Vor seiner Tür stapelten sich Milchflaschen. Gefüllt mit Mondschein, wie er gesagt hätte.
Hinter seiner Tür lebte auch eine Flasche, hätten die Menschen im Dorf gesagt.
Die Menschen im Dorf. Eigentlich war es Jackie egal, was sie redeten, den ganzen Tag. Nur die Worte seines Onkels waren für ihn von Bedeutung, „Jackie mein Junge“, hatte er gesagt und ihm auf die Schulter geklopft, „finde die Liebe und alles wird gut.“
Jackie hatte dann immer entschlossen genickt und sich fest versprochen sie zu suchen, die Liebe, hinter jeder Straßenecke und in jeder Schublade. Nachts saß er oft lange auf dem Ziegeldach und blickte in die Wolkendecke, blasse Gedanken schimmerten in seinen Augen. Niemand fragte danach. Vielleicht waren sie zu leise um gehört zu werden.
Wenn der Himmel klar war redete Jackie mit den Sternen. Er hatte ein hellblaues Taschentuch und ein bisschen Angst wenn es hell wurde. Gerade genug um eine Milchflasche damit zu füllen. Denn mit der Sonne wurden weiße Blumen gelb und Schwarze wurden dunkelrot, das mochte Jackie nicht. In seinem Hof wuchsen deshalb nur Gänseblümchen.
Es hatte Tage gegeben da waren ihm Farben egal, da wollte er auf seinen Onkel hören und die Liebe suchen. Ein dunkelrotes Auto hatte er zum Beispiel gekauft, damals und er hatte Tabs gefragt ob sie mit ihm ins Lichtspielhaus geht. Ihre Lippen hatten dunkelrot gelächelt. „Oh Jackie.“ Plötzlich hatte sie den Mund aufgerissen, und laut gelacht, viel zu laut. „Nein, nein. Frag doch die Frau im Mond!“
Es gibt niemanden im Mond, das wusste er, denn er blickte jeden Abend hoch. Als er ihr das erklärte klopfte sie ihm nur auf die Schulter.
An diesem Abend saß er wieder neben dem Schornstein, qualmte eine filterlose Zigarette.
Sein Herz zog sich zusammen und brannte, aber nicht warm. Es brannte rot, wie sie und schmerzte. Er wollte dass es aufhörte, aber das tat es nie ganz
Der Arzt hatte es nicht besser gemacht, der hatte auch nur gelacht und man hatte seine pissgelben Zähne gesehen. In der Dunkelheit hätten sie weiß gewirkt, wie Jackie irgendwann begriff.
Weil Sonnenschein halt doch nur Schein ist, sagte er sich und lächelte dabei. Wie ein Kind. Und mit seinem himmelblauen Taschentuch wischte er eine Träne weg.
Man konnte von Mondschein dasselbe behaupten, aber das sagte er sich nicht, denn es war Nacht und wenn schon Schatten wachsen dann warum nicht darüber?
Jackie schloss die Augen. Der Wind war kalt, roch nach Moos. Vielleicht, als er kurz nicht hinsah regnete es Wünsche.
Er weiß es nicht. Aber später wird er daran glauben, so wie er daran glaubte die Liebe suchen zu müssen und wie er daran glaubte Angst in Milchflaschen füllen zu können.
Die meisten Märchen beginnen mit ‚Es war einmal…‘ oder mit ‚damals, als man den Wünschen noch beim Regnen zusehen konnte…‘. Dieses hier beginnt mit einer Melodie.
Eine Geige die und sich sanft in seinen Ohren hin und her wog und die Stille schnitt ohne sie zu töten, lang Töne. Als wären sie bis zum Ende voll Hoffnung.
Eine Zeit lang hörte Jackie zu, seine blassen Augen wurden immer größer, so staunte er.
So musste es klingen, wenn alles gut wird, er war sich ganz sicher. Jetzt oder nie Jackie, jetzt suchst du die Liebe.
Das Gras unter seinen Füßen war ganz weich als er vom Dach ins Feld sprang und es schien zur Melodie zu tanzen. Er versuchte kein Gänseblümchen zu zertreten, aber eines musste er pflücken. Er konnte schließlich nicht mit leeren Händen bei der Liebe ankommen und erwarten, dass sie ihm eine Prise ‚alles wird gut‘ hinterher streute. Die Liebe war schließlich nicht der Sandmann und Jackie kein kleines Kind mehr, er war ein Gentleman und Gentlemen brachten Blumen. Rosen für gewöhnlich. Aber Rosen sind dunkelrot, nein, er mochte sie nicht.
