Wer bringt die Möwen vor das Seegericht?

Bild von Annelie Kelch
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Das Schiff des Herbstes
Dockt im heimatlosen Hafen an
In meinem leisen Zimmer
Schwankt das blasse Licht
Von Deck floh, was zur Crew
gehört, in den ,Klabautermann'
Wer löscht die Fracht bei Sturm
Und wer bei Regen? – Wer ist dran?
Wer bringt die lauten Möwen
Vor das Seegericht …?

In meinem leisen Zimmer
Schwankt das blasse Licht
Aus allen Kisten bricht der wilde Sturm
Ich schau zur Tür, die Angelwunde
ist geschlossen – und ich weiß ja längst:
Verzehrt hat meine Liebe sich, du bist es nicht ...
Die zwölf Geschworenen des Herbstes
brüten übers nächste Weltgericht
Zurückgezogen hat sich das Gesetz:
Mit harten Augen und in kühler Runde.

Das Salz des Meeres bäumt sich auf ...
Es will an Deck, Seebären abzuküssen
Doch kein Matrose kehrt aufs Schiff zurück:
Auf ihrem Stadtplan ist die Liebe eingetragen
Das kann das kristalline Salz nicht wissen ...
Die Straßen leuchten rot, den leichten Mädchen
folgend: Luden unverfrorn ... Auf Freiersfüßen?
Ehr selten ... doch für jede Schlacht zu haben
Gelassener als selbst der Gläubigste:
So werd ich nimmermehr verzagen.

Mein Traum erwartet sehnsuchtsvoll die Abendbilder
In meiner Seele nistet sich vergnügt die Zukunft ein
Ich bring die lauten Möwen nicht vors Seegericht
Sie sind mein Kompass, führen mich zum Hafen
Lasst doch die lauten Möwen ruhig schrein …
Am weiten Meer kann ich am besten schlafen
Wenn still der Tag im Dunkelfell der Nacht versinkt
Sich in den Kneipen der Klabautermann betrinkt
Die Chansonette im Beachclub Liebeslieder singt:
Von ihm und ihr, die sich am Strand zufällig trafen …

Tage aus Stahl, die niemand in die Knie zwingt
Das Urgefühl des Kindes: unterm Nachtsegel erwacht
Ich bring die Möwen nicht vors Seegericht …
Bin froh, wenn mir am Meer die Möwe lacht
Der Weiheguss der Wellen mich zur Umkehr zwingt:
Des Sommers Scherben vor den Füßen, die der Herbst
zersingt, in letzten Spuren, windverstreut, noch Leben ringt
darüber Gott sich grämt wie einst um seine Welt
Dank ich dem Hoffnungsstrahl, der in die Herzen dringt
Und bin gewiss, dass meine Liebe zu dir ewig hält.

Interne Verweise

Kommentare

22. Sep 2018

Vielen lieben Dank, Hr. Ismael ( : - )))!

Wogende Grüße von der Ostseeküste,

Annelie

22. Sep 2018

Liebe Annelie,
Du Zauberin der Worte, versetzt mich in eine unwirkliche Wirklichkeit, die mich gefangen nimmt.
>Mein Traum erwartet sehnsuchtsvoll die Abendbilder
In meiner Seele nistet sich vergnügt die Zukunft ein
Ich bring die lauten Möwen nicht vors Seegericht
Sie sind mein Kompass, führen mich zum Hafen
Lasst doch die lauten Möwen ruhig schrein …<
Da nimmst Du mich mit. Da riech ich das Meer und hör die Möwen schrein!
DANKE für den Kurzurlaub!

Liebe Grüße,
Monika

22. Sep 2018

Danke, liebe Monika, für Deinen lieben Kommentar. Gern hat meine Seele Dich - und auch mich - in den Kurzurlaub mitgenommen: ans Meer: nach Sylt, nach Föhr, Husum, Grömitz, Travemünde, Cuxhafen, Hiddensee etc. Surreal ist die Annahme, jemand könne die Möwen vors Seegericht bringen, obwohl das Seegericht real existiert, existieren muss, und die Fälle, die dort verhandelt werden, sehr interessant sind. Mir kam eine Idee: Sofern Dir mein Gedicht gefallen hat, werden Dir, so meine ich, auch die Gedichte von Günter Grass gefallen. Sie haben oft etwas Surrealistisches und gleichzeitig Reales im Text. Und immer dann, wenn ich ein Gedicht schreibe und eine oder mehrere Zeilen in einer spontanen Wendung, die mir plötzlich einfallen, auch nur im Entferntesten seinem Stil ähneln, was daran liegen mag, dass ich seine Gedicht unzählige Male gelesen habe, muss ich an ihn denken. Und ich bin gewiss, dass Du auch alle seine Bücher kennst.

