Klaus Nomi – Leben und Sterben eines Überirdischen
Klaus Nomi war mehr als eine exotisch anmutende Kunstfigur. Er war ein gesangliches Phänomen - ein schlaksiger Außerirdischer, der in den Siebzigerjahren wie ein Komet auftauchte und als eines der ersten prominenten Aids-Opfer ebenso schnell verglühte. Klaus Nomi hatte die Stimme einer Frau, aber auch die Stimmlage eines Mannes. Er gab sich bei seinen Auftritten das Äußere eines clownesken Fauns. Aber wer war Klaus Nomi?
Die frühen Lebensjahre
Geboren 1944 in Immenstadt im Allgäu, lebte der junge Klaus die ersten vier Jahre mit seiner Mutter auf einem Einöd-Bauernhof. Das Idyll dort stand in krassem Gegensatz zu zerbombten Städten wie Essen, die seine Mutter fluchtartig verlassen hatte. Der kleine Klaus zeigte keine Neigung, wie andere Kinder draußen zu spielen. Er war anders.
Schon früh entdeckte der Junge, dass die Musik von Elvis Presley ihn mehr als vieles andere faszinierte. Seine Mutter befand jedoch, dass Elvis Presley kein geeigneter musikalischer Einfluss für ihren Sohn war. Sie konfrontierte ihn mit der Stimme von Maria Callas. Diese Art von Musik war eine Offenbarung. Klaus wollte sofort Opernsänger werden.
In der Schule waren seine Lehrer sehr gegen die Ambitionen des Jungen Mezzosopran - also mit Frauenstimme in der mittleren Stimmlage zwischen Alt und Sopran - singen zu wollen, weil das eben nur etwas für Frauen wäre. Doch sein bleibendes Interesse für alle anderen Musikstile sorgte dafür, dass aus ihm später etwas anderes wurde: eine Kunstfigur namens Klaus Nomi, die mit einer außergewöhnlichen Performance überraschte. Der Künstlername "Nomi" verwies auf das, als was der junge Mann sich als Künstler verstand: OMNI. Alles in einem. Doch als Mensch war Klaus verletzlich, unsicher und ängstlich.
Erste Bühnenerfahrungen und ein steiniger Beginn
Wann genau der Wandel von Klaus Sperber zur schrillen Kunstfigur, dem Countertenor Klaus Nomi begann, ist nicht überliefert. Bekannt ist aber, dass Klaus schon als junger Mann - mittlerweile zurück in Essen - als Theater-Statist das Rampenlicht ausprobierte. Anschließend ging er nach Berlin. Dort versuchte er, eine Ausbildung zum Countertenor zu absolvieren.
Klaus Sperber erhielt zwar tatsächlich Gesangsunterricht. Aber zum Countertenor wurde er nicht ausgebildet. Er fand keinen geeigneten Lehrer. So wurde er Tenor. Klaus wurde zum musikalischen Autodidakten, um seine hohen Stimmlagen zu trainieren. Um finanziell über die Runden zu kommen, jobbte der junge Mann als Platzanweiser in der Deutschen Oper. Außerdem sang er gelegentlich Opernarien im Kleist-Casino, einem beliebten Treffpunkt von Homosexuellen.
Nachdem er 1973 nach New York gegangen war, schlug Sperber sich im East Village mit Gelegenheitsjobs durch. Unter anderem arbeitete er als Konditor. Prompt machte er als „singender Konditor“ in New Yorker Underground-Kneipen von sich reden. Zugleich ließ Klaus sich bei Ira Siff zum Countertenor ausbilden. Irgendwann in diesen Wochen begann Sperber, sich Klaus Nomi zu nennen. Er erfand sich als Sänger komplett neu. Zunächst trat er in kleinen Kellerkneipen des New Yorker East Village auf.
Der Wandel zu einem überirdischen Wesen
Der kurze Weg zum Erfolg begann 1978, als Nomi im Rahmen einer schrillen Freakshow den Schlussakt bildete. Die New Yorker Varieté-Show „New Wave Vaudeville“ hatte bereits alles an schrillen und schrägen Tanz- und Gesangseinlagen abgefackelt, als Klaus Nomi die Bühne betrat.
Seine ungewöhnliche Aufmachung fesselte die Zuschauer. Diese hatten gemeint, die Show sei zu Ende. Nomis Mangel an Körpergröße oder -fülle wurde wettgemacht durch ein schneeweiß geschminktes Gesicht mit weit aufgerissenen Augen, über dem die Haare in drei kronenartigen Spitzen aufgetürmt waren. Auf der Bühne stand ein schlaksiges Zwitterwesen, das von einem anderen Stern zu kommen schien.
Nomi trug bei diesem legendären Vaudeville-Auftritt ein Frauenkleid und einen um den Körper gerafften Regenmantel. Er wirkte wie eine Mischung aus einem Clown, David Bowies Kunstfigur „Ziggy Stardust“ und einem schmächtig gebauten Alien mit staksigen Beinen. Doch das außergewöhnlichste war seine voluminöse Stimme. Diese konnte tiefe Töne ebenso mühelos stemmen wie hohe Töne, die normalerweise von Frauenstimmen stammen.
Als Nomi eine Arie aus Camille Saint-Saëns Oper „Samson et Delila“ anstimmte, war einer der ungewöhnlichsten Opernsänger geboren. Sein erstes Engagement als Background-Sänger anno 1979 und seinen späteren Plattenvertrag verdankt Nomi niemand geringerem als David Bowie. Der künstlerische Durchbruch gelang dadurch schnell. Doch schon 1982 war Nomi todkrank. Er hatte AIDS. Damals hatte diese Erkrankung allerdings noch keinen Namen und machte als Schreckgespenst „Schwulenkrebs“ die Runde.
