Aus dem Künstlerroman Hier und Jetzt sofort - Page 14

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Gesicht des Verführers nicht erkennen und wieder hinters Licht geführt. Wie denn könnt ihr den, den nie ihr saht und der euch mit lieblichem Gesicht begegnet, erkennen.

Was sie einst ein goldenes Zeitalter nennen, in dem ein jeder nach freiem Willen unternehmen konnte, arbeiten oder auch nichts tun, wird paradiesisch sein und ihr werdet die Verzweiflung dieser Zeit nicht verstehen. Er war für immer ins Nichtstun eingeschweißt.

Insbesondere hütet euch vor den historischen Fachleuten.

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Es ist surrealistisch. Alle sind aus dem Bauch gekommen, doch einer fährt mit Zigarre im Mercedes, ein anderer nicht. Einem gehen die Kinder in gute und vornehme Schulen, der andere baut die Straßen in Überstunden und dazu noch am Samstag und Sonntag.

Als blutbeschmutzte Fleischbündel kommen sie aus den Frauen, der eine wird Gott, der andere Lakai.

Grund ist der Bildungsunterschied, aber der von der ersten Lebenssekunde an und nicht nur der fünf Prozent schulisch institutionalisierte. Doch was wiegt Bildung wirklich im Zeitalter der Automation. Es zählt ja nur die familiäre Grundausstattung. Dennoch will jeder zumindest einen Zipfel Lebensglück ergattern oder sterben.

Wie gebildet ist denn der Unternehmer, ungebildet der Bauarbeiter? Ein neues Fernsehen kann das dem einen in zwei Jahren verändern und den anderen brüderlich bescheiden.

Eine Katastrophe verhindert hundert andere.

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Befreiung zu einer Öde ohne jede Einbettung. Dennoch entsteht dabei ein Selbstbewußtsein, denn diese Ode ist eine Leere.

Es gibt viele Möglichkeiten. Da ist ein unendlicher Raum, der nächste, von der Menschheit kaum betreten, noch nicht angefüllt mit den Produkten ihrer Hand, noch nicht unterworfen wie der vorhergehende, der nach der heute geübten Wahrnehmung voll Schrott ist.

Ohne Angst in dieser Leere stehen und in die Runde blicken. Der Blick zurück zu den begriffenen Gegenständen und abergläubischen Ordnungen löst Zorn oder Mitleid aus - aber auch ein Gefühl verlorener Heimat.

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Den der täglich von sieben Uhr vierzig bis sechzehn Uhr fünfzehn an seinem Platz arbeitet und mit Kollegen, Kolleginnen, Brüdern und Schwestern spricht, wie kann ihn dort oben einer verstehen und was man denn von ihm spricht. Hier hat doch jedes Wort einen anderen Sinn als dort oben.

Keiner im Apparat wird unsere wahre Stimmung erkennen - Hauptsache es läuft, denkt der sich.

Morgens aufstehen und zur Arbeit gehen hat für uns einen anderen Sinn als für den der Entscheidung.

Nie werden die Oberen den letzten Gefühlsinhalt dieser Worte begreifen - wozu auch, denken sie. Wenn sie nicht selbst bis zum Schluß an der Arbeitnehmerbank sitzen, werden sie fehl urteilen.

Ihre Berater sind von irgendwo her, niemals von hier. Sie haben keine Chance, unsere Mittagspause und unseren Arbeitsschluß zu verstehen, völlig anders sind diese als die ihren usw.

Mehrmals täglich nach der Zahlungsfähigkeit beurteilt werden. Beim Einkauf, bei der Beschaffung der Lebensnotwendigkeiten. Dem Bruder Geschäftsmann geliebt oder ungeliebt, je nachdem mein Anzug achthundert oder zweihundertfünfzig Mark kostet, mein Eis fünf oder eine Mark.

Mehrmals täglich beim wohlfeileren Kauf verachtet, das hat mich nach zehn Jahren zur Bewunderung für den potenten Käufer erzogen, zur Verachtung meiner selbst und des gemeinen Volkes.

In der Firma jeden Tag gedemütigt, um am Monatsende den Lohn nachhause nehmen zu dürfen. Man kann ja gehen, wenn es einem nicht paßt.

