Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 129

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erholen. Da unsere Leser den Taumel der anderen kennen, wollen wir sie nicht damit ermüden; wohl aber wollen wir unsere Aufmerksamkeit dem Grafen ein wenig zuwenden. Fast eine volle Viertelstunde dauerte seine Extase ... und welch eine Extase! Großer Gott! Er schlug um sich wie in einem epileptischen Anfalle, seine schrecklichen Schreie, seine entsetzlichen Blasphemien wären auf eine Meile weit vernehmbar gewesen; er schlug auf seine ganze Umgebung los, seine Zuckungen waren fürchterlich.

Ueberlassen wir zwei Tage lang die ganze ausgelassene Gesellschaft sich selbst. Nur die Stellung Justinens an der Seite ihrer Herrin soll uns beschäftigen.

Nach Verlauf dieser Zeit hieß Gernande sie zu ihm in den Salon kommen, wo er sie bei ihrer Ankunft empfangen hatte; sie war noch schwach, fühlte sich aber sonst ganz gut.

»Mein Kind,« sagte er zu ihr, indem er ihr die Erlaubnis gab, sich zu setzen, »ich werde die gestrige Szene nur selten wiederholen, sie würde Sie erschöpfen und ich bedarf Ihrer zu anderen Dingen; doch war es wichtig. Ihnen meinen Geschmack kund zu tun, und die Todesart, der Sie zum Opfer fallen werden, wenn Sie mich verraten, ja, wenn Sie sich nur von der Frau, an deren Seite ich Sie stelle, verführen lassen sollten. Diese Frau ist meine Gattin, wie Ihnen mitgeteilt wurde; das ist aber für Sie eine äußerst verhängnisvolle Sache, da sie sich täglich dem bizarren Gelüste, das ich an Ihnen befriedigt habe, unterwerfen muß. Glauben Sie übrigens nicht, daß ich sie aus Rache, aus Verachtung oder durch ein Gefühl des Hasses so behandle; es geschieht, nur aus Trieb. Nichts kommt dem Genuß gleich, den ich verspüre, wenn ich das Blut dieses Geschöpfes vergieße; es ist die köstlichste Freude meines Herzens, nie habe ich mich mit ihr in anderer Weise ergötzt. Seit drei Jahren ist sie an mich gekettet und erduldet, regelmäßig alle vier Tage die Operation, die ich an Ihnen erprobt habe. Ihre große Jugend (sie zählt kaum zwanzig Jahre), die besondere Sorgfalt, die man auf sie verwendet, die reichliche Nahrung, die sie zu sich nimmt, all das hält sie aufrecht. Aber Sie begreifen wohl, daß ich sie bei einem solchen Zwang weder ausgehen lassen, noch anderen Leuten zeigen kann, als diesen da, die fast den gleichen Lüsten fröhnen wie ich, und mich daher entschuldigen müssen. Ich gebe sie daher für verrückt aus; ihre Mutter, ihre einzige Angehörige, wohnt sechs Meilen von hier auf ihrem Schlosse und ist dermaßen von dieser Idee überzeugt, daß sie sie nicht einmal zu besuchen wagt. Die Gräfin fleht häufig um Gnade; sie tut alles, um mich zu erweichen, aber ewig vergeblich. Meine Geilheit hat[303] das unabänderliche Urteil über sie gefällt. So wird sie, solange als möglich, ihr Dasein fristen, nichts wird ihr abgehen, und da ich es liebe, sie zu erschöpfen, werde ich sie, solange ich vermag, am Leben erhalten; wenn sie es nicht mehr aushalten wird, in Gottesnamen ... Sie ist meine vierte Frau; ich werde bald eine fünfte, eine sechste ... eine zwanzigste haben; nichts ist mir gleichgiltiger als das Geschick eines Weibes; es gibt deren so viele! Es ist so süß, sie zu wechseln! Wie dem auch sei, Ihre Aufgabe, Justine, besteht darin, für sie Sorge zu tragen. Sie verliert regelmäßig zwei Aderlaßbecken Blut jeden vierten Tag, aber die Gewohnheit verleiht ihr Kräfte; sie fällt jetzt nicht mehr in Ohnmacht; ihre Ermattung dauert vierundzwanzig Stunden, während der übrigen drei Tage fühlt sie sich ganz gut. Doch werden Sie es begreiflich finden, daß ihr diese Leben sehr mißfällt. Sie tut alles, um ihre Mutter über ihren wahren Zustand aufzuklären; sie hat bereits zwei ihrer Zofen verführt, doch wurden deren Pläne glücklicherweise rechtzeitig genug entdeckt, um die Wirkung unmöglich zu gestalten. Sie ist die Ursache des Todes dieser Unglücklichen, denn ich ließ beide vor ihren Augen sterben.« – »Sie haben sie getötet?« – »Ja, in dergleichen Fällen lasse ich ihnen an allen Extremitäten zur Ader und lasse sie so sterben.« – »Oh, Gott!« – »Sie begreifen wohl, Justine, daß meine Frau heute bereut, diese zwei Frauen kompromittiert zu haben, und sie macht sich Vorwürfe wegen ihres Todes; da sie nun die Unabänderlichkeit ihres Geschickes erkennt, beginnt sie, sich zu fügen und ist fest entschlossen, die Personen ihrer Umgebung nicht mehr zu verleiten. Wenn dies dennoch eintreten sollte, so warne ich Sie, denn Sie würden das gleiche Schicksal erleiden wie die anderen. Betrachten Sie sich von diesem Moment an als nicht mehr auf der Erde befindlich, da Sie auf meinen leisesten Wunsch daraus verschwinden können. Ihr Los ist, Justine: Glück, wenn Sie sich gut aufführen, Tod im entgegengesetzten alle ... Sie haben mich verstanden? Begeben wir uns zu meiner Frau«.

