Für Elise

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Für Elise.

Na, bist Du nun zufrieden?
Gerade sah ich ein Foto von Euch Beiden in der Gala.
Lions Blick sagte:
„Seht her, das ist mein neues Spielzeug.“
Damals, als ich die Neue an seiner Seite war, hat er genauso geguckt. Und ich war stolz darauf, ich dumme Pute. Da bin ich, signalisierte ich der Presse. Die Neue, die Richtige, die einzig Wahre. Allerdings trug ich rot und nicht weiß. Rot – für ihn entflammt.
Auch Du bist stolz – und Du strahlst wie eine Braut am Hochzeitsmorgen. Dein weißes Kleidchen zu seinem schwarzen Smoking … sag mal, wolltest Du die Fantasie der Klatschpresse anregen?
Allerdings trägst Du immer weiße Klamotten. Sieht auch gut aus zu Deinem dunklen Haar und der solariengebräunten Haut. Aber jeden Tag weiß? Als hättest Du die Hoffnung, jemand käme und heiratete Dich vom Fleck weg. Ich weiß, diese Hoffnung stirbt zuletzt. Aber das Leben ist nun mal kein Heiratsmarkt, sondern einer für Bettgeschichten. Das musste auch ich erst durch Lion lernen.
Und warum trägst Du eigentlich immer diesen dämlichen Hut? Du siehst damit aus wie die Frau in der Werbung.
„Raffaello – vollkommen ohne Schokolade“
Nein, Du isst ganz bestimmt keine Schokolade und Lion kann Deine Taille mit seinen Händen umfassen. Das konnte er bei mir nicht. Er hat zwar nie etwas gesagt, aber sein Blick auf meinen Körper – das war manchmal schlimmer als hätte er mich als „fette Kuh“ bezeichnet. Aber ich brauche meine Schokolade. Ohne sie kann ich nicht denken, nicht schreiben und – auch nicht lieben.
Du lagerst zwar keine Schokolade an Deiner Taille und an Deinen Hüften, dafür schwabt Dir der Prosecco bald aus den Ohren. Deshalb prickelst Du auch so. Vielleicht war es dieses Prickeln, von dem Lion sich angezogen fühlte. Bei uns hat es nicht mehr so geprickelt. Unsere Beziehung hatte sich in ein stilles Einverständnis gewandelt. Viel Nähe. Da hat er es wahrscheinlich mit der Angst bekommen, obwohl ich nie weiß getragen habe. Ich blieb bei meinem Rot. Für Kraft und Selbstbestimmtheit.
Schneeweißchen und Rosenrot. Er hat sich für das Schneeweißchen entschieden. Ein unbeschriebenes Blatt. Etwas, das er formen kann, ganz nach seinem Willen. Ich war schon geformt. Hatte mich im Laufe meines Lebens zu mir selbst entwickelt und wollte mich nicht mehr verbiegen. Fand er auch nicht gut.
Ach Elise, meine Gedanken laufen kreuz und quer, und ich weiß nicht einmal, ob es Gedanken oder Gefühle sind.
Es tut so verdammt weh!
Nicht, dass er nun Deinen Armen einschläft, sondern, dass ich nicht gut genug für ihn war. Dass ein paar Zentimeter mehr um die Taille und das Selbstbewusstsein einer Frau die Liebe sterben lassen.
Sicher, er braucht das Prickeln, so wie ich meine Schokolade.
Aber eines Tages, liebe Elise, wirst Du verblühen. Dann werden die teuersten Schönheitschirurgen nichts mehr ausrichten können. Durch die vielen Besuche im Solarium wird Deine Haut wie braunes Leder aussehen. Das Weiß wird zur Farce. Es zeigt dann kein junges Mädchen mehr, sondern eine alternde Frau. Und mit der wird sich Lion ganz bestimmt nicht mehr für die Gala fotografieren lassen.
Ich dagegen – nein, ich werde auch nicht jünger. Aber frei werde ich sein. Ich muss mich nicht mehr nach Lions Wünschen richten. Ich kann ohne schlechtes Gewissen meine „Bittersweet“ naschen und meine Liebesromane schreiben, die er so oft als „trivial“ abgetan hat …
Irgendwann wird die Welt mir wieder ihre Schokoladenseite zeigen.

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Kommentare

10. Jun 2016

Ist bittersüß, wie Schokolade –
Mit Biss, jedoch kein bisschen fade!

LG Axel

10. Jun 2016

Dieser innere Monolog gefällt mir, der in großer Dichte eine 'lovestory' eindrucksvoll erzählt. 'Shortstory' mal wieder toll gelungen.
LG Monika