Story XXVII: Bolero Bigottero - Page 2

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Stunden. Abdul fluchte leise vor sich hin. Seitdem man ihm Dienstwagen und Chauffeur gestrichen hatte und ihn einen Änderungsvertrag mit erheblicher Gehaltsreduktion unterschreiben ließ, war er auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Da der luxuriöse Ort des Treffens am anderen Ende der Stadt lag, stellte die Reise dorthin hinsichtlich der zeitlichen Komponente und der körperlichen Unversehrtheit eine gewisse Herausforderung dar. Hastig checkte Müller sein Postfach, sodass ihm fast eine offensichtlich falsch adressierte E-Mail entgangen wäre:

Von: Scrooge, Ogerus
Gesendet: Dienstag, 30. Februar 2020 10:58
An:; #Personalentsorgung; #Advocatus_diaboli; #witchfinder_general; Colonne-Vertébrale, Sans; Connard, Vase; von Kujau, Konrad-Adolf;

Betreff: Abwicklung von Abdul Müller

Mein lieber Sans Colonne-Vertébrale,

es gibt da eine Änderung der Vorgehensweise.
Nach Absprache mit Herrn Rofocale von der Rechtsabteilung freut es mich, Dir mitteilen zu können, dass wir Deinem und dem einstimmig arbeitsplatzerhaltenden Wunsch der Mitglieder Deiner Redaktion entsprechen können. Eine fristlose Kündigung ist aufgrund der vermuteten politischen Einstellung Müllers nach Aussage Rofocales ohne Schwierigkeiten möglich. Meine Bedenken hinsichtlich einer Abfindung erwiesen sich als gegenstandslos, da die Personalentsorgung mich darauf hinwies, dass Müller trotz seiner allzu langen Betriebszugehörigkeit laut Änderungsvertag keine solche zusteht. Herr Connard, unser Betriebsratsvorsitzender, hat mir glaubhaft versichert, dass der BR wie gewöhnlich keine Zicken machen wird, außerdem freue er sich, dass wir diesen ‚rechten Dissidenten‘ endlich entfernen würden.
Du kannst also ab morgen den lästigen Schmierfink wunschgemäß persönlich feuern und ihn vom Sicherheitsdienst aus unseren Räumlichkeiten entfernen lassen. Leider rät die Rechtsabteilung vom beabsichtigten Tritt in den Allerwertesten ab, aber Handfesseln können durchaus verwendet werden!

