Du bist verrückt

Bild von Willi Grigor
Bibliothek

Auckland, 20. Februar 2010

Ich hab's erzählt schon manches Mal
und erzähl es noch einmal.
Also, das ist so gewesen,
irgendwo hab ich gelesen:

"In Neuseeland machen sie so Sachen,
die Verrückte glücklich machen.
In Auckland, der großen Stadt im Norden,
treffen sich Fast-Selbstmord-Horden
um vom Fernsehturm zu springen.
Ohne Fallschirm! Kann das gelingen?"

In mir etwas explodiert,
werde richtig int'ressiert.
"Liebe Frau, wir müssen hin,
Spannung gibt dem Leben Sinn.
Wir fliegen eh nah Ost-Australien,
ein Flug nach Auckland, nur Lappalien."
Die Frau sagt "Ja", uninspiriert,
"drück die Daumen, dass nichts passiert."

Ich steh auf hundertneunzig Meter Höhe
und spür den kühlen Meereswind.
Wenn ich in die Tiefe sehe,
seh ich wie klein Neuseeländer sind.
Auf diesem Platz, mehr Trottoir,
werd ich wohl landen, offenbar.

Ich schlurfe zu der Absprungkante,
die Rettungsleine gibt mir Mut.
Der Nach-mir-Springer, der arrogante,
sagt: "Mach schon, Alter, wird schon gut".

Es ist alles gutgegangen,
das Drahtseil hat mich abgefangen.
Das Unternehmen war geglückt,
die Frau nur sagte: "Du bist verrückt!"

(Wie der Wahnsinn vor sich geht
auf skywalk.co.nz steht.
Diesen Sprung und andre Sachen
kann man nur in Auckland machen.)

© Willi Grigor, 2015
Aus dem Leben

Der Grund nach Neuseeland und Auckland zu fliegen war nicht, um von diesem Turm zu springen (und vorher dort oben einen Rundgang auf einer geländelosen Plattform zu machen). Das Gedicht ist eine nachträgliche Konstruktion. Der Entschluss für dieses Abenteuer kam ganz spontan vor Ort, als ich die Springer sozusagen auf die belebte Straße der Innenstadt fallen sah.

Lesen Sie hier, wie der Tag damals verlief:
literatpro.de/prosa/090516/au-2010-ein-tag-in-auckland-nz