Eine tierische Schöpfungsgeschichte - Page 2

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von Swantje Baumgart

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sich auf die Erde fallen und huschte geschickt zwischen den versammelten Tieren hindurch. Unmittelbar neben dem Ozelot verharrte sie schließlich. All das geschah in einer solchen Geschwindigkeit, dass keines der Tiere ihren Bewegungen hatte folgen können. Der Ozelot stand starr vor Schreck auf seinem Platz und rührte sich nicht.
„Meinst du noch immer, ich wäre zu langsam?“, fragte die Schlange herausfordernd.
Der Ozelot senkte zerknirscht den Blick. „Also gut, vielleicht hab ich mich geirrt. Wir werden gemeinsam zu unserem Schöpfer gehen. Aber ich hoffe für dich, dass du das Tempo auch durchhältst.“ Wieder wich es ein paar Schritte zurück, gerade so weit, wie es sein kätzischer Stolz zuließ.
Und so begleitete die triumphierende Riesenschlange den betretenen Ozelot auf dieser Mission als Vertreter Südamerikas.

In Afrika gab es ebenso wie in Asien keine lange Diskussion darüber, wer die Reise antreten sollte. „Ich bin der König der Tiere“, sagte der Löwe und gähnte herzhaft. „Klarer Fall, dass ich gehen werde.“
Ein kräftiger Prankenhieb seiner Löwin hätte ihn zu Fall gebracht, wenn er nicht ohnehin schon dickbräsig im trockenen Gras gelegen hätte. „Du tickst wohl nicht richtig“, sagte sie. „Für eine so lange Reise bist du doch viel zu faul. Ich werde das übernehmen. Du bleibst hier und kümmerst dich um die Kinder.“
Der Löwe nickte zufrieden. Hauptsache, seine Gattung war vertreten. Wenn seine Frau diese Strapazen freiwillig auf sich nehmen wollte, nur zu. Mit den beiden übermütigen Löwenkindern würde er schon allein fertig werden.
„Und ich werde sie begleiten“, trompetete der Elefant. „Oder gibt es vielleicht ein Tier, das mehr für Afrika steht als ich, der ich immerhin das größte Landsäugetier der Erde bin?“
Schweigend stimmten die anderen Tiere zu. Lediglich Antilope, Gazelle und Zebra steckten leise die Köpfe zusammen. „Da bleiben wir wohl auf der Strecke“, flüsterte das Zebra. „Die beiden haben doch ganz andere Bedürfnisse als wir.“ Aber sie protestierten nicht, hatten doch alle drei einen gehörigen Respekt vor der Löwin.

Mitten in der Wüste Australiens versammelten sich die Tiere des fünften Kontinents und überlegten, wen sie wohl auf die Reise zum Schöpfer schicken sollten. Krokodil, Papageien und Sittiche, Koala, Känguru und Dingo fühlten sich allesamt dazu berufen. Jedoch war man sich schnell einig, dass Koala und Känguru die würdigsten Vertreter darstellten. Nur der Tasmanische Teufel, die Quolls und der Tasmanische Tiger, den die Menschen seit Jahrzehnten für ausgestorben hielten, blieben außen vor. Manche Dinge ändern sich wohl nie.
„Und was ist mit mir?“, rief der Dingo. „Mich als Wildhund gibt es schon seit Jahrtausenden. Ich bin doch wohl ebenso geeignet, diesen Kontinent zu vertreten.“
„Ausgerechnet du“, lachte der Emu und schlug mit seinen Flügeln. Zwar konnte er ebenso wenig fliegen wie sein naher Verwandter, der Strauß, doch seine schnellen Beine und sein kräftiger Schnabel verschafften ihm immer wieder Respekt unter den anderen Tieren. „Schau dir mal deinen Stammbaum an. Dort wirst du eine ganze Reihe von Haushunden finden. Ein reiner Wildhund bist du schon lange nicht mehr, weil ihr euch mit allem einlasst, was vier Beine hat und bellt.“
Die anderen Tiere lachten. Der Dingo schwieg betreten, wusste er doch, dass der Emu recht hatte. So stieg der Koala in aller Eile von seinem Baum hinab und folgte dem Känguru, das sich bereits mit großen Sprüngen auf den Weg gemacht hatte. Eigentlich war der Koala ebenso wenig an der Mission interessiert wie in Europa die Wildkatze. Koalas verschlafen beinahe den ganzen Tag, sodass er nach seiner Rückkehr monatelang würde ruhen müssen, um den langen Schlafentzug auch nur annähernd aufholen zu können.

