Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 131

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de Gernande, »es gibt keinen Teil meiner unglücklichen Person, aus dem er nicht zu seinem Vergnügen Blut fließen ließe.« Und sie bewies es ihr, indem sie ihre Füße, den Bauch, die Brüste, Hinterbacken, ja selbst die Schamlippen zeigte. »Vielleicht,« sagte die interessante Frau, »würde ich weniger leiden, wenn er nicht die abscheuliche Idee hätte, zu dieser Operation die Zeit unmittelbar nach der Mahlzeit zu wählen. Diese doppelte Grausamkeit verdirbt mir den Magen, ich kann nicht mehr verdauen.« – »Nun, Madame, könnten Sie sich denn nicht am selben Tage des Essens enthalten?« – »Ich bin nicht benachrichtigt, er überrascht mich; ich weiß nur, daß er[307] nach Zwischenpausen von drei bis vier Tagen kommt, aber nie kann ich den Augenblick bestimmt erraten; nie würde er den Moment wählen, da ich vorbereitet bin.«

Indessen vergeudeten Gernandes Freunde nicht ihre Zeit; die zwölf Lustknaben, die eben in Gebrauch standen (man brachte sie stets in dieser Zahl alle drei Monate), waren bereits so oft bearbeitet worden, daß man ihrer überdrüssig zu werden anfing.

»Das wird nach dem Diner stattfinden,« sagte Gernande, »bereiten wir uns durch ein recht wollusterregendes Mahl zu diesem großen Werke vor. Justine und Dorothéa werden nackt dinieren, sechs meiner kleinen Liebesgötter werden in demselben Zustand zwischen ihnen sitzen, die sechs anderen werden als Priesterinnen der Diana gekleidet, uns bedienen; ich verspreche ihnen das beste Diner, das sie je bei mir genossen haben.«

Es wäre tatsächlich schwer gefallen, sich ein reicheres und erleseneres, ein lukullischeres Mahl zu denken; die vier Weltteile schienen zu wetteifern, die Tafel dieser Lüstlinge mit ihren Schätzen zu versehen; es fanden sich zugleich die Weine aller Länder und die Speisen aller Jahreszeiten vor. Dieses eine Diner kostete zweifellos mehr als die Ernährung von zehn oder zwölf unglücklichen Familien während eines Monats.