Feierlich, wie einen wertvollen Edelstein hielt er die Blume, als er durch das glänzende Feld stapfte. Hin und wieder segelte eine Blüte zu Boden. Sie liebt mich, sie liebt mich nicht, sie liebt mich… Immer in Richtung der Musik, ging Jackie und sein Gesicht war voll zartschmelzender Entschlossenheit. Wie der Mond an Tagen wie diesen, wenn er voll ist und ganze Dörfer versilbert.
Er kam an eine kleine Hütte, aus der die Geigenmelodie mit Rauch aus dem Schornstein gepustet wurde, und die von Efeu umrankt war. Wie Schlösser in gewöhnlichen Märchen.
Am Fenster erschien eine Silhouette, keine edle Prinzessin im Tüllkleid, das hatte er auch nicht erwartet. Ihre Haare waren zerzaust und den Kopf hatte sie auf den Geigenkasten gelegt, als würde sie einer Geschichte lauschen.
Jackie beschloss ans Fenster zu schleichen, ganz leise und vielleicht würde er die Blume hinlegen.
Er wollte nur dass sie wusste dass es Menschen gab, Menschen wie ihn, die die Liebe suchten und mit Blumen für Musik bezahlten. Er wollte nur, dass sie wusste, wie atemberaubend sie spielte.
So wie Märchen über die Liebe atemberaubend sind und auch dieser Moment es war. Wenn er gekonnt hätte, hätte Jackie ihn gerahmt und über den Kamin gehängt, denn er war irgendwie schön und traurig zugleich.
Traurig war er nur weil die Wörter in seinem Hals zu einem dicken Klumpen schmolzen, er konnte ihr diese Welle an Gefühlen nie sagen, nie sagen wie schön es klang. Nie sagen wie schön sie klang.
Er konnte nur ein Gänseblümchen zurücklassen ohne jemals zu wissen wie viele Blüten es noch verlor.
Sie liebt mich, sie liebt mich nicht, sie-
„Oh wer bist denn du?“ Ohne dass er es gemerkt hatte, hatte sie die Fenster aufgerissen und starrte nun neugierig auf ihn herab. Eine rote Locke hatte sich aus ihrem Zopf gelöst und kitzelte seine Nasenspitze.
„Jackie.“ Seine Wangen glühten.
„Hallo Jackie.“
Jede Andere hätte ihm das Fenster vor der Nase zugeschlagen und die Polizei gerufen, sie war nicht wie die Anderen. Er sah es in ihren Augen die so schön funkelten, dass man sie auch in den Himmel hätte hängen können.
„Deine Musik. Du spielst du spielst echt…“, er rang nach Luft „bezaubernd.“
„Danke.“, sagte sie leise. Als wäre sie es nicht gewohnt Komplimente zu bekommen. Und nach einem kurzem Zögern lächelte sie „Bist du nicht der mit dem Gänseblümchenmeer vorm Haus?“
„Der bin ich“ Er streckte ihr die Blume entgegen wie einen Ausweis. Einen welkenden Ausweis, sie hielt den Atem an.
„Schön. Aber sie stirbt...“
Jackie streckte die Hand aus, um die Sorgenfalte in ihrer Stirn zu glätten und er freute sich, als es ihm gelang.
„Warte hier.“ Das hätte sie nicht sagen müssen, Jackie hätte gewartet. Bis zum Monduntergang wenn es sein musste und länger.
„Hab ichs doch!“ Triumphierend drückte sie ihm etwas Metallenes in die Hand, seine Finger schlossen sich ganz fest darum. „Ein Fingerhut?“ Er lächelte verwirrt.
„Eine Vase!“
„Tut mir leid, ich muss dich enttäuschen. Das ist ein Fingerhut.“, sagte Jackie und kniff die Augen zusammen. Er wollte ihre Enttäuschung darüber nicht sehen. Nicht jetzt wo sie ihn so hoffnungsvoll anstrahlte. Zu seiner Überraschung gluckste sie nur darüber und er war so erleichtert, er konnte nicht anders als mit ihr zu lachen.