Liebe Grüße zu Dir und Khalessi
und euch beiden ein wunderschönes Wochenende,
Annelie

22. Sep 2018

Vielen Dank für diese wunderbare Reise, für dieses bilderreiche Kunstwerk, für deine zauberhafte Poesie, liebe Annelie.

Herzliche Abendgrüße,
Ella

22. Sep 2018

Danke, liebe Ella, für Deinen zauberhaften Kommentar. Deine lieben Worte werden mich in die Nacht begleiten.

Liebe Grüße zu Dir und
einen schönen Sonntag,
Annelie

22. Sep 2018

Dein farbenreiches Herbstgedicht,
ich hab es froh zur Nacht gelesen
und mir ist gerade so, als wär’ ich
auch mit Dir am Meer gewesen ...

liebe Grüße zu Dir - Marie

22. Sep 2018

Ach, das wär schön:
Moni, Marie und Annelie
zu dritt am Meer ...
wo es uns ständig wohl
zumut zum Dichten wär.

Danke für Deinen Kommentar, liebe Marie,
und einen schönen Sonntag,

Liebe Grüße,
Annelie

23. Sep 2018

Der Herbst findet nicht nur um Lande statt,
auch auf See, im Hafen, im Watt …

Liebe Sonntagsgrüße
Soléa

23. Sep 2018

Ja, liebe Soléa, da hast Du wohl recht ...
Im Hafen kann 's stürmen, im Watt und auf See ...
ist der Wind oft sehr stark und tut regelrecht weh.

Danke für Deinen Kommentar und liebe Sonntagsgrüße
zu Dir nach Frankreich,
Annelie

Ingeborg henrichs
23. Sep 2018

Schon der Titel wirft eine ungewöhnliche Frage auf. Ich stutze. Folge dem Gedicht wie einer Lebensreise, vorbei an poetisch verdichteten Bildeindrücken, immer die Möwen mit dabei. Sie führen zurück ans Meer. Am Ende erfahre ich, versöhnlich und hoffnungsfroh vom lyr. Ich, dass die Liebe, eine bestimmte vielleicht, ewig hält. Ein ganz großes Gedicht,liebe Annelie, ist das. Herzlichst - Ingeborg

23. Sep 2018

Liebe Ingeborg, herzlichen Dank für Deinen sonntäglich lobenden Kommentar, über den ich mich sehr gefreut habe. Die Möwen bringt man nicht vors Gericht ... es liegt in Ihrer Natur, zu kreischen und zu schreien, oft vor Hunger. Die Möwen stören nicht, weil sie nicht mutwillig "Krach machen". Mutwillige Störer gibt es mehr, als man denkt. - Ich dachte beim Schreiben aber in erster Linie an den Herbst - und dass er in diesem Jahr so sehr früh über uns hereingebrochen ist, viel früher als erwartet. Nichts ist wirklich bunt, alles ist grau in grau, und draußen ist es nasskalt. Ja, da hast Du wohl recht - die Möwen führen uns ans Meer zurück. In Hamburg kamen die Möwen ganz nah an meine Fenster, obwohl ich weit vom Hafen entfernt wohnte. Sie leiden im Winter Hunger und fliegen in die Wohngebiete, um dort Nahrung zu finden. Und eine Liebe, die ewig hält - ja, Ingeborg, das kann ich mir durchaus vorstellen.

Liebe Sonntagsgrüße zu Dir,
Annelie

23. Sep 2018

Wahrlich einzigartig

mäandernd
in Sinn und Gedanken:

Sie sind das Salz in der Suppe der Meere
im herbstlichen Sehnen sturmvertont
diese kreischend fliegenden Heere
verwunden zu Härten doch glanzbewohnt
Gegeben wie letzte Scherben zur Liebe entlohnt
inmitten gewichtsloser Freiheit haben sie Ehre

LG Yvonne

24. Sep 2018

Danke, liebe Yvonne, für Deinen wunderschönen, poetischen Kommentar: gewichtslose Freiheit ... das gefällt mir. Würde man "Möwen" - über mäandernd setzen, käme dabei ein gedankenschweres, ganz wunderbares Herbstgedicht heraus, ach, auch ohne das; schließlich soll man als Leser nicht denkfaul werden.

Liebe Grüße zu Dir,
Annelie