Biographie - Page 2

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sich das Opfer und Derrick getroffen hatten. Martin ging eigentlich nur selten in Cafés, er kannte zwar den Besitzer ganz gut, war aber nie wirklich einer von diesen Autoren gewesen, die sich tagtäglich in ein Café setzten und die Sätze heruntertippten.
Martin fuhr in die Stadt und stellte sein Auto auf dem großen Parkplatz ab, der keine fünf Minuten von dem Café entfernt war. Das Café war an einem Kreisel und auf dem Weg vom Parkplatz zum Café lag eine Brücke, die über den Stadtfluss führte.
Eine Ruhe durchströmte ihn, als er über die alte Brücke schritt und über den Zebrastreifen ins Café gehen wollte, als plötzlich ein Auto heranfuhr und ihn fast überfuhr. Martin konnte nur noch knapp zur Seite springen. Das Auto fuhr einfach weiter, zu schnell, als dass Martin hätte erkennen können, wer ihn da angefahren hatte. Sein Arm schmerzte fürchterlich. „Geht es ihnen gut?“, fragte ein Passant und im selben Moment wurde ihm klar, wie dumm seine Frage war. „Warten Sie, Ich rufe einen Krankenwagen.“
Wenige Minuten später waren die Sanitäter da und brachten Martin in das nächstgelegene Krankenhaus, wo sein Arm unter Schmerzmittel gerichtet und dann in einen Gips gelegt wurde. „Ihr Arm ist gebrochen, es wird einige Zeit dauern, bis er wieder in Ordnung ist, wir können sie natürlich direkt wieder entlassen, aber belasten sie ihn bitte nicht. Nehmen sie von diesen Schmerzmitteln täglich eine Tablette. Nicht mehr, nicht weniger. Und kein Alkohol. In vier bis sechs Wochen ist dann alles wieder in Ordnung.“ „In Ordnung. Ganz wie sie sagen.“
Martin war wütend, mehr als wütend. Natürlich war er glücklich, mit dem Leben davongekommen zu sein, aber dieser Wichser fuhr wahrscheinlich immer noch in seinem scheiß Auto.
Eine Anzeige stellte sich als relativ nutzlos heraus, weshalb Martin nach Hause ging und seine Wut in seinen Texten niederschlagen ließ. Die Situation musste eskalieren. Er schrieb ein paar Seiten, die die Überleitung für eine Szene bildeten, die den Plot vorantreiben würde. Derrick war auf dem Weg nach Hause und wurde von zwei Männern überfallen. Zumindest dachte er es, doch an Geld waren sie nicht einmal ansatzweise interessiert. Sie wollten ihm wohl Angst machen und sagten ihm, dass er sich aus dem Fall raushalten sollte, sonst würde er noch etwas anderes verlieren. Dumm wie Derrick in dem Moment war, fragte er, was das andere war und bekam einen Schuss in den Fuß. Beim nächsten Mal die Hände, hieß es. Die Hände aus denen so viele wunderbare Arbeiten geflossen waren.
Martin rieb sich die Hände, als er die Zeile geschrieben hatte, die den Fuß des Protagonisten für immer verkrüppeln sollten, seine Wut war verflogen und auch wenn er nur sehr langsam tippen konnte, kam er doch stetig voran. In Ruhe las er sich das Ganze noch einmal durch, doch der letzte Satz war nur ein seltsames Zeichenkauderwelsch. Martin kratzte sich am Kopf und runzelte die Stirn. Wahrscheinlich hatte er ab diesem Satz nicht mehr auf die Tasten sondern aufs Papier geschaut und die Umgewöhnung von der Computertastatur zur Schreibmaschinentastatur hatte dafür gesorgt, dass er die falschen Zeichen erwischt hatte. Aber aufs Papier konnte er auch nicht geschaut haben, schließlich hätte er dann direkt bemerkt was für einen Stuss er geschrieben hatte. Irgendwie musste er tief in seinen Gedanken versunken gewesen sein.