„Natürlich müsst ihr mich schicken!“, rief der Weißkopfseeadler, während er über der Versammlung der Tiere Nordamerikas kreiste. „Immerhin haben mich die Menschen hier zu ihrem Wappentier gemacht.“ Dabei ließ er sich elegant und scheinbar schwerelos durch die Lüfte gleiten.
„Es gibt aber keine Menschen mehr“, widersprach der Puma. „Also fragt auch niemand mehr danach, was die Menschen dir alles angedichtet haben, was sie erfunden haben, um dich zu dem großartigen Tier zu machen, das du zu sein glaubst.“
„Die Menschen haben nichts erfunden“, keifte der Adler und ließ sich wütend auf einem Ast nieder.
„Darf ich einen Moment um Ruhe bitten“, mischte sich der Grizzly-Bär ein, bevor der Streit größere Ausmaße annehmen konnte. „Wir müssen wie jeder andere Kontinent zwei Tiere losschicken. Was also haltet ihr davon, wenn ihr gemeinsam geht?“
Der Winterschlaf stand kurz bevor, sodass der Bär nicht das geringste Interesse daran hatte, selbst an einer so weiten Reise teilzunehmen. Er hatte sich bereits eine gehörige Fettschicht angefressen, um die nächsten Monate schlummernd in seiner warmen Höhle zu verbringen. Als sich jedoch keines der anderen Tiere zu Wort meldete, hob er erneut seine Stimme. „Hat vielleicht sonst noch jemand Interesse daran, vor unseren Schöpfer zu treten und seinen großen Schnabel aufzureißen?“ Die letzten beiden Worte betonte er und warf dabei dem Adler einen vielsagenden Blick zu.
Der Vogel tat so, als habe er die Worte des Bären überhört und betrachtete die bizarren Felsformationen in der Ferne, die er von seinem hohen Ast aus gut erkennen konnte. Seine arrogante Körperhaltung aber sprach Bände.
„Also gut“, sagte der Bär. „Dann hätten wir das also auch erledigt.“ Damit zog er sich in seine Höhle zurück, rollte sich zusammen, soweit dies mit der dicken Fettschicht noch möglich war und fiel in einen langen und tiefen Winterschlaf.
Murrend zog der Puma los, während der Adler weit oben durch die Lüfte glitt. Nein, Freunde würden sie wohl niemals werden. Dem Puma war es recht so. Er streifte ohnehin lieber allein durch sein Revier.

Instinktiv wussten die Tiere, dass sie alle der untergehenden Sonne folgen mussten. Denn die Sonne war der einzige Punkt, den sie alle sehen konnten, wo immer sie sich auch befanden. Selbst in der Nacht konnten sie zumindest ein wenig von dem Licht der Sonne erkennen. Der Mond dagegen zeigte sich oft nur als schmale Sichel, und manchmal verschwand er sogar ganz hinter dichten Wolken.
So kam es, dass zwölf Tiere, die unterschiedlicher kaum sein könnten, genau dort zusammenkamen, wo die Sonne am Abend untergeht, unmittelbar vor dem Himmelstor. Eine Weile beäugten sie sich misstrauisch, hatte doch der Tiger niemals ein Känguru zu Gesicht bekommen, ebenso wie die Anakonda

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Veröffentlicht / Quelle: 
"Andy - Desert Mix I", erschienen bei edition ginga, ISBN 978-3947737079
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