Das unsichtbare Geheimnis

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von Alf Glocker

Die Atmosphäre ist ein wenig unheimlich … nein, sie ist sehr unheimlich! Etwas liegt in der Morgenluft. Niemand beschreibt es, kaum einer hat eine konkrete Vorstellung davon – es ist wie eine unsichtbare, riesige schwarze Wolke, aus der, unaufhörlich, etwas regnet, was wiederum niemand beschreiben kann, oder möchte …

Nicht offiziell wahrnehmbare Windhosen wirbeln zwischen den Menschen herum, manche verschwinden einfach, auf Nimmerwiedersehen, aber man hat trotzdem den Eindruck, als wüsste hier jemand genau, was geschieht. Dieser Jemand aber sagt kein Sterbenswörtchen! Alle warten beharrlich auf eine „Erlösung“.

Wie Feengesang säuselt, ganz im Extraokkulten, ein Singsang verstorbener Kehlen durch die Zeit … er klingt wie „Denkt an Charliie, denkt an Charliie!“. Aber da der Feengesang für normal sterbliche Ohren nicht wahrnehmbar ist, wagt es auch keiner genau hinzuhören. Nur ein paar weinende Kinder verstehen ihn instinktiv.

Es sind diejenigen, an denen die Gegenwart nicht geheim sondern real, nicht vorübergegangen ist. Diejenigen, die tiefe Narben auf der Seele tragen, oder die seit kurzem unter der Erde weilen, wo sie kaum beweint werden dürfen. „Charliie – Charliie“, singen die Elfen ihr Schlaflied für die Verlorenen …

Soweit was in der Luft liegt! Über dem Untergrund wälzen sich verkleidete Heere seltsamer Mönche durch die Straßen. Sie alle gehören dem Schweigeorden an, aber sie blicken sich vielsagend ins Gesicht, wenn wieder ein winziger Wirbelsturm aufgetaucht ist, während die Umstehenden schreckerfüllt staunen.

„Was könnte es sein?“, hört man die bedrängten Geister fragen … allerdings lautlos, denn es schickt sich nicht, Angst vor etwas zu haben, das nicht unmittelbar wahrnehmbar ist. Es droht schließlich die Inquisition mit Hexenverfolgung, mit Diffamierung und Tribunal, mit schaurigen Verhören vor dem imaginären Gerichtshof.

„Reiht euch ein!“ rufen die Rattenfänger und die Feen antworten „Charliie, Charliie!“, aber nur eine Seite verschafft sich Gehör. Zwar verliert sie dabei ihr Gesicht, aber beim Tanz der Vampire um das Goldene Kalb ist ein Gesicht ohnehin mehr als hinderlich, und auf dem Markt wird leider kein Rückgrat mehr angeboten.

Es gibt alles zu kaufen: Parteiprogramme, gefälschte Parteiprogramme, falsche Doktortitel und Nobelpreise, hohe Ämter und Segeljachten, innovative Betriebe, lebendiges Fleisch und soeben lebendig zerteiltes, aber Rückgrat ist nirgendwo in Sicht – außer es wird gerade ein Verkaufsstand zerstört, dann hatte er es vorrätig.

Aber das kann man bereits bei einem geringen Talent, logische Zusammenhänge herzustellen, vermuten. Doch dann muss man vorsichtig sein … „Charliie, Charliie“ … Dann ist es ratsam, den Rat eines „Weisen“ einzuholen, der einen dezent darauf aufmerksam macht, um wie viel besser es ist, alles im Dunkeln zu belassen …

Als es dem Abend dann langsam dämmert, die Psyche sich sammelt, nach den Anforderungen zurückliegender Stunden, wird so manchem klar, worum es sich handelt, bei diesem ungewissen Gefühl, das immer in eine bestimmte Richtung zu deuten scheint, ohne tatsächlich empfunden werden zu wollen.

Geheimer noch als geheim, stützt der Denker dann seine Stirn auf die Faust, spannt seine Muskeln und rafft sich zu der allesentscheidenden, jedoch keineswegs tröstenden Einsicht auf, die, angesichts der überall dunkel auf dem Gemüt lastenden Wolke, lautet: „Die Wahrheit ist bei Todesstrafe verboten!“

Dann ist ein Licht aufgegangen, die güldnen Sternlein prangen, am Himmel, hell und klar … und doch, die Stadt ist schwarz und schweiget und aus den Sümpfen steiget, die krasse Herrschaft wunderbar! Alle gehen beglückt zu Bett … und die Klügsten unter uns schlafen sich miteinander aus!

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