Da Justine gegen diese deutlichen Worte keine Einwendung erheben durfte, folgte sie ihrem Herrn. Nachdem sie eine lange Reihe von Gemächern durchschritten hatten, die ebenso düster und einsam waren wie der übrige Teil der Schlosses, gelangt sie in ein Vorgemach, wo sich zwei alte Weiber befinden, die sie in allem, was den Dienst bei der Gräfin betrifft, unterweisen müssen. Sie öffnen die Tür, Gernande und Justine befinden sich in einem Zimmer, wo die unglückliche junge Gattin des Scheusals auf einem Ruhebett lag, wie leicht zu erraten, blaß und ermattet. Sie erhob sich, sowie sie ihren Gatten erblickte, und erkundigte sich respektvoll um seine Befehle. »Hören Sie,« sagte ihr Gernande, ohne ihr die Erlaubnis zu geben, sich wieder zu setzen, obwohl sie sich kaum aufrecht erhalten zu können schien, »hier ist ein Mädchen, das mein Neffe Bressac für Sie mitbringt; ich empfehle[304] sie Ihrer Obhut. Wenn Sie je Lust haben, sie zu verleiten, tun Sie es wenigstens nicht, ohne sich an das Los ihrer Vorgängerinnen zu erinnern.« – »Alle Versuche wären nutzlos, mein Herr,« sagte Justine voll Eifer, ihrer Herrin helfen zu können und dabei ihre Pläne verheimlichend, »ja, Madame, ich will es vor Ihnen bekräftigen, alles wäre fruchtlos; jedes Ihrer Worte und Ihrer Gesten werde ich sofort Ihrem Gemal hinterbringen; auf keinen Fall werde ich mein Leben riskieren, um Ihnen behilflich zu sein.« – »Ich werde nichts tun, was Sie vor eine solche Eventualität stellen könnte, Fräulein,« sagte

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Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906
Prosa in Kategorie: 
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