersten Spalte vielleicht eine Spur hinterläßt, kalabrischer Arbeiter, Kenner allen Menschseins, unserer eigenen Wurzeln, mehr als wir ahnen. Die Presse-Notiz über einen Vorfall ist vielleicht die einzige Möglichkeit deiner agierten Wahrheit. Wie also kann dein Gedanke von Belang mich noch in diesem Jahrzehnt erreichen?

Ein Gedanke versickert im Umkreis von hundert Kilometern bei Bekannten, Kollegen, Verwandten. Er versinkt in die Seelen der Menschen - als Bild, Traum, Film, Atmosphäre, Begriff. Bei gegebenen Anlaß kommt er nach Jahren ans Licht, ist plötzlich da, pulsierend, als eben erst geboren. Ein Edelstein funkelt im Schlamm, ohne Erinnerung, wer wann ihn erschuf. Dein Gedanke ist Menschheitsbesitz wie ein Volkslied. Jetzt gibt er sich als mein eigener aus, für den ich die Urheberschaft beanspruche. Mit Recht, wenn ich seine Formulierung in die Welt setzte.

Es wollen ja auch die Unterdrücker ihre Anweisungen zu unseren eigenen Gedanken machen. In Giftnebelschwaden tauchen die auf, wenn wir nach dem Verbotenen greifen. Freiwillig öffnen wir ihnen das Seelengefäß.

Doch die Einträufelungen des Systems gehören den Schichten des grauen Lichtes an. In den dunklen Tiefen der Massenbasis aber überwindet der wahre Gedanke alle Unterdrückung. Er senkt sich im Umkreis von hundert Kilometern in zwölf Seelen. Zehnfach reproduziert er sich in zweihundert Kilometern Entfernung. Weitere hundert Kilometer schreitet er fort durch Scham und brutale Gewalt, bis er auch mich in dieser weit entfernten Stadt erreicht. Der Gedanke der Vorfahren, Gedanke aus der Steinzeit, dein repressierter, verfolgter, einbetonierter, in die Eisesgruft gesargter, verfemter Gedanke erreicht mich erst jetzt. Jahrtausende lang reift die menschliche Bestimmung in der Massenbasis.

Die Wahrheit gelangt zu uns, so wie seit Adam und Eva ein jeglicher Gedanke - und schon davor bei den Tieren. Ein Gedanke ist nicht das Verdienst des einzelnen, aber daß er ihn gebiert, ist seins. Einstein und Freud schürfen im menschlichen Bergwerk. Das Gemeingut quillt an der Massenbasis hervor. Ein treffender Gedanke ist selbstverständlich. Doch welche Sensation verursacht er in den großen Gehirnen, wenn er als zufälliges Ereignis gerade in einem bestimmten Individuum geschieht.

Jeder Gedanke kommt aus den Massen, in denen er seit Jahrhunderten auf den Wahrheitsgehalt durchgegoren wurde. Er schlummert, um zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort in der Menschheitsseele neu und wahr hervorzugehen. Er taucht aus dem klaren Wasser des Verstandes wie in einem Spiegel auf. Durch tausend Körper und Seelen hindurch erstrahlt seine Wahrheit.

Ein Samenkorn treibt und wächst zum prächtigen Baum voll paradiesischer Frucht. Nicht durch papierene Spekulation, sondern durch die Ertüchtigung in Fleisch und Blut des lebendigen Leides der Massen wächst das Denken. Ein jeder gibt es unweigerlich weiter. Was falsch ist an den Worten und Taten vergeht wie die Saat auf steinigem Boden.

Der Schimmer der Wahrheit kommt aus der Massenbasis, weitergegeben durch unsere Geburt und das Leben im Umkreis von zehn oder tausend Kilometern. Das Unterdrückte kreist besonders tief in der Menschheit, gestaltet zur allen verständlichen Urwahrheit. In tiefster Repression erstarkt die breiteste Massenbasis, wird der wahre Gedanke besonders oft versenkt und von jedem Ballast befreit, auf daß er in der kleinsten Hütte Platz hatte und im Straflager als Kassiber verschluckt wurde, Jahrtausende lang schamvoll und verpönt.

Die Revolution muß die Repression von der Wahrheit nehmen, muß ihre Massenbasis finden. Es geht dabei nicht um die neuesten Ideen journalistischer Erregung. Unter der Herrschaft der Repressoren hatte die Wahrheit noch keine Basis, so wie mich ja auch die aktuellen Ideen der Bronx in absehbarer Zeit nicht erfaßten. Die Revolution muß die Repression von der Massenbasis nehmen und ein System zügiger Verbreitung der anstehenden Wahrheiten finden. Ein lückenloses System gegen die weiterhin lauernden Cleveren muß errichtet werden.

Ab jetzt gilt wirklich, daß sich die Wahrheit immer durchsetzt und Lügen kurze Beine haben, daß nichts so fein gesponnen ist, es kommt immer an die Sonnen. Ab jetzt setzt sich die Wahrheit kontinuierlich durch. Bisher brauchte die Wahrheit tausend oder zehntausend Jahre für ihren Durchbruch, so wie die Naturgesetze unter den Dämonen Jahrmillionen lang verborgen waren. Ab jetzt benötigt Wahrheit nur noch fünf oder zwanzig Jahre für ihren Durchbruch.

In der Revolution sind alle Menschen seit Adam und Eva vereinigt. In ihr erhebt sich die Wahrheit der Ahnen. Dem gegenüber ist die aktuelle Demokratie von den Massen weit entfernt. Sie ermöglicht vielmehr die raffinierteste Unterdrückung. Es geht darum, die Demokratie unter Wahrung des blutig erkämpften Rechtstaats zu überwinden.

Einziges Glück ist, mit der Menschheit zu sein. Jeder Ausbeuter muß zu Schaden kommen, wenn er sich regt. Es gibt kein Recht, auf Kosten anderer zu leben.

Revolution heißt, daß mich die Wahrheit aus Kalabrien oder Kasachstan zu Lebzeiten erreicht.

In der Repression verkommt die Kommunikation zum Geschwätz. Die Behinderung des Kommunikationsbedürfnisses führt zu Krankheiten wie die Vorenthaltung von Essen, Trinken und Sexualität.

Die Kommunikationsmittel müssen den Cleveren entzogen werden. Das ist das erste Tagesziel. Sonst wird die Repression auf die nächste Stufe verschoben. Hekatomben Opferleichen destillierten die Wahrheit aus ihren Seelen, sodaß jetzt das System offen vor Augen liegt. Es bedarf eines ingenieursmäßigen Vorgehens gegen das Fortschreiten der Repression auf die nächst höhere Stufe. Dann haben die Cleveren hoffentlich endlich ausgelacht. Maschinen bleiben stehen, wenn man sie nicht mit dem notwendigen Input speist. So sollte auch der Mensch danach angelegt sein, den Mechanismus der Cleverness still zu legen und das Paradies zu schaffen.

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