Januar-Gedicht 2020 der Künstlergruppe 14 Zoll: „Aus dem Schatzkästchen“

Bild von axel c. englert
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Aus allen Wolken (Alf Glocker)
 
Unendliche Weiten. Wir schreiben anno 2000 nach Christi Geburt. Ein großes blaues Raumschiff rast durch das All, um seinen Jahreslauf zu vollenden. Es hat etwa 7,5 Milliarden Besatzungsmitglieder und leichte Steuerungsprobleme. Sein vorläufiges Ziel lautet „Weihnachten“, aber der Bordcomputer hat es nicht einfach, die richtigen Koordinaten vorauszu- berechnen.
Längst schon wurde der Stern von Bethlehem überholt – er glänzt noch verheißungsvoll am Abendhimmel – aber der Ausguck meldet immer noch kein „Land in Sicht“. Und selbst die süßen Klänge der allerorts bereits deutlich vernehmbaren Registrierkassenglöckchen scheinen der Besatzung des blauen Raumschiffes nicht weiterzuhelfen. Doch da, in der höchsten Not, haben sich drei sogenannte Weise zu Wort gemeldet, von deren Existenz sowohl im Morgen-, im Mittags- wie auch im Abendlande zwar heftig gemunkelt wurde, die aber nie wirklich zur Kenntnis genommen werden konnten. Stets waren ihre Stimmen zu leise gewesen. Von Automotoren übertönt, vom Fluglärm erstickt, oder in mancherlei Diskussionen überschrien, hatten sie sich als zu bescheiden für das öffentliche Gehör erwiesen. Jetzt jedoch, bar anderer Möglichkeiten, hat man ihnen Einlass gewährt, um einen Zaubertrick vorzuführen, den allein sie imstande sind zu demonstrieren.
Um eine Übung mit vereinten Kräften soll es sich handeln – so jedenfalls verlautete vor einigen Minuten aus dem Umfeld gut informierter Kreise – und jeder werde gebraucht, hieß es.
Notwendig sei es, sich einfach hinzusetzen, sich zu entspannen und vorläufig an nichts Bestimmtes zu denken. Nach dem Ausschalten motorisch geprägter Verhaltensnormen käme dann ein kleiner roter Ball zum Vorschein. Dies sei, so versicherten die Weisen, aber nur imaginär zu verstehen. Nichtsdestoweniger verkörpere dieser Gegenstand einen wesentlichen Teil unseres Selbst, der jeden einzelnen Menschen in die Lage versetze, völlig frei zu navigieren, wodurch ein Auffinden unseres Zieles mit dem, zugegeben etwas mystischen Namen „Weihnachten“, rein theoretisch ca. 6,5 Milliarden Mal möglich wäre.
Das Schwierigste an der ganzen Sache sei es lediglich, dem imaginären roten Ball einen geeigneten Namen zu geben. Vorschläge dazu können, aus Zeitnot, leider nicht mehr angenommen werden, deshalb hat das Komitee zur Auffindung von Weihnachten eine Empfehlung herausgegeben, deren Inhalt wie folgt lautet ...
 
Imaginäre, kleine rote Bälle hören am liebsten auf die Namen „Freundschaft“ oder „Liebe“. Gerne lassen sie sich aber auch als „Streben nach Harmonie“ bezeichnen.
 
Für die nun bevorstehenden Konzentrationsübungen wünschen wir uns am besten gegenseitig viel Glück, denn natürlich sind wir uns des Ernstes der Lage bewusst. Schließlich wissen wir genau, daß es, sozusagen als moralische Unterstützung, heuer wahrscheinlich nicht schneien wird.
Stattdessen könnten wir selbst aus allen Wolken fallen, wenn wir erkannt haben, daß wir gut in Weihnachten angekommen sind.
 
 
 
*
 
 
Durchsage aus dem Bordlautsprecher
 
Meine Damen und Herren, wir passieren jetzt gleich die Promillegrenze. Bitte halten Sie Ihre Ausweise bereit und werfen Sie Ihren Charakter über Bord. Es werden strenge Kontrollen vorgenommen, die auch noch weit im Hinterland stattfinden können. Es rentiert sich also nicht, etwas von Ihren Mitbringseln zu schmuggeln. Dafür werden Sie durch die grandiose Aussicht auf die Sierra Alkoholika reichlich entschädigt. Nirgends sonst bietet sich Ihnen ein derart kunterbuntes Panorama.
Wir wünschen Ihnen allen nun viel Spaß. Genießen Sie dieses Abenteuer, als wäre es das erste Mal, oder als ginge es um Ihr Leben.
 
