Taschenkalender

Bild von Monika Jarju
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Abends um neun Uhr bekomme ich ein Baby, es hat
grüngoldene Augen. Die Geburt war leicht. Am Tag
darauf kann mein Sohn sprechen. Das Kinderkriegen
ist einfach. Wir sollten ein zweites haben, sage ich zu
meinem Mann.

*
Vom Boot aus sehe ich, wie ein Mann ertrinkt.
Hastig paddele ich auf ihn zu. Seine letzten Worte
stehen als Textzeile in der Luft, genau über der
Stelle, wo er versank. Wieder ist jemand gestorben!

*
Ich stecke eine Münze in einen Fahrkartenautomaten,
drücke eine Taste – doch nichts passiert. Eine junge Frau
drängelt sich vor und drückt eine andere Taste. Blitzschnell
greift sie den Fahrschein. „Das ist meiner!“, sage ich.
„Nichtraucher müssen Sie drücken!“ sagt sie spöttisch.

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Veröffentlicht / Quelle: 
MandelSplitter - mikroTexTe

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Kommentare

13. Mai 2018

Scheinbar absurd - so kommen uns Deine Mini-Texte vor, liebe Monika. Aber hinter dieser Absurdität verbirgt sich etwas Wahres, das man im Alltag wiederfinden kann, sofern man nur genau hinschaut. Aus jedem dieser "Eintragungen" im Taschenkalender ließe sich eine Geschichte, eine Groteske zaubern, die einiges in Frage stellen könnte.

Liebe Grüße,
Annelie

14. Mai 2018

In den Träumen zeigt sich verdichtete Realität - danke, liebe Annelie!
Lieben Gruß, Monika