Fenitschka - Page 19

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von Lou Andreas-Salomé

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ihr ein wenig wirr ins Gesicht.

»Verstehst du dich auf Traumdeutung? — — ach, übrigens Unsinn, — aber ich will dir erzählen. — Es war in Paris, ja. In dem Nachtcafé, weißt du? Ihr saßet alle da am Tisch, — ganz wie damals.— —

Und ich war auch da. Aber ich war nicht bei euch am Tisch.«

»Sondern?« Sie legte sich wieder zurück, und schloß die Augen.

»Sondern irgendwo da. — — Irgendwo unter den Grisetten.«

»Ich verstehe nicht recht, Fenia. Das ist ja ein ganz dummer Traum.«

»Nicht so dumm, wie du meinst — —. Aber woher sollten Träume eigentlich auch klug sein? Ich glaube, unsre klugen Gedanken wirken nur wenig mit am Traumgewebe. Nein, alle die klugen Gedanken, die wir uns so allmählich erwerben, alle die aufgeklärten und vernünftigen Ansichten, die träumen wir wohl nur wenig. — — Im Traum taxieren wir uns anders, — uns und die Dinge, — verworren und wirr vielleicht, aber doch so ganz naiv.«

»Aber was redest du nur eigentlich, Fenia? — — Du taxiertest dich im Traum —? Nun, und?«

»Nun, und da fand ich offenbar, daß ich mitten unter die Grisetten gehörte.«

Er sprang unwillkürlich auf. Ein kurzer Laut des Unwillens entschlüpfte ihm.

Er wollte gegen sie aufbrausen, gegen diese Selbsterniedrigung, die ihn empörte und für sie beleidigte, aber er besann sich.

»Du bist krank,«sagte er, »du bist es wirklich, wie könntest du sonst so ganz den Kopf verloren haben. — Fenia, ich erkenne dich gar nicht wieder. Wußtest du denn nicht, was du thatest? —«

»Nein, genau gewußt hab ich es erst im Augenblick, als ich mich binden sollte. Bis dahin verwechselte ich es wohl — mit einer vollen, ganzen Liebe.«

»Ich glaube, du verwechselst es jetzt — mit etwas zu Geringwertigem. — Denn über die Wirkung wenigstens war doch keine Täuschung möglich, — über alles, was dich so schön und selig erscheinen ließ. Ich sah es doch selbst, Fenia. Und du selbst, sagtest du nicht so wunderschön: es gäbe dir Frieden?«

Sie verschränkte die Arme wieder über dem Kopf, und schaute mit einem sonderbar stillen Ausdruck gegen die Decke.

»Frieden!« wiederholte sie. — »Sieh, er wußte wohl, daß von der Liebe keineswegs Frieden zu erwarten ist, — nein, durchaus kein Frieden. — Wie viel Schwanken und Quälen, wie viel Seelenarbeit und Seelenwandlung mag’s geben, ehe ein Mensch sich so tief in den andern hineinpflanzt, — ja, so tief, daß die beiden nun wirklich aus einer Wurzel weiter wachsen müssen, wenn sie gedeihen wollen. — — So war’s bei ihm, — und als es nun so weit war nach allem Kämpfen, — da wurd es ihm aber auch so klar und einfach, — so ganz klar, daß wir eins sind und einander die einzige Hauptsache im Leben. — — Mit so guten, leuchtenden Augen spricht er davon. Wie willst du’s da wohl ändern, daß ich mich — daß ich mich schäme.«

Die letzten Worte stieß sie undeutlich heraus, und sprang von der Ottomane auf.

»— Frieden —? Ja, es war so etwas, — ein so träge seliges Ruhen war es. — Aber seitdem ich erwacht bin, — seitdem ich so klar weiß, was es ist, und erkenne — — nein! ich kann’s nicht ertragen!« sagte sie plötzlich wild, »— mich selbst kann ich nicht ertragen in diesem Zustand von —; fort muß ich, das ist es! Das Schwerste, das Notwendigste —«

»Fort von ihm?« fragte er bestürzt, »hast du

daran gedacht?«

»Es ergiebt sich von selbst, wenn wir uns nicht offiziell binden wollen. So wie die Lage sich zugespitzt hat. Heimlich können wir uns nicht mehr sehen. Dadurch ist er zuerst auf den Entschlußverfallen, um jeden Preis die Heirat zu ermöglichen.«

»Und er weiß, — weiß er, daß du fort willst von ihm —?«

Sie sah ihn verständnislos an. Ihre Augen brannten wie die einer Gestörten.

