Als der Kaktus seine Stacheln verlor

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von Ekkehard Walter

Alfons liebte seine Kakteen über alles. Seine Leidenschaft umfasste mittlerweile nicht weniger als vierhundertachtundachtzig Exemplare, von den kleinen kriechenden bis hin zu den ganz großen Stammsukkulenten, den Carnegrea gigantea ( Riesenkakteen), die bis zu fünfzehn Meter hoch werden können. In zwei Gewächshäusern, die früher einmal zu einem LPG Betrieb gehört hatten, betrieb er eigene Züchtungen und fröhnte so seiner Sammelleidenschaft.
Seit dem Tod seiner geliebten Elfie, mit der er fast vierzig Jahre lang glücklich verheiratet war, waren ihm seine Kakteen noch etwas wichtiger geworden. Elfie nämlich hatte sich, im Gegensatz zu ihm, überhaupt nichts aus Kakteen gemacht.Einzig sein Enkel Anton, der ihn ab und zu einmal besuchte, war begeistert von den vielen, zumeist stacheligen Gewächsen.
Manche von ihnen zeigten zeitweilig auch eine wahrhaftig herrliche Blütenpracht, wie zum Beispiel seine Königin der Nacht, deren trichterförmige, strahlend weiße Blüten zwar nur einige Stunden in der Nacht überlebten, dabei jedoch einen unnachahmlichen Duft ausströmten, den Alfons so sehr mochte.
Sein Lieblingskaktus jedoch war ein sogenannter "Schwiegermutterstuhl", ein Goldkugelkaktus mit einem Durchmesser von etwa anderthalb Metern. Genau dieser Kaktus machte ihm nun seit einiger Zeit Sorgen, weil er vermehrt seine goldfarbenen Stacheln verlor und Alfons sich nicht erklären konnte, warum der Kaktus dies tat.Sowohl der Standort als auch die Pflege, die Alfons seinem erklärten Liebling
angedeihen ließ, waren eigentlich so gut, dass es unerklärlich erschien, warum der Kaktus auf einmal krankte.
Just zu dieser Zeit hatte Alfons häufigen Besuch von seinem Enkel Anton, der mit seinen sieben Jahren schon ein wirklich aufgeweckter Knabe war. Was lag also näher,als Anton zu fragen, ob ihm vielleicht in der letzten Zeit im Gewächshaus beim großen Kugelkaktus irgendetwas aufgefallen wäre.
Anton war ein wenig verlegen und eine leichte Röte stieg in sein Gesicht, als er kindlich erklärte: "Ach, Opa, der alte Kaktus hatte doch so viele Stacheln, die immer so gepiekst haben, da habe ich einfach immer wieder welche mit der Kneifzange aus der Werkstatt abgeknippst."
Obwohl Anton damit fast den Lieblingskaktus seines Opas zerstört hätte, mussten über dieses Geständnis nun beide herzhaft lachen.

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