*

© Alf Glocker

Nein – nicht „UFA“ – Sie komische Figur! (Axel C. Englert)

Was machen SIE auf MEINEM Platz?!
VERSchwinden Sie, sonst gibt‘s Rabatz!
Im Dom zu Naumburg bin bloß ICH
Die große Nummer! Meisterlich …

Ha! WELTBERÜHMT bin ICH! Jawoll:
Touristen finden MICH voll toll!
Na – Kunstgeschichtler sowieso –
Dann Ratefreunde – mit Niveau …

Pah! Gehn Sie STIFTEN! Ist das klar?!
Denn ICH als UTA bleib der STAR!
(Du liebe Zeit – hat DIE geplärrt!
Ich heiße „Stifter“ – Adalbert …)

© Axel C. Englert

Sommerabend (Angélique Duvier)
 
Motor brummt, Asphalt wird brüchig,
der Weg vom Hof auf die Straße,
leergefegt die Gärten und Wege,
graue Flächen aus Beton.
Gurrende Tauben auf den Dächern.
Schattenhafte Baumfiguren
zaubert das Abenddämmerlicht,
das langsam heruntersteigt.
Blicke aus trüben Fensterscheiben,
auf den leergespielten Hof.
Zerbröselte Brotkrümel,
von Schattenfingern
hinuntergestreut,
was die Vögel
freut.
 
© Angélique Duvier

Winterabend (Angélique Duvier)
 
Der Teekessel schreit
und spuckt heißen Dampf.
An der Fensterscheibe
betrachte ich breite Tränenrinnen,
sie zerfließen ins Nichts.
Schattenhafte Menschfiguren
eilen durch das Dämmerlicht
des frühen Abends,
das langsam heruntersteigt.
Laternenlichter zaubern Figuren
aus kahlem Baumgeäst
auf graue Betonflächen.
Leergespielte Höfe
warten auf Kinderlachen
und auf einen neuen Morgen.
 
© Angélique Duvier

Die Ehebrecherin  (Corinna Herntier)

An Ufers Strand steht sie allein. Der Wind bläst wild und mächtig,
und in ihr ruht das nächste Kind. Sie streichelt ihren Leib so lind,
voll Wehmutlieb – bedächtig.

Ihr Mann spie ihr ins Angesicht – die Scham ließ sie erröten.
Er schrie ihr wilde Flüche nach, weil sie die heil’ge Ehe brach,
und drohte, sie zu töten.

Ihr Liebster wagte sich heran, wollt mit ihr fliehen, sie retten.
Der Pöbel brüllte „Hurensohn“ und dann ergriffen sie ihn schon.
Jetzt hängt er tot in Ketten.

Die Leute riefen „Teufelsweib“. Sie musste es ertragen.
Doch als man ihr den Liebsten nahm, der Todeswunsch sie überkam.
Sie will sich nicht mehr plagen.

Die Kälte kühlt das Brennen nicht, das schuldbewusst sie leidet.
Es zuckt, was nicht mehr heimlich blieb – die Frucht aus Sündes Liebestrieb –
als sie sich stumm entkleidet.

Schon wagt sie zögernd einen Schritt, das Nass umspült die Füße,
und weiter treibt es sie voran, bis sie schon nicht mehr stehen kann.
Sie sinkt herab. „Ich büße!“

Noch hält sie ihren Atem an. In ihr nur Kampf und Ringen.
Und plötzlich reißt es ihr am Haar! Ist das ein Zeichen Gottes gar?
Soll sie den Tod bezwingen?

Wer zerrt nach oben sie voll Kraft? Wer hat solch starke Hände?
Da trifft ihr Blick ein Angesicht, das laut und deutlich zu ihr spricht:
„Dies sei noch nicht dein Ende!“

Mit Angst erfüllt starrt sie es an! Ist das die Hexe Hufer?!
Zwei alte Augen funkeln blau. Sie ist’s! Die böse Kräuterfrau!
„Komm mit ans feste Ufer!“

Die Alte schaut mit mildem Blick, die junge Frau guckt fragend.
„Ich bin nicht mit dem Satan eins! Er ließ mir von den Kindern keins.
Ich floh vor Gram verzagend.

Im tiefen Wald erst fand ich Ruh und Trost nach langem Suchen.
Ich heile mit manch Kräutertrank – da krieg ich Mehl und Salz zum Dank,
doch hintendrein ein Fluchen!“

„Wohin mit mir, du gute Frau? Mein Mann, der wird mich töten.“
„Sei meine Hilfe, geh doch mit! Bald sind wir, wie ich seh, zu dritt.
Befrei dich von den Nöten.“

„Ich habe noch zwei Söhne

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