»Nein. Wissen darf er’s nicht. — — Wie käm ich sonst fort —? Das begreif ich jetzt. Aber doch wollt ich’s ihm sagen, — ich rief ihn dazu her.«

»Und was sagtest du ihm?«

»Was ich ihm gesagt habe?! Ich wollte ihm sagen, ihn bitten: geh fort von mir, — geh auf immer von mir fort! Aber ich bat ihn nur: bleib bei mir! bleib bei mir!«

Und sie warf sich in ausbrechendem Schluchzen über die Ottomane und vergrub ihr Gesicht in den Polstern.

Max blieb daneben stehn, minutenlang, schweigend. Er versuchte dann, ihr gut zuzureden, aber sie wehrte nur mit der Hand ab, und hörte nicht auf zu weinen. Endlich murmelte sie:

»Laß mich allein, — bitte, laß mich ganz allein!«

Da verließ er leise das Zimmer und ging, aufs äußerste besorgt und beunruhigt, nach Haus. Den ganzen Abend kam ihm Fenia nicht aus dem Sinn, — diese ganz neue Fenia, die er gar nicht erkannte. Kein Mensch konnte ihr jetzt helfen, und doch schien es ihm ganz unmöglich, sie in ihrer Seelenverfassung sich selbst zu überlassen.

Der nächste Tag war ein Sonntag. Am Morgen sprach er schon gegen zehn Uhr wieder vor. Er fragte die Wirtin, ob Fenia zu sehen sei, und erhielt darauf in ihrem schlechten Französisch die kriechend-freundliche Antwort : »ja, sie sei sicher zu sehen, denn sie erwarte ohnehin Besuch.«

In diesem Augenblick stieß Fenia die Thür ihres Zimmers zur Treppe selbst auf. Als sie ihn erblickte, stand sie wie versteinert. Sie war im Straßenkleide, blaß, ernst, fast kalt im Ausdruck, — völlig anders als gestern.

»Das ist ein großes Unglück!« sagte sie, als die Wirtin in ihrer Wohnung verschwunden war, und ließ ihn zaudernd auf der Schwelle stehn, »— ein wahres Unglück ist es, daß du gekommen bist.«

»Mein Gott, Fenitschka! ich will dich doch nicht stören! ich komme ein andermal. Ich geh also wieder.«

»Nein, nein! es ist unmöglich, daß du fortgehst,« versetzte sie, und faßte ihn beim Aermel, als er sich wenden wollte, »— versteh doch! Er kommt gleich, — er muß gleich eintreten —«

»Nun, und?«

»Nun, ich kann ihn nicht empfangen, wenn ich dich, vor den Augen der Wirtin, nicht empfangen konnte.«

Er wollte etwas erwidern, da ging unten eine Thür, jemand stieg die ersten Stufen hinauf.

Fenia zog ihn an der Hand in ihr Wohnzimmer. Ueber ihr Gesicht flog etwas Aufblitzendes, das er nicht verstand, — irgend ein Gedanke kam wie eine Erleuchtung über sie.

»Geh hier hinein!« sagte sie, und öffnete zu seinem grenzenlosen Erstaunen die kleine Thür zu ihrem Schlafstübchen.

»— Hier hinein —?!« Sie blickte ihn mit tiefernsten, glänzenden Augen an. »Bist du mein Freund?«

»Das weißt du, Fenia.«

»Dann habe Dank, daß du gekommen bist. Dann leistest du mir vielleicht in diesem Augenblick den einzigen Dienst, den ein lieber, — nur ein lieber, naher Freund mir leisten kann. Bleib dort in der kleinen Stube, bis — bis er wieder fortgegangen ist. Du darfst alles hören, — es ist nichts, was nicht ein dritter hören dürfte. — — Aber wenn du hier wieder durchgehst, — beachte mich nicht.« Er starrte sie an —. Etwas so Entschlossnes sprach heute aus ihrem Wesen — —; sie kam ihm vor wie der Fuchs, der sich die eingeklemmte Pfote selbst abreißt, um sich zu befreien.

Hatte sie plötzlich erkannt, daß seine Anwesenheit ihr helfen könnte, — etwa dazu helfen, »nur zu sprechen, was ein dritter hören durfte,« um nicht wieder in die Worte auszubrechen: »bleib bei mir, bleib bei mir« — —?

Es blieb nicht viel Zeit zum Sichbedenken. Kaum hatte Max die kleine Schlafstube betreten, und war die Thür hinter ihm zugefallen, als es schon an der Vorderthür klopfte. Er sah sich in dem schmalen Raum, den das Bett fast ganz einnahm, flüchtig um, und lehnte sich ans Fenster. Dort stand zwischen rot und blau gestickten grauleinenen russischen Vorhängen ein Rosenstock mit einer einzigen, eben aufbrechenden Knospe. In der Wandecke daneben brannte das ewige Lämpchen vor dem üblichen Muttergottesbild.