Das Kollegenpack redet von Gewinn und Rendite, Prozent, Zinseszins. Sie sind informiert über alle Daten eines unerschwinglichen Sportwagens und fahren selbst alte Karren. Sie bewundern wirtschaftliche Senkrechtstarter und machen weis, jeder könne mit Initiative und Risikobereitschaft ohne Anfangskapital ein Neckermann werden.

Akademische Lohnarbeiter rechtfertigen das Kapital ihres Arbeitgebers. Ihr Geschwätz über Wirtschaftslage, Schneelage, Autostaus ist das Einzige, das sie hervorbringen und spiegelt nur das Vortags abendliche Fernsehen.

In den Buchhandlungen und öffentlichen Bibliotheken muß die leicht faßlicher Anleitung zur Vernichtung der bürgerlichen Villenviertel aufliegen.

Was sind das für Menschen, die den Himmel in Silbervögeln durchziehen und was bist du für einer, der nie ein Flugbillet löst.

Der Arbeitgeber gibt Arbeit und gibt ein Heim und gibt Brot und gibt einen Fernseher und oft auch ein Auto. In der Krise nimmt der Arbeitgeber das Heim, vielleicht das Brot, vielleicht noch den Fernseher und sicher das Auto. Denn der Arbeitgeber ist ein armer Mann, er kann nicht anders und trägt die Last der Verantwortung.

Ihm blutet das Herz, wenn er in Krisenzeiten entlassen muß, wenn er der Arbeitwegnehmer werden muß, wenn er der Brotwegnehmer werden muß, wenn er der Fernsehwegnehmer werden muß, wenn er der Autowegnehmer werden muß. Aber was bleibt ihm denn anderes übrig? Er tut seine Pflicht.

Wenn aber erst du deine Pflicht erkennst, wirst du dann auch so konsequent handeln? Der Arbeitgeber ist ein Vorbild!

In guten Zeiten ist der Herr Arbeit, Brot, Heim, Fernsehapparat, Autogeber.
In schlechten Zeiten ist der Herr Arbeit, Brot, Heim, Fernsehapparat, Autowegnehmer.
Das ist die Pflicht des Herrn.

Wer den Fabrikdirektor erschießt, wird seinen Grund haben.
Warum ihn verteidigen?
Wer den Funktionär erschießt wird seinen Grund haben.
Warum für ihn den Kopf hinhalten?

Aber wenn es dem Arbeiter danach schlechter geht als zuvor, gibt es einen Grund.
Das ist dann Pflicht des Arbeiters.
So spricht der Arbeiter zum Romanschriftsteller.

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Daß keiner den Regierungssprecher umlegt: wir mußten die Stadt dem Erdboden gleichmachen, um sie für die Freiheit zu retten.

Wann ist die Differenz zwischen Realität und Illusion so groß, daß durch Überdehnung oder durch Riß der Selbstbetrug irreversibel zur unbefriedigenden Lüge, zur allzeit anwesenden Unzufriedenheit wird und was passiert bei Konfrontation mit der Realität mit den aus der Illusion genährten positiven Kräften wie Pflichtbewußtsein, Arbeitsfreude, Zukunftsglaube?

Jeder Antwort von vornherein Anmaßung und grenzenlose Dummheit unterstellen und jeder Anspruch ist von vornherein ärgerlich. Keinerlei Argumente gegen den Zorn anerkennen und wer den Mund zur Besänftigung auftut, hat allen Kredit verspielt.

Benzinbomben in die abgezäunten Grundstücke werfen, in die schmiedeeisentorigen, barockstatuenbestückten Villen und denen in die Fresse, die die Einhaltung des prozentualen Gewinns auf Kosten unserer täglichen Anstrengung betreiben.

Jeden Abend tragen wir unsere Müdigkeit zur Sättigung der Mietgeier und Kaufmannsgeier, der freien und gewerblichen Wirtschaftsgeier heim und haben kein Kleid für die Frau und keine Fahrräder für die Kinder, nur damit sich eine freiwirtschaftliche Flunsche ihren gehämmerten Kupferradiator ins Klo montieren kann.

Da hast du wieder was ausgebrütet, kannst es ruhig in den morgigen Tag rufen, keiner nimmt es dir übel, denn die Menschen sind dankbar für Kurzweil und die, die du langweilst, gehen sowieso ihres Wegs.

Wenn wir in deinem Gehirn einen Stützpunkt errichten, eine Zitadelle zum

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