Viele Grüße,
Ogerus Scrooge
Personalreferent

Der erste Gedanke des geschockten Subjektes solch führungskräftlicher Fürsorgemaßnahmen bestand darin, seinem Chefredakteur einen Überraschungsbesuch abzustatten und diesem einen kostenlosen Aufenthalt in einem Krankenhaus seiner Wahl zu bescheren. Jedoch realisierte der Delinquenten relativ schnell die Sinnlosigkeit einer derartigen Aktion, mit der er sich mehr Schaden zufügte als seinem personalentsorgungstechnisch progressiven Arbeitgeber. Verbittert dachte Abdul an die vielen Jahre, die er in der Redaktion des ‚Starmirror‘ zubrachte und als getreuer Wendehals jeden ideologischen Kurswechsel mitmachte. Gerne bezeichnete sich das einst renommierte Magazin als ‚Sturmgeschütz der Demokratie‘ und was das Plattballern jeglicher Gegner des grünifizierten Establishments anging, so traf diese Aussage zweifellos zu. Trotz besserem Wissen trug Müller seinen Teil dazu bei, kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen und sogar Mitarbeiter, die ihre Profession als Journalist allzu ernst nahmen, in kollegialer Form fertigzumachen.
Schon seit langer Zeit hatte unser Mann erkannt, wie der Hase lief. Im Prinzip bestimmte nur ein wesentlicher Antagonismus diese Welt, nämlich der zwischen den Wenigen, die alles besaßen und jenen Vielen, die nichts oder fast nichts ihr Eigen nennen durften. Diese Ungerechtigkeit auszugleichen, stellte die eigentliche Essenz linker Politik dar. Wie dem geneigten Leser sich relativ leicht erschließen lassen dürfte, orientiert sich der Gegensatz zwischen Arm und Reich keinesfalls am Geschlecht oder der Hautfarbe. Das eigentliche Problem zu verschleiern, ist daher das vornehmste Ziel der wahrhaft Mächtigen und ihrer wissenden/unwissenden Marionetten. Das lässt sich am besten erreichen, wenn man versucht, möglichst viele gesellschaftliche Gruppen zu bilden und die dann gegeneinander ausspielt. In diesem Kontext möge man einige krude Ideen hinsichtlich angeblichem Antirassismus (positive Diskriminierung …etc…) unter die Lupe nehmen und schon machen einige gar schwachsinnige Theorien durchaus Sinn. Toll für die herrschende Klasse ist es natürlich auch, für den (un)gläubigen Westen eine Art Ersatzreligion zu finden, die die Menschen zum freudigen Verzicht und einem Leben in Armut ‚zur Rettung der Welt‘ unter einer wenig notleidenden Elite motiviert, denn unter normalen Voraussetzungen stößt die eigene Ausbeutung bei vielen Leuten nicht auf so große Akzeptanz. Spannt man zu diesem Zwecke noch ‚die Wissenschaft‘ ein oder gibt vor, dass ‚97 % aller Wissenschaftler‘ das eigene Weltbild unterstützen, dann ist die keinesfalls neue Weltordnung gesichert. Das I-Tüpfelchen dabei ist natürlich, wenn man dabei einen auf pseudo-links oder ‚grün‘ macht, denn damit neutralisiert man seinen gefährlichsten Gegner und kann in dessen Namen fleißig globalisieren und fürs ‚große Ganze‘ manche Öko-Systeme plattmachen. Tja Freunde, bekanntlich ist es ja nicht der coolste Trick des Teufels, die Welt glauben zu machen, dass es ihn nicht gäbe, sondern dass er der barmherzige, Hexen und Ungläubige jagende Gott sei. Ich fürchte, ich habe jetzt genug mit meinen zweifelhaften Weisheiten gelangweilt! Wenden wir uns wieder unserer Geschichte zu.
Verständlicherweise erst nach einigen Minuten, in denen der zu entsorgende Mitarbeiter zwischen Wut und Verzweiflung schwankte, realisierte Abdul, dass man offensichtlich vergessen hatte, ihn aus dem ‚witchfinder_general‘-Verteiler zu nehmen. Schnell checkte er seine sonstigen Zugriffsmöglichkeiten und stellte fest, dass diese ihm noch nicht entzogen worden waren. Ein böses Lächeln umspielte die Mundwinkel des journalistischen Auslaufmodells. Vielleicht konnte er sich doch revanchieren, bevor man ihn auf die Müllhalde der opportunistischen Vergeblichkeit warf.
(…)
Abdul betrat den prächtigen Besprechungsraum - nach der stilvoll überladenen Einrichtung ‚Louis Seize‘ benannt – fünf Minuten bevor das Interview beginnen sollte.
Sein Trip mit den heruntergekommenen, öffentlichen Verkehrsmitteln verlief relativ ereignislos. Lediglich in der U-Bahn pöbelten einige betrunkene Schrumpfgermanen gegen ‚Kanaken‘ und ‚Schwule‘, während in der Straßenbahn eine Gruppe offensichtlich Zugewanderte einen einheimischen Fahrgast wegen Respektlosigkeit mit Ohrfeigen züchtigte – der Greis hatte die Jugendlichen wohl durch Blicke belästigt. Im Hilton angekommen, betrachtete ihn die Rezeptionistin angesichts seines billigen Outfits mit einem abfälligen Blick, wies ihm aber mit kühler Höflichkeit den Weg.
Nur zwei weitere Personen befanden in dem von einer aufwendigen Ölzentralheizung wohlgewärmten Raum. Sogleich erkannte der in Ungnade gefallene Journo-Prinz Marie A. Kulakskaja - eine attraktive Dame Anfang der zwanziger Jahre vom Typus ‚höhere Tochter‘ – und einen eher unscheinbaren Herrn im aufwendigen Maßanzug, an dessen Name er sich zwar nicht erinnern konnte, der aber seines Wissens der Pressesprecher ihres professionellen Marketingteams war. Während die Kulakskaja Abdul mit einem amüsierten Blick musterte, ergriff das offizielle Sprachrohr nassforsch das Wort.
„Sieh an, der Herr vom ‚Starmirror‘. Die Rezeption hat Ihr Kommen schon angekündigt. Setzen Sie sich bitte auf diesen Klappstuhl, den wir extra mitgebracht haben, um die stilvollen Möbel vor Ihren Billigtextilien zu schonen. Gut! Ich bin Joe Boegbels, Pressesprecher und ‚Majordomus‘ unserer obersten Aktivistin. Marie dürfte selbst Ihnen bekannt sein, und wir können uns in dieser Hinsicht weiteres Blabla sparen. Sie haben doch den von uns vorbereiteten Fragenkatalog mitgebracht?“
Der Herr vom privatwirtschaftlichen Propagandaministerium sah Müller auf seinem

Hat naturalmente nix mit lebenden oder toten Zeitgenossen zu tun.
Cheerio
JU

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Kommentare

28. Dez 2020

Frau Krause sah die "Hilton-Bar" -
Dann war sie auch schon nicht mehr da ...

LG Axel

28. Dez 2020

Denn ohne einen ordentlichen Schluck im Kragen, kann auch Krause das Polit-Theater kaum ertragen.
Cheers
JU

29. Dez 2020

Da sag ich nur: Einfach genial!

Ich bedanke mich für die Kurzweil!

LG Alf

29. Dez 2020

Nicht so genial, aber leider real! Danke für die Blumen.
Cheerio
JU

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