Max Werner fühlte ein heftiges Unbehagen. Welch eine seltsame Rolle spielte er doch da in Fenias Leben! Man vernahm nur undeutlich, was nebenan gesprochen wurde, überdies redeten sie russisch miteinander. Trotzdem antwortete Fenia unwillkürlich mit halber Stimme.

Daneben hörte man ein volles, weiches Organ, — »seine« Stimme. Er sprach und lachte, wie man im Glück lacht und spricht.

Nach kurzer Zeit wurde irgend etwas auf dem Gang draußen laut. Es begann jemand vor Fenias Thür so eigentümlich zu schlürfen und herumzutreten. Vielleicht war es die Wirtin in ihrer abscheulichen spionierenden Neugier, — vielleicht auch nur ein Fremder.

Jedenfalls fingen sie drinnen plötzlich an deutsch zu sprechen. Aber nun ließ Fenia ihre Stimme noch mehr sinken.

»Warum sprichst du nur so leise heute?« fragte »er« sie erstaunt, »— deutsch versteht ja hier keine Seele. — Und weißt du wohl, grade daß du so rücksichtslos laut gesprochen hast, — manchmal, bei Gelegenheiten, wo es gefährlich war, — das liebte ich so an dir. Du wolltest nicht unvorsichtig sein, — aber du vergaßest es immer wieder, — deine Stimme wußte von nichts Heimlichem, — sie klang so kindlich und hell. — — Deine helle Stimme! Immer hör ich sie, wenn ich allein bin. Deine Stimme — das bist du.«

Nach einer Weile sagte er:

»Nein, ich will nicht lange bleiben. Nicht, wenn ich nur gewiß bin, — ganz gewiß, daß du in wenigen Tagen zurückkehrst. Ist das ganz gewiß?«

»Glaubst du mir nicht?« fragte Fenia.

Max Werner wollte nicht zuhören. Es war albern und lächerlich, hier zu stehn und das anhören zu müssen. Er lehnte sich gegen das Fenster und blickte hinaus. Die Straße lag in sonntäglicher Vormittagsruhe da. Von ungezählten Kirchen begannen langsam, eine nach der andern, die Glocken zu läuten. Die verschiedenen Gottesdienste gingen zu Ende.

Es schien, daßdrinnen Abschied genommen wurde. »Er« sagte, mit anderm Ton als bisher, schwer, gepreßt:

»Ja, nur wenige Tage. — Aber ich weiß nicht, wie mir ist. — — Könntest du jemals vergessen, was wir uns sind, Fenia?«

In diesem Augenblick erst erinnerte Fenia sich nicht länger jemandes Anwesenheit. Es war, als stürze sie in die Kniee, oder an seine Brust, — in diesem Augenblick war sie nur mit ihm allein. —

»Niemals! niemals!« sagte sie weinend, außer sich, »niemals kann ich es vergessen, daßich dein bin.«

Und mit einem Ausdruck, der Max durch alle Nerven ging, fügte sie hinzu: »Ich danke dir! ich danke dir!« — —

— — — — — — — — — — — — — —Ein Stuhl wurde fortgeschoben. Man vernahm nichts mehr. Nichts als das Geläute der Glocken, das lauter und lauter anschwoll und mit seinen feierlichen Klängen wie ein Lobgesang das ganze kleine Zimmer erfüllte, — — und alle Glocken sangen und klangen:

»Ich danke dir! ich danke dir!«

— — — — — — — — — — — — — —

Sie hatte sich in dieser Stunde für immer von ihm getrennt, — getrennt aus einem unerträglichen Zwiespalt heraus, in den sie mit sich selber geraten war, aber sie dankte ihm, — sie riß sich los, um entschlossen in eine ganz andre Existenz zurückzukehren, aber sie dankte ihm, — und wenn sie an ihn zurückdachte, vielleicht noch in ihren spätesten Tagen, würde sie denken wie heute, über allen Zwiespalt hinaus:

»Ich danke dir! ich danke dir!«

— — — — — — — — — — — — — —Als es nebenan längst still geworden war, und Max die Thür öffnete und eintrat, stand Fenia am Fenster.

Sie wendete ihm den Rücken zu. Mit den Händen hatte sie in die Vorhänge hineingefaßt und ihr Gesicht darin verborgen. Er sah nur die gebeugte Rückenlinie, und es durchfuhr ihn das Gefühl, als hätte er dies alles schon einmal erlebt —.

Aber er hatte nur in seiner Phantasie Fenia schon einmal trauernd und gebeugt gesehen. —

Stumm schritt er durch das Wohnzimmer, und ging hinweg, wie sie es gewünscht hatte, ohne sie zu beachten oder anzureden.

Zwei Tage später reiste er aus Rußland fort, ohne Fenitschka wiedergesehen zu haben. Sie wollte es so.

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