Moral egal

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Moral egal

Wohin hat uns das letzte Jahrhundert entlassen, das Zwanzigste, das Jahrhundert der großen Brüche und der großen Verbrüderungen? Weiß das noch einer, erinnern wir uns noch daran, wie das damals war mit dem Grundgesetz, jener hellsichtigen Verfassung, die uns die Väter dieser jungen zweiten Republik schenkten, nachdem wir dem Höllenfeuer, das wir selber gelegt hatten, mit Blessuren, vor allem aber mit Hilfe der Sieger, entkommen waren?
Der Asche entstiegen, hatten wir geschworen, von diesem Boden, solle nie wieder ein Krieg ausgehen, wie uns der Alte vom Rhein wissen ließ. –

Aber ja doch ja – nur, ein bisschen Realpolitik, muss schon sein in dieser neuen Zeit. Schließlich leben wir nicht länger auf einer schmelzenden Eisscholle der Seligen, sondern in einer globalisierten Mischwüste, mit ein bisschen Alibi-Regenwald, umgeben von wachsenden Mais, Soja- und Palmölplantagen. -
Ins Grübeln kann man da schon leicht geraten.
Wo es doch gilt, Einflussphären zu festigen, Marktsegmente zu etablieren, und nebenbei geht es schon auch mal um Bohr- und Schürfrechte in fremden Territorien, nicht allein, um das angenehme Raumklima in den Glastürmen der Kapitalhochburgen zu sichern. Und Konflikte zwischen Drittländern, vor allem in Afrika, sind nur interessant, wenn Bodenschätze im Spiel sind. Andernfalls ertönen zwar die obligaten Bestürzungs- und Entrüstungsadressen von den Podien der Macht, aber das war’s dann auch schon, und der Fokus huscht weiter.
Die sprudelnden Erträge aus den Drogenanbaugebieten, einige groß wie deutsche Bundesländer, werden zum Kauf von Waffen gebraucht, die die Großen liefern, wozu auch wir gehören, um die „demokratisch gewählten“ Regimes zu stabilisieren: Operettenfürsten mit ihren Nutznießern sind das. Klammheimlich aber heißt es: Gibt doch schon mehr als genug Menschen auf der Welt.
Moral stört da nur. –
Und wir fragen uns, ob die Gesetzmäßigkeit zwischen Shareholders Wohlbefinden, Gewinnmaximierung und Humankapitalharmonisierung vielleicht doch nur eine gefühlte ist.
Das ist sie natürlich nicht, aber hattet ihr Kleinen nicht Vorteile von den Abholzungen, die wir in die Wälder eurer biederen Bausparmoral schlagen mussten. Seifenblasen platzen eben auch mal.
Also immer schön zusammenhalten, wenn es mal nicht so läuft. Sind wir mit euch denn nicht solidarisch? An negativen Gewinnen lassen wir euch doch teilhaben. Und die paar Kröten, wenn es mal besser läuft? – Wir tragen ja schließlich das Risiko. Und wir investieren doch …in China, Übersee, Afrika und in kleinere Motorsegler. -
Und immerfort wirkt rastlos die Spezies der Politiker, mit ihren Eiden auf die Verfassungen, Eide, die so hohl sind wie die Hülsen, aus denen die gezählten Erbsen kullern. Sie ruhen und rasten nie ob der Verordnungs-, Gesetzes-, und Novellenflut, die sie von Consulting-Groups kostenträchtig abscheiden lassen, aus Sorge um wessen Wohlergehen.
Manche Politiker ähneln geschlüpften Schildkrötlein am Strand, die schnellstmöglich dem schützenden Meer des Pensionsfriedens zustreben, während die Langsamen schon mal Möwenmägen füllen.
Aber wollen wir es denn anders? Ergötzen wir uns denn nicht an den verbalen Schaukämpfen die Polit-und andere Promis in Mikrofonhälse absondern. Wir lieben das Spektakel; die moderne Mediokratie ist unser Kolosseum…

©Hans Finke

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