Fenitschka - Page 11

Bild zeigt Lou Andreas-Salomé
von Lou Andreas-Salomé

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eigne, vielleicht recht delikate Angelegenheit an die große Glocke gehängt sieht, — um Ihretwillen, Fenia. Thäte Ihnen das nicht leid?« bemerkte er halb scherzend, halb ironisch.

Fenia hörte nicht auf den ironischen Ton hin. Sie stützte das Kinn auf die Hand, sah ihn an und sagte unwillig:

»Ja, wissen Sie, das ist doch wirklich etwas Abscheuliches! Ich meine, daß den Frauen in manchen Beziehungen die Heimlichkeit einfach aufgezwungen wird! Daß sie auch noch froh sein müssen, wenn sie gelingt, — und vom Mann wie etwas Selbstverständliches erwarten, daß er sie durch seine Diskretion, seine Schonung, seine Vorsicht schütze und beschirme. — Ja, es mag notwendig sein, so wie die Welt nun einmal ist, aber es ist das Erniedrigendste, was ich noch je gehört habe. Etwas verleugnen und verstecken müssen, was man aus tiefstem Herzen thut! Sich schämen, wo man jubeln sollte!«

Sie erregte sich an ihren eignen Worten. Ihre Wangen brannten, und ihre Augen wurden tief und blitzend.

Die ein wenig frivole Spannung, in der Max Werner heute zu ihr gekommen war, verlor sich mehr und mehr; je länger er ihr zuhörte, desto menschlicher kam er ihr nah. Er bemühte sich, ganz so zu thun, als hielte er ihre Erregung für durchaus sachlicher Natur, und als handle es sich für sie lediglich um einen ihrer beiderseitigen ungeheuer philosophischen Dispute.

»Sie vergessen doch etwas sehr Wesentliches, Fenitschka,« warf er ein, »nämlich daß die öffentliche Meinung meistens doch nur die Hälfte der Schuld trägt. Denn zur andern Hälfte liegt es ja doch schließlich im Wesen aller intimen Dinge selbst, daßsie geheim bleiben wollen, — daß ihnen jede Entblößung vor fremden Augen und Ohren das Zarteste ihrer Schönheit nimmt. Manchen sensitiven Menschen empört schon die offizielle Trauung gegen die Ehe, — wie viel weniger könnte nun ein solcher eine andre Form der Liebe, eine nicht allgemein anerkannte Liebe öffentlich bloßstellen, — wie könnte er etwas so unendlich Intimes und Verwundbares mitten in einen rohen Kampf hineinzerren, — sozusagen auf die Straße stellen zwischen den Pöbel —«

Fenia hatte sehr aufmerksam zugehört. »Ja,« sagte sie langsam, »so mögen wohl Männer urteilen, — — ihr, denen alles gestattet ist, und für die darum auch kein andrer Beweggrund zu einer Geheimhaltung vorzuliegen braucht, als nur solch ein innerer. Aber für uns ist das ganz etwas andres. Wir fühlen das wohl auch, — ja sicher noch viel feiner und scheuer als ihr, — —aber wir fühlen auch den Schein von Feigheit, der auf uns fällt dadurch, daß wir der Heimlichkeit zu bedürfen glauben. Eine jede Heimlichkeit scheint nicht aus Feingefühl, sondern aus Menschenfurcht da zu sein, — —und dann demütigt es uns auch, wenn wir uns von Menschen achten und verehren lassen müssen, deren ganze Anschauungsweise uns vielleicht verdammen würde im Falle unsrer Offenheit.«

»Das kann unangenehm sein!«gab er zu, »aber sobald es nur ein Opfer ist, das wir bringen, und nicht ein erlogener Erfolg, den wir suchen, — kann man sich doch wohl darüber hinwegsetzen. All dies ist ja nur der Schein der Feigheit, — das klar zu erkennen und ruhig zu tragen, wäre eigentlich erst die rechte Ueberlegenheit über die menschlichen Vorurteile. Meinen Sie nicht? Sonst ist man doch eigentlich nur ein Wahrheitsprotz.«

