Wenn ich es recht bedenke, stellte die Eichendorffstraße eine Welt in der Welt dar.
Die Häuser waren jetzt nicht der Bringer und die Wohnungen von kleinem Zuschnitt, wie eben Wohnraumbeschaffung in den Jahren nach dem hoffentlich letzten Krieg eben so betrieben wurde in den zerbombten Städten. Die heute noch bewohnten, kasernenartig hintereinander aufgereihten Häuser waren in der Breitseite einander zugewandt, pro Block fünf Eingangstüren, „unser“ Eingang war der letzte in der Reihe.
Zwischentüren verbanden die Keller im ganzen Block miteinander. Dieser Umstand hat mich Jahrzehnte in meinen Gruselträumen verfolgt: Dass jemand durch einen der Eingänge sich Zutritt verschaffe und dann unterirdisch bis wohin auch immer gelangen könne, einem auflauern, obwohl man selber – weisungsgemäß – die eigene Eingangstür korrekt verschlossen hielt ...
Die fensterlosen Schmalseiten der vierstöckigen Häuserblocks mit Hochparterre zeigten auf der „inneren“ Seite zur Straße, gegenüberliegend mit genau gleich aussehenden Blocks bestückt. Auf der „äußeren“ Seite wiesen sie zur Rickmersstraße, das Rotlichtviertel der Stadt.
Aber viel war noch unbebaut. Zwischen der äußeren Stirnseite und der Rickmersstraße war ein breites Bau(schutt)gelände verblieben, man hatte freie Sicht auf die unbebaute Seite der Rickmersstraße: Dort grünten Schrebergärten.
Beides, Schrebergärten wie Bau(schutt)gelände, bildeten Zauberwelten für kleine Kinder. Besonders für solche wie mich, die ich immer schon lieber für mich war. Und auch mir selbst überlassen, wie wohl viele Kinder in dieser Aufbauzeit, in der das zur Normalität gehörte.
Auf dem Bau(schutt)gelände fand sich so etwas Faszinierendes wie ein Tümpel, eine vollgelaufene und in Vergessenheit geratene Baugrube. Nichts ringsum war gesichert oder abgesperrt, alles frei zugänglich - das heißt, wenn man über Ziegelhaufen und Mauerbruch und anderes Gerümpel geklettert war.
In diesem Tümpel voller Algenschlieren, quietschgrün mit langen Fäden, konnte man auf dem Bauch liegend wunderbar Wasserläufer beobachten, wie sie kleine Dellen in die Wasseroberfläche traten beim Laufen. Mückenlarven unter der Oberfläche, Mini-Wasserschnecken, wunderschön ihre perfekt gedrehten Häuschen in all ihrer Winzigkeit, koraxende Frösche und vor allem: Kaulquappen. In allen Entwicklungsstadien. Einweckgläser voll habe ich nach und nach in die Wohnung geschleppt. Aber ich kann mich nicht erinnern, was dann mit und aus ihnen geworden war - in der Wohnung jedenfalls keine Frösche.
noé/2014
Kommentare
mich fröschelts ein wenig...
Wie lebendig hier die Nachkriegszeit aus einer kindlichen Perspektive erzählt wird, alle Achtung! Wie das kleine Mädchen inmitten von Schutt und Dreck ihr kleines Glück formte. Sehr berührend. Und sich zudem darin spiegeln zu können. Danke.
LG Monika
Die Eichendorffstraße färbte ab -
Literarisch! Und nicht zu knapp ...
LG Axel