Die Anal-Phabeten

„Habt ihr gestern den Sternenhimmel über der Antarktis im Fernsehen angeschaut, mit den Pinguinen drunter?“, frage ich meine Gesprächspartner aus dem Lummerland. (Das liegt gleich unter meinem Atelier, im Puppenmuseum.) Sie antworten: „Das Frühstück war heute wieder ausgezeichnet!“ Ich lasse mich aber nicht beirren und fahre fort, obwohl ich besser fortfahren und mich nie wieder blicken lassen sollte: „Genau – und die Nachrichten davor haben mich lange beschäftigt“. „Weiche Eier am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen!“ Ich lache, denn der Witz zieht immer. Dann aber lege ich doch noch einen drauf: „Findet ihr die Spielfilme in letzter Zeit nicht auch ein wenig konstruiert?“ „Produktionszahlen!“, sagen sie, ich entgegne „Abwegig!“ Sie meinen „Normen und Erreichbarkeiten!“. Ich schreie: „Hiiiirnnnverrrnaaaagelt!“ Sie prosten sich mit dem Kaffee zu und konstatieren übereinstimmend: „Schönstes Angelwetter heute – antreten zum Affenlausen!“

„Affenlausen“ haben sie nicht wirklich gesagt, das hahabe ich nur gehöhört, weil ich mir immer alles so zurechtlegen muss, wie es mir passt. Mich kümmert jahaha nichts. Wo das Geld herkommt, ist mir völlig egal, auch warum der Storch keine Kinder mehr bringt, ist mir nicht schnuppe – ich bin einfach unausstehlich. Dazu habe ich von nichts eine Ahnung. Sogar wenn es um ganz einfache Arbeitsabläufe geht, muss ich passen, weil ich mich immer, blöderweise muss man sagen, meistens frage, warum diese oder jene Arbeit, von diesen oder jenen Menschen, überhaupt erledigt wird, wenn dabei doch allermeistens nur diese oder jene Menschen erledigt werden. Ich rede stur an allen Themen vorbei, und am A… geht mir vorbei, was das liebe kleine Enkelchen von Madame Schnurz gestern in die Hose gepfeffert hat. „Die Welt geht zugrunde“, lamentiere ich und ein Chor der Wissenden schlägt mir entgegen: „Das ging sie doch schon immer – das ist nichts Neues!“

Bevor ich wahnsinnig werde, versuche ich noch die Leute darauf aufmerksam zu machen, daß es etwas anderes ist, wenn heute die Welt untergeht, als vor 1000 oder vor 100 Jahren. Da waren ihr zwar auch schon die gleichen Idioten, wie gegenwärtig, dabei behilflich, aber die Mittel haben damals einfach nicht ausgereicht. Heute stehen wir am Ende der Hühnerleiter und von hier aus geht es direkt auf den Misthaufen. „Ja, die Eier werden auch immer teurer“, sagt eine Null aus der näheren Umgebung und eine zweite Null fügt munter hinzu: „Stellt euch vor, ich habe gestern auf dem Stadtmarkt Salat eingekauft …“ Ich fasse es nicht!! „Blahblahblahblah!“ brülle ich in die Dunkelheit hinein, aber es kommt mir bloß mein Echo entgegen … Dann verstehe ich nur noch Bahnhof … „Urlaub auf den Malediven“, gackert jemand und ein anderer Jemand antwortet im Niemandsjargon „Hurtigrute“. Ich bemerke am Rande „zu viel Dreck aus den Schornsteinen“ und der Jargon meint: „Autofahren ist auch nicht schlimm“. Ich flüstere „Industrieabgase“ und man, „Irgendeiner“, quatscht „Fortschritt gab es früher auch schon!“.

„Könnt ihr lesen, könnt ihr sehen“ möchte ich anmerken, aber ich blicke in ausdruckslose Augen, in denen – wenn überhaupt noch – die Libido glänzt. Der eine hat sich vorige Woche einen neuen Wagen gekauft, der andere seine Oma begraben, der Dritte Mann oder die dritte Frau haben im Staatsdienst dies oder jenes vollbracht und dabei auf niemandes Gesundheit geachtet und daneben ist zwischendurch mal der Mond aufgegangen, dann hat es geregnet, nein, geschüttet, aber das war früher auch schon, als die Welt auch nicht untergegangen ist und dann hatten wir eine Hitzewelle! Überall auf der Welt ist es am schönsten und da ist auch unsere Heimat, aber nicht dort, wo man uns gar nicht haben will, deshalb bleiben wir ja auch hier, wie alle anderen. Denn wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert und solange wir Taler haben und den Pfennig ehren, dürfen wir hoffen … alles ist offen! Ich denke mir – aussprechen darf ich das wirklich nicht – „ich weiß schon, was bei euch ganz weit offen ist!“, sage aber: „Was für ein gutes Herz ihr doch habt! Ich bin beeindruckt – ich brächte dasss sooo nicht hinn!" Dann grinse ich in mich hinein und wähle in Gedanken schon mal meine Todesart.

Was steht denn alles zur Verfügung? Nun – ich könnte ersticken, wenn die Lufthülle reißt, ich könnte vergiftet werden, wenn all das Quecksilber aus dem Polareis freigesetzt wird, ich könnte religiösen Eiferern zum Opfer fallen, wenn ich nicht sofort konvertiere … dabei könnte ich sogar noch ein paarmal heiraten. Ich könnte, schon vor dem allgemeinen Lapsus, sogar daran zugrunde gehen, daß ich alles, was ich sagen wollte, in mich hineinfresse, ich könnte von staatlich beauftragten Killern beseitigt werden, weil meine Schriften plötzlich publik geworden sind. Ich könnte aber natürlich auch … ach, was rede ich denn?! In dieser wunderbaren Welt der Anal-Phabeten, die nicht lesen, nicht hören und nicht denken können, kann mir überhaupt nichts passieren. Alle blicken doch nur wohlwollend und nachsichtig auf meine Jammergestalt und sprechen in einem einzigen Chor, der die Welt (leider unmerklich) erzittern lässt: „Ach, schaut mal – dieser arme unglückliche Mensch … was für ein Pessimist?!“ Gut, daß wir auf ihn aufpassen!

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