Klaus Nomi - bereits schwer von Aids gezeichnet, macht den Cold Song durch eine schreckliche Authentizität bis heute zu seinem Eigentum und Vermächtnis.
Das kurze, aber schrille Leben der Kunstfigur Klaus Nomi
Nomi ging trotz seiner Erkrankung in Europa auf Tournee. Er wurde zum Stadtgespräch, wo immer er seine außergewöhnliche Stimme erhob. Nicht nur sein Äußeres sorgte dafür, dass man ihn nie wieder vergessen konnte.
Klaus Nomi muss auf die damalige Musikwelt ähnlich gewirkt haben, wie später Kate Bush mit ihrer ungewöhnlichen Stimme. Sein Auftreten war ein Schock für alle Sinne. Wer diesen Schockmoment durchquerte und das außergewöhnliche Talent des Klaus Nomi erkannte, war fasziniert. Vor dem Hintergrund des East Village, das der sensationslüsternen New Yorker Underground-Szene jede Menge schrille Show-Events bot, hatte die Kunstfigur Klaus Nomis die ideale Kulisse gefunden.
Hier konnte sich der schüchterne Bayernjunge zum androgynen Zwitterwesen mit grandioser Stimme wandeln. Kein Wunder, dass Nomi die Aufmerksamkeit von David Bowie erregte und von dem Superstar in die NBC-Show „Saturday Night Live“ eingeladen wurde. Durch diesen Auftritt wurde der deutsche Countertenor in Form seiner futuristisch anmutenden Kunstfigur Klaus Nomi weltbekannt. Wenn Klaus Nomi mit glockenheller Stimme eine Mischung aus Opernarien, Popsongs und New Wave zum Besten gab, konnte sich niemand seiner Ausstrahlung entziehen.
Man betrachtete sein Auftreten mit einer Mischung aus überraschter Schockstarre und knisternder Gespanntheit - bis Nomi mit dramatischer Geste seine helle Falsettstimme erhob. Nomi wirkte wie ein moderner Kastrat, der einem Science-Fiction-Film entstiegen war. Oder war er in Wahrheit eine Frau oder ein geschlechtsloses Zwitterwesen? Sein weiß geschminktes Gesicht und seine sparsamen, roboterartigen Bewegungen sorgten dafür, dass man sich ganz auf seine Stimme konzentrierte.
Das viel zu schnelle Ende
Klaus Nomi wollte weder Clown noch Freak sein. Er verstand sich vielmehr als musikalischer Grenzgänger. Nomi war ein exzentrisches Zwitterwesen, das zwischen allen Welten schwebte. Er war homosexuell und infizierte sich als einer der ersten Stars der Musikszene mit AIDS.
Als Klaus Nomi im jungen Alter von nur 39 Jahren im New Yorker Memorial Sloane-Kettering Cancer Center völlig vereinsamt und fast mittellos starb, endete ein kurzer, aber umso spektakulärerer Weg. Die Kunstfigur und der sterbenskranke Mann dahinter waren bei seinem letzten Auftritt 1982 keine getrennten Einheiten mehr, die ein eigenständiges Leben führten. Sie hatten erkennbar zusammengefunden.
Nomi als schrillen Punk-Countertenor zu bezeichnen, wie es in einem Zeit-Artikel geschah, wird ihm nicht gerecht. Er war kein „Ding von einem anderen Stern“. Klaus Nomis Lebensleistung bestand nicht nur in der Selbststilisierung. Vielmehr nutzte der kleine und hagere Mann mit der hohen Stirn diese Mittel, um seine außergewöhnliche Stimme zu Gehör zu bringen. Mit seiner Falsettstimme durfte Nomi damals in keinem Opernhaus debütieren. Kastratenstimmen waren out - außer in der Popmusik.
So wählte sich Nomi eine Bühne jenseits des Opernhauses. Er wählte sich sein Publikum dort, wo eigentlich niemand Arien hören wollte - und schaffte es mit seinem ungewöhnlichen musikalischen Crossover, viele Menschen zu berühren. Wer will, kann Nomis Einflüsse im japanischen Kabuki-Theater, in frühen Science-Fiction Filmen wie „Metropolis“, in Bowies Ziggy Stardust-Figur oder in Marlene Dietrichs deutschem Akzent sehen. 2008, zum fünfundzwanzigsten Todestag, widmete das Online-Magazin „Die Zeit“ dem Countertenor einen Nachruf. Klaus Nomi wurde darin als „galaktischer Pierrot“, „gepuderter Pop-Tenor“ oder „Roboter mit onduliertem Haar“ bezeichnet. Der SPIEGEL hatte seinen Tod schon 1983 in wenigen Worten aufgegriffen.
Viel wichtiger ist es aber, den heute noch spürbaren Einfluss des vermeintlich vergessenen Klaus Nomi auf Lady Gaga, Rammstein, Nina Hagen, den jungen Peter Gabriel oder Max Raabe zu erkennen. Filme und Cover-Versionen einiger seiner Lieder erinnern noch heute an den ungewöhnlichen Countertenor. Zu Recht.
- Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden.
- 14762 Aufrufe
Kommentare
Ein Sänger, der stark fasziniert -
Dem stimmlich höchstes Lob gebührt!
LG Axel