Fenia schüttelte den Kopf und blickte nachdenklich in das Fenster hinein, wo zwischen den Doppelscheiben dicke weiße Wattschichten jeden Luftzug absperrten, und mit Waldmoos und bunten Papierblumen häßlich genug ausgeschmückt waren. Man konnte ihren beweglichen Mienen aufs deutlichste ansehen, daßsie über irgend einen Gedanken mit sich selbst ins reine zu kommen versuchte.

»Ach, Ueberlegenheit! Was soll mir die!« sagte sie darauf wegwerfend, »wir haben nun einmal das Verlangen, für das, was uns am teuersten ist, auch am offensten einzutreten; und wir schätzen sogar ganz unwillkürlich den Wert einer Sache ein wenig danach ab, ob wir sie zu einer Gesinnungssache machen würden, — ob wir für ihr Recht kämpfen können.«

»Mein Gott! die Frauen sind jetzt aber auch so entsetzlich kampflustig geworden!« bemerkte er lachend, — »so entsetzlich positiv und aggressiv, daß es kaum zum Aushalten ist! Sehen Sie, das kommt nun von all der Frauenbefreiung und Studiererei und all diesen Kampfesidealen, — — — Die Frauen sind die reinen Emporkömmlinge! Verzeihen Sie, — — es liegt ja etwas ganz Jugendliches und Kräftiges drin, aber es hat nicht den vornehmen Geschmack. Alles zur Diskussion zu stellen, selbst das Undiskutierbarste, alles in die Oeffentlichkeit zu werfen, selbst das Intimste, — — finden Sie das etwa schön? Ich nicht! Es vergröbert alle Dinge ungeheuer, fälscht sie ins Rationalistische hinein, wischt alle zarten Farbennüancen fort, setzt allem gräßliche grelle Schlaglichter auf —«

Obwohl Fenia gegen ihn stritt, so sah sie ihn doch ganz unverkennbar so an, als ob sie sich ganz gern widerlegt sähe.

Während er so schön sprach, dachte er an etwas ganz andres: »Wer mochte dieser Mann sein? Ob er sie schon lange liebte? oder ob es nur ein loses Liebesabenteuer war? Sie war so friedlich und glücklich, — der Klatsch erst hat sie aufgestört,— — — ob sie seiner so ganz sicher war —?«

Schließlich brach er, durch diese Nebengedanken behindert, seine Rede ab und platzte ungeduldig heraus:

»Aber das sind ja überhaupt doch nur Bagatellen! Für zwei Liebende bleibt die Hauptsache doch immer, wie sie zu einander, nicht wie sie zur Welt stehen.

— — — Wie lange das Glück währen mag, wie

gefestigt es ist, — oder ob man sich bei der ersten Not wieder verläßt, — das quält viel mehr.«

Um Fenias Lippen glitt das sorglose unbefangene Lächeln, das für sie charakteristisch war.

»Warum soll denn das quälen?« fragte sie halb verwundert und halb phlegmatisch, — »ich könnte mir gar nicht denken, daß ich einen Mann, den ich lieb gehabt habe, grade in der Not verließe.«

Dermaßen naiv klang das, daß er fast hell aufgelacht hätte.

Er wurde sogar plötzlich ganz irre an seinen bestimmtesten Mutmaßungen. — —

An den verlassenen Mann hatte er nicht grade gedacht! — — Führte sie ihn vielleicht doch hinters Licht?

Wäre sie nun doch wieder in Wirklichkeit die unschuldige Fenia, so wäre das ja einfach, um aus der Haut zu fahren.

Etwas nervös griff er in Fenias Garnröllchen, die auf ihrem Nähtisch herumlagen, spielte mit ihnen und

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