Er nahm das Blatt aus der Schreibmaschine, änderte die betreffende Stelle und schon war der Fuß wieder verkrüppelt.
Zufrieden legte sich Martin ins Bett und fiel bald in einen ruhigen Schlaf. Früh wurde er aus dem Schlaf gerissen, das Telefon klingelte.
Am Apparat war Martins Bruder, den er seit sicher 5 Jahren nicht gesprochen hatte. „Martin?“ „Alex? Hey, äh..“ „Mama ist tot.“ „Was? Was das kann doch nicht...“ „Sie ist heute früh ganz friedlich eingeschlafen.“ „Aber.“ Aufgelegt. Der Tod der Mutter konnte über den jahrelangen Streit nicht hinwegtäuschen, so wunderte es Martin nicht, dass Alex direkt wieder aufgelegt hatte. Seine Mutter war tot.
Sie war schon Anfang 80, aber trotzdem war es ein Schock, es war als wäre ein kleines Stück der Welt in dem Moment weggebrochen. Er hatte sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen, aber trotzdem fehlte sie ihm plötzlich. Ihm fiel nichts Besseres ein, als sich an die Schreibmaschine zu setzen und zu korrigieren, ihm blieb ja sonst nichts. Er korrigierte noch einmal den Text durch als er am Ende stockte. „Nicht noch einmal“ stand dort. Nicht noch einmal? Was sollte das bedeuten? Dort war kein Punkt, hatte er gestern noch einen Satz angefangen und nicht beendet? Sein Gedächtnis trog ihn doch ständig mit den Jahren. Nach einigem Überlegen entschied er sich, dass er seinen Kopf freibekommen musste. Seine Mutter war gerade gestorben und er wusste, dass es sich in irgendeiner Form auswirkte.
Der Fluss klang gut, er war dort früher immer entlang geschlendert, um die Gedanken kreisen zu lassen und vielleicht würde es ihm auch heute gut tun. Er nahm den Bus, fühlte sich nicht wirklich in der Lage mit dem Auto zu fahren und nur wenige Minuten später hatte er die Innenstadt erreicht.
Von der Bushaltestelle waren es keine fünf Minuten zum Fluss und die Ruhe durchströmte ihn. Es war kurz vor der Mittagszeit und nur vereinzelt fuhren Autos an Martin vorbei. Vor der Brücke, die über den Fluss führte, bog er ab, auf einen Kopfsteinpflasterweg, der nach unten führte direkt an das schmale Ufer des Flusses führte. Martin setzte sich auf einen Stein, der sich in der Mittagssonne leicht erwärmt hatte und genoss die Stille und Ruhe.
Das Flusswasser floss bedächtig und auch wenn Martin in dem Moment an rein gar nichts denken wollte, dachte er wieder an sein Buch, als sein Gips wieder anfing zu jucken. Er war Autor und das konnte man nicht abstellen, das war kein Beruf der nach acht Stunden vorbeiging, vielleicht konnte man sich die Schreibarbeit wie einen Arbeitstag aufteilen, doch in den Gedanken rumorte es ständig, immerzu.
Der Mordfall musste schneller vorangetrieben werden. Auch wenn er schon viel dafür getan hatte, dass man mitfiebern konnte, ein Pageturner war es noch nicht. Es musste enden und zwar langsam. Ein weiterer Blick zum Fluss, bestätigte Martin. Er wusste nun, wie es weiterlaufen würde.
Die Details in Gedanken ausarbeitend stand er auf und schritt am fließenden Wasser entlang, sog gierig die frische Luft ein und war schon wieder so fest in die geschaffene Welt eingebunden, dass der Tod der Mutter nur noch ein Nebel in weiter Ferne war. Jeden Zentimeter der umgebenden Landschaft prägte er sich tief ein, webte sie in das Gedankenkonstrukt. Eine gute Stunde verging, bis er sich schließlich wieder auf den Heimweg machte.
