Eine tierische Schöpfungsgeschichte - Page 3

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von Swantje Baumgart

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zum ersten Mal in ihrem Leben einem so mächtigen und riesenhaften Tier wie dem Elefanten gegenüberstand. Unter normalen Umständen wären sie sich niemals begegnet, und so halfen ihnen im Umgang miteinander auch ihre Instinkte nicht mehr.
Das anfängliche Misstrauen wich schnell einer schier unstillbaren Neugier. So unterschiedlich die Tiere waren, so groß war der Wunsch eines Jeden, mehr über die anderen Tiere zu erfahren. Dass es dabei nicht immer freundlich zuging, ist nicht verwunderlich. Immerhin waren sowohl Raubtiere als auch Pflanzenfresser unter ihnen, die eigentlich Fressfeinde gewesen wären.
Das größte Interesse aller anderen Tiere galt dem Koala und dem Känguru. Für die Bewohner der übrigen Kontinente müssen sie wohl ziemlich seltsam ausgesehen haben. Die Sache mit dem Beutel kannten zumindest einige, die schon einmal ein Opossum gesehen hatten. Der eine oder andere hatte vielleicht auch schon eines gefressen, aber das gehörte zu den Dingen, die man wohlweislich verschwieg. Die kautschukartige Nase des Koalas aber, seine buschigen Ohren und vor allem die seltsame Fortbewegungsart des Kängurus, das war doch allen sehr fremd.
„Sagt mal“, begann der Tiger. „Ist euch eigentlich aufgefallen, dass euer Kontinent als einziger keine Katze geschickt hat?“
Die anderen Tiere nickten zustimmend.
„Natürlich“, erwiderte der Koala ein wenig arrogant. „Australien ist eben etwas Besonderes. Abgesehen von Hauskatzen gibt es bei uns keine Katzen. Weil diese aber von den Menschen mitgebracht wurden, sind sie nicht gerade würdige Vertreter, oder? Wir, das Känguru und ich, wir sind Beuteltiere. Damit ist die Tierwelt Australiens einzigartig auf der Welt.“
„Das ist doch gar nicht wahr“, warf da der Puma ein. „Bei uns gibt es das Opossum. Das ist ein mausartiges Tier, das seine Jungen ebenso im Beutel trägt wie ihr.“ Der Ozelot nickte.
Koala und Känguru öffneten gleichzeitig die Münder, um zu widersprechen. Sie müssen dabei ziemlich lächerlich ausgesehen haben, denn sie wussten nicht, was sie der Behauptung des Pumas entgegensetzen sollten.
„Hört doch auf zu streiten“, warf da die Anakonda ein. „Wir alle sind hier, weil wir eine wichtige Aufgabe zu erfüllen haben. Wir sollen uns selbst und all die anderen Tiere vertreten, die auf dieser Erde leben. Dabei ist es ganz unwichtig, ob wir nun einmalig sind oder nicht.“
Darauf streckte die Schlange ihren langen Körper so weit in die Höhe, bis sie über das Himmelstor hinwegsehen konnte. Da hockte der Schöpfer auf einer Wolke. Das lange weiße Haar fiel weit über seine Schultern, der Bart berührte beinahe die strahlend weiße Wolke. Doch er wirkte nicht wie ein allmächtiger Gott. Vielmehr sah er aus wie ein alter Mann, wie er dort saß, im Schneidersitz, das Kinn in die Hand gestützt. Traurig sah er aus, so als zweifelte er an sich selbst.
Die Schlange schämte sich, den Schöpfer so zu sehen und wollte sich gerade zurückziehen. Doch da schaute er auf und hatte sie auch schon bemerkt.
„Kommt ruhig herein“, sagte er. „Ich habe euch schon erwartet.“
Die Schlange stieß mit der Nase leicht gegen die Tür und ließ sich auf der großen Wolke nieder, auf der auch der Schöpfer hockte und seine Gäste mit traurigen Augen betrachtete. Schüchtern traten sie näher.
„Nun, was habt ihr mir zu sagen?“, fragte der Gastgeber und schaute einen nach dem anderen an.
Eine Weile herrschte respektvolles Schweigen. Niemand wagte es, mit seiner Bitte an den Schöpfer heranzutreten.
„Wir möchten die Menschen wiederhaben“, sagte der Elefant schließlich.
Dem Schöpfer klappte vor Überraschung die Kinnlade hinunter, doch er hatte sich schnell wieder gefangen. „Die Menschen haben sich selbst zerstört, ihre Zeit auf der Erde ist vorbei. Aber warum in aller Welt wollt ihr sie wiederhaben? Sie haben viele von euch vernichtet, eure Lebensräume zerstört. Sie haben euch doch nur geschadet.“
„Sie haben Nationalparks geschaffen“, meldete sich nun der Adler. „Sie haben viel zerstört. Aber sie haben sich auch bemüht, das wiedergutzumachen, was sie kaputt gemacht haben.“
„Von meiner Art“, meldete sich, mutig geworden durch die Einwürfe der anderen Tiere, nun auch der Tiger, „gibt es nur noch sehr wenige. Die Menschen haben viele meiner Artgenossen in Gefangenschaft großgezogen, um sie später in die Freiheit zu entlassen. Dadurch konnten wir uns in Freiheit wieder vermehren. War das denn falsch von den Menschen?“
Der Schöpfer schüttelte den Kopf. „Natürlich ist das richtig von den Menschen. Nicht alle Menschen waren schlecht. Viele gab es, die reparieren wollten, was andere zerstört hatten. Aber es gab immer wieder solche, die eure Artgenossen getötet haben.“
„Ich töte auch Tiere“, warf die