Haben Bäume eine Seele?

Bild von Jürgen Wagner
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Ob Bäume eine Seele haben
so fing schon mancher an zu fragen
Wo kommt denn u n s ' r e Seele her
wenn nicht vom großen Lebensmeer?

Ich bin geboren im Schosse der Erde
Ich treib nach unten und oben und werde
bis es einmal durchbricht
Da seh ich das Licht!

Nun mag ich stehen
ins Erdreich gehen
Mich langsam bewegen
empfangen den Segen
mich nähren und müh’n
und wachsen, erblüh’n

Bin männlich u n d weiblich
Vernetzt so vielseitig
Ich atme und gebe
im Wind mich bewege
Hab Gäste, Verwandte
und sehr enge Bande

Ich wachse empor
bring’ Früchte hervor
Ich kann mich vermehr’n
und vielseits verkehr’n
Nicht immer ganz freundlich
denn Feinde sind häufig

Machmal auch das Wetter
das spüren die Blätter
Ob warm oder kälter
ich werd’ alt und werd’ älter
verzweig’ mich und breite
die Krone ins Weite

Ich komm aus der Erde, bin mit ihr vertraut
Ein Glücksfall des Lebens – und so gebaut
Ich nehme und gebe und wachs’ immerzu
gedeihe, entbehre, kann sterben im Nu
Verwundet, geschlagen und siehe: ich falle
Das ist manchmal so - wie wir alle

2014-16 Was in Pflanzen vorgeht, ist doch erheblich mehr, als sich ein Waldspaziergänger oder ein Balkongärtner mit Gießkanne und Nährstoffstäbchen träumen lässt. Pflanzen haben zwar keine Nerven in dem Sinn, wie der Mensch sie hat. Aber es gibt viele vergleichbare Strukturen. Sie reagieren auf Licht, Schwerkraft, Berührung, Geräusche und Temperaturschwankungen. Nur gehen die Prozesse um ein vielfaches langsamer als bei Tier oder Mensch. Der feinfühligste Teil sitzt in der Wurzel. Pflanzen reagieren auf Schall, wie vielfache Versuche ergeben haben. "Die beschallten Weinblätter sind größer und die Trauben aromatischer als die unbeschallten. Jede einzelne Pflanzenzelle hat eine Membran, die empfindlicher ist als das menschliche Hörorgan. Tomaten, morgendlich mit reichlich gutem Zureden bedacht, brachten durchschnittlich einen Mehrertrag von 500 Gramm. Bei Akazien ist belegt, dass sie in der Lage sind, sich zu verständigen, um sich gegen Fraßfeinde zu wehren. Dies geschieht über die Ausbreitung von Botenstoffen über die Luft, was andere Akazien dazu anregt, in ihren Blättern giftige Tannine anzureichern. Entdeckt wurde dies, nachdem über 3000 eingezäunte Antilopen verendeten, die zwangsweise nur Akazien in dem eingezäunten Gebiet zum Fressen zur Verfügung hatten.

Veröffentlicht / Quelle: 
'Baumgedichte' - Berlin 2014

Video:

Ein Interview mit Peter Wohlleben

Interne Verweise

Kommentare

15. Mai 2016

Es ist ein Vergnügen, in diese so informative Dichtkunst eintauchen zu können. Wissen bedeutet auch Augenöffnung. Mit einem besonderen Blick in die beseelte Natur zu schauen. Und hier Freund Baum facettenreich empfinden zu dürfen. Sehr schön.
LG Monika

15. Mai 2016

Danke Dir! Ich habe viele viele Jahre gar nichts gesehen, aber wenn man einmal anfängt, merkt man etwas von dem großen Zusammenhang des Lebens. Grüße! Jürgen