Zu Hause angekommen saß er wieder brütend hinter der Schreibmaschine, Seite um Seite, Stunde um Stunde verstrichen wie im Flug, bis er zu der Stelle kam, wo es spannend werden würde. Der Protagonist Derrick würde ebenfalls an einem Fluss entlang gehen und dem Flussverlauf immer weiter folgen und schließlich darin waten. Was der Charakter zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, war dass es ihn umbringen würde, aber nur wenige Seiten weiter, ließ Martin es geschehen. Ein Arzt teilte Derrick mit, dass er nur noch 3 Monate zu leben hätte, dass Wasser im Fluss würde ihn töten, Die Stoffe darin hatten Derricks Körper vergiftet.
An dieser Stelle lehnte sich Martin zurück und las noch einmal das Ende. Es hatte sich verändert. Da waren wieder nur sinnlose Zeichen. Martin runzelte die Stirn. Er tippte noch einmal den Satz des Doktors. Wieder schaffte er es nicht. Seine Hand tippten andere Zeichen. Schließlich zog er einen Stift aus einer der Schubladen, um es per Hand zu ändern, doch dann stand dort. „Versuch es nicht.“ Das hatte er definitiv nicht geschrieben, was war das? Und dann sah er wie die Schreibmaschine selbst wie von Geisterhand tippte. „Versuch es nicht“. „Versuch es nicht“. „Versuch es nicht“. Immer wieder diese Formel.
Martin zuckte zurück. Aber dann fiel jede Angst von ihm ab. Egal welcher Spuk hier am Werk war, was sollte ihm denn passieren. Er riss das Blatt aus der Schreibmaschine und kritzelte das Todesurteil für Derrick hin. Drei Monate. Er war müde, er musste halb träumen, wahrscheinlich hatte er sich das alles nur eingebildet. Wütend strich er jedes einzelne „Versuch es nicht“ durch. Und einen letzten Gedanken formend, gab er hinzu, dass es eines der wenigen Gifte war, dass keinerlei Gegenmittel besaß und mit der Zeit immer schmerzhafter werden würde. Das Schicksal des Protagonisten war damit besiegelt.
Er legte das Blatt wieder zurück in die Schreibmaschine, denn die Seite war noch nicht voll und er musste ja nicht nur das Leben des Charakters sondern auch die Geschichte zu Ende bringen, doch fassungslos sah er wie die Schreibmaschine wieder von selbst tippte. Gleichzeitig verängstigt, verwirrt und fasziniert betrachtete er wie immer mehr Text die Seite füllte. „Verdammt was ist das“
Da war Derrick wie er weiter machte, wie er der Lösung des Mordfalls Stück für Stück näher kam und dann fing die nächste Seite an. „Hier ist es zu Ende. Ich war damals schon dein Untergang, glaubst du wirklich, dass ich es nicht zu Ende bringen kann? Ich bin nicht die Räuberleiter, die dir aus der Grube hilft. Ich bin der, der dich zurück in den Abgrund tritt. Und das Problem ist, du hast mich geschaffen. Ich bin ein Teil von dir. Du hast dein eigenes Ende geschrieben. Mich so unrühmlich sterben zu lassen. Nein, nein. Du weißt ja ich bin Autor. Du hast mich dazu gemacht. Und ich habe auch einen Protagonist den ich loswerden will. Dich. Und dir schenke ich nicht die paar Monate die ich noch habe. Deine Geschichte endet hier.“ Die Seite wurde mit mehreren Absätze beendet und die nächste fing an, wo beschrieben wurde, wie Derrick schrieb, dass sein Protagonist an einem Herzinfarkt starb. Einfach so beim Schreiben. In den letzten Momenten die Martin hatte, hörte er wie die Schreibmaschine immer und immer weiter tippte.
Der Autor starb, das Buch wurde zu einem Bestseller. Der Autor starb, das Buch wurde zu einem Bestseller.

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