„Stell dir vor“, sagte sie, „wir geben Wasser hinein. Was ist das dann Jackie, hm?“
„Eine Vase“, rief er und blickte sie bewundernd an. So wie er sonst nur den Mond betrachtete. „Eine Vase!“
„Aber wir brauchen Wasser, das hab ich nicht bedacht, hab nicht daran gedacht“, sagte sie und schüttelte frustriert ihre Mähne „Ich kann keines holen, wenn ich in die Küche gehe, wecke ich das ganze Haus auf!“
„Häuser schlafen nie.“, sagte Jackie und damit hatte er Recht. Aber das brachte sie nicht weiter, also sagte er: „Dann lass uns Wasser suchen, bevor die Blume stirbt.“ Er reichte ihr entschlossen die Hand und sie kletterte zu ihm in die Nacht. Ihre Hände lösten sich nicht voneinander.
„Lass uns rennen Jackie!“, sagte sie plötzlich und barfuß zog sie ihn ins Feld.
„Aber wohin denn?“
„Weiter Jackie, immer der Nasenspitze entlang!“
Er lief. Kalte Luft durchströmte seine Lungen, es fühlte sich an als wäre er lange Zeit unter Wasser gewesen und würde endlich nach Luft schnappen.
„Wie fliegen!“, schrie er ihr zu und wie um zu fliegen, wie um ein Vogel im Wind zu sein, breitete er die Arme aus.
Ihr schneeweißes Nachthemd flatterte, wie die Schmetterlinge in seinem Bauch und ihre Haare peitschten chaotisch um sie herum. Frei sein. Immer dem Mond entgegen, ein Lachen gluckerte aus ihnen heraus, auch wenn es schon lange heiser war.
Und auch wenn seine Muskeln brannten, rannten sie. Es war als würde die Welt unter ihren Füßen weggezogen, Adrenalin pumpte durch ihre Adern. Frei sein.
Sie schlang einen Arm um ihn und zog ihn zu Boden, ins hohe Gras. Ihr Atem war schwer.
„Nein“, flüsterte sie schließlich. „Es ist nicht wie fliegen, denn wer fliegt kann auch fallen!“
Jackie nickte und eine Weile lagen sie still nebeneinander.
„Jackie?“
„Ja?“
„Hast du die Blume noch?“
„Ich glaube sie ist Tod.“ Traurig betrachtete er eine einzelne Blüte am Stiel, die Letzte und wie sie zu Boden segelte. Sie liebt mich?
„Aber es war ein schöner Tod.“, sagte sie leise. „Schließlich ist sie fast geflogen.“ Das tiefe Nachtblau spiegelte sich in ihren Augen, als sie hochblickte. In die Unendlichkeit.
Und je länger Jackie sie betrachtete, desto lauter pochte sein Herz. So laut, dass er sich nicht sicher war ob sie es störte. „Entschuldigung…“, sagte er und zur Sicherheit gleich noch einmal.
Ein glucksendes Lachen blubberte aus ihr heraus und in ihrem Gesicht erschienen kleine Grübchen. Zwar schlug sein Herz immer noch wie eine Kirchturmuhr an Mitternacht, aber er bemerkte, dass es nicht mehr weh tat, zum ersten Mal seit Langem. Da hatte ihm der Doktor wohl die falsche Medizin verschrieben, Lachen half, schon richtig. Aber nur von der richtigen Person.
Ja, er sah es sich ganz genau an, ihr Lachen, es war nicht dunkelrot. Es war perlend. Wie Sommerregen und wie Sterne, die aus dem Himmel fallen. Dann hatte man einen Wunsch frei, dass wusste Jackie.
„Warum schließt du die Augen?“, fragte sie.
„Ich wünsch mir was.“
„Und Augen schließen hilft dass es wahr wird?“
„Ja. In den Filmen küssen sie immer mit geschlossenen Augen.“
Sie schwieg aber es war ein warmes Schweigen, Jackie spürte es an ihrem sanften Atmen neben ihm. Und er spürte es, als sie ihm einen Kuss auf die Wange drückte, „Oh Jackie.“, sagte sie, „das Leben ist doch viel schöner wie in den Filmen.“
Die meisten Märchen enden mit ‚…und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage‘.
Dieses Märchen endete mit einem Lächeln, so wie auch das nächste begann.
Von Gänseblümchen und Liebe
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Interne Verweise
- Autorin/Autor: Lisa Hasenbichler
- Prosa von Lisa Hasenbichler
- Prosakategorie und Thema: Kurzgeschichten & Kurzprosa, Liebe
Kommentare
Ein wunderschönes Märchen mit offenem Ende. Zum Träumen.
LG Monika