»Nach den Genüssen der Wollust«, meinte Gernande, »gibt es nichts Göttlicheres als die der Tafel.« »Sie stützen sich beide gegenseitig derart« sagte Bressac, »daß es ausgeschlossen ist, daß die Anhänger der ersteren nicht auch die letzteren verehrten.« »Es ist nichts so köstlich als der Feinschmeckerei zu fröhnen,« antwortete Gernande; »nichts kitzelt so wollüstig meinen Magen und meinen Geist; diese schmackhaften Speisen bereiten das Gehirn so gut auf die Eindrücke der Wollust vor, daß es, wie mein Neffe sagt, kaum einen richtigen Wüstling gibt, der nicht die Tafel hochschätzt. Ich gestehe, daß es häufig mein Wunsch war, die Ausschweifungen des Apscius, dieses berühmten römischen Gourmands, nachzuahmen, der lebende Sclaven in seine Fischteiche werfen lies, damit das Fleisch seiner Fische delikater werde. Grausam in meiner Wollust, wäre ich es ebenso bei diesen Ausschweifungen, und ich möchte tausend Individuen opfern, wenn dadurch eine Speise appetitlicher und erlesener würde. Ich staune nicht, daß die Römer einen Gott der Feinschmeckerei ersonnen haben. Mögen stets die Völker leben, die ihre Leidenschaften derart vergöttlichen. Welcher Unterschied zwischen den dummen Anhängern Jesu und denen Jupiters! Die ersteren sind absurd genug, eine Handlung, die die anderen hoch einschätzen, zum Verbrechen zu stempeln.« »Es heißt,« sagte[308] D'Esterval, »daß Cleopatra, eine der größten Feinschmeckerinnen des Altertums, die Gewohnheit besaß, vor Tische sich wiederholt klystieren zu lassen.« »Auch Nero tat desgleichen,« sagte Gernande, »ich führe es ab und zu an mir aus und befinde mich dabei gut.« »Ich lasse mich anstatt dessen sodomieren,« meinte Bressac, »der physische Effekt ist fast der gleiche, während die Psyche unvergleichlich mehr ergötzt wird, nie nehme ich ein Mahl ein, ohne mich ein dutzendmal bearbeiten zu lassen.« »Was mich betrifft,« sagte Gernande, so gebrauche ich einige Gewürze, namentlich Senf; man bereitet mir daraus ein so stark abführendes Getränk, daß ich, wenn ich es ausgetrunken habe, rasend hungrig werde. Da es ganz selbstverständlich ist, daß man zu den Freuden der Wollust sich anregt, warum sollte man sich denen der Feinschmeckerei gegenüber anders verhalten? O, ich gestehe – fuhr das Ungeheuer, die köstlichen Speisen verschlingend, fort – »die Unmäßigkeit ist meine Gottheit; ihr Bild stelle ich in meinem Tempel neben dem der Venus auf; nur zu beider Füßen könnte ich mein Glück finden.« »Das, was ich darüber oft gedacht habe, wird ihnen recht böse scheinen,« sagte Dorothéa, »aber gestatten sie, daß ich alles sage. Ich gestehe, daß es einer meiner größten Genüsse wäre, vor meinen Augen von Hunger abgezehrte Unglückliche zu haben, während ich mich übersättige.« »Das begreife ich,« antwortete Bressac, »nur müßte der Mensch, der der erwähnten Passion huldigt, mächtig und angesehen genug sein, um durch seine Feinschmeckerei seine ganze Umgebung zu entkräften; seine Untergebenen müßten infolge seines unmäßigen Verbrauches Hungers sterben.« »Ja, ja,« erwiderte Dorothéa, »so habe ich es gemeint; man hat keine Vorstellung, was ich alles bei einem solchen Mahle verschlingen könnte.« »Jawohl,« sagte Gernande, »ich glaube, daß Tiberius von solchem Blutmahle geschwärmt hat.« »Was mich betrifft,« meinte d'Esterval, »so liebe ich Nero außerordentlich, der nach Tisch fragte: was das eigentlich sei, ein Armer?«25 »Wenn es – worüber kein Zweifel besteht – wahr ist,« meinte Bressac, »daß die Unmäßigkeit die Mutter aller Laster und der Lasterpfuhl das verdiente Paradies ist, müssen wir alles thun, um die Unmäßigkeit in uns zu steigern. Und wie frischgestärkt machen wir uns tatsächlich an die wollüstigen Handlungen, wenn wir uns nach einem unmäßigen Mahle daran machen! Wie erregt sind dann unsere Lebensgeister! Eine ungewohnte Hitze scheint unsere Adern zu durchströmen, die Begierde nach den Objekten unserer Wollust[309] wird so stark, daß man ihr nicht widerstehen kann. Vergleichen Sie Ihre Kräfte, Sie werden kaum einen Verlust wahrnehmen. Es ist so viel aufgespeichert, daß man eine Unzahl von Anläufen machen kann, die man sonst nicht wagen würde; alles verschönt und schmückt sich; die Illusion bedeckt alles mit ihrem goldenen Schleier, so daß Sie Dinge unternehmen, die im nüchternen Zustande Ihnen Schauder erwecken würden. O wollustvolle Unmäßigkeit! Ich schätze dich als die Neuschöpferin der Genüsse; nur mit dir kostet man sie so recht; durch dich verlieren sie Ihre Stacheln, du allein ebnest den Weg, der zu ihnen führt; du allein befreist sie von den dummen Gewissensbißen; du allein verstehst es, diese kalte und monotone Vernunft in Taumel zu versetzen; ohne dich würde sie alle unsere Leidenschaften vernichten.«

»Lieber Neffe,« sagte Gernande, »wärest du nicht viel reicher als

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Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906
Prosa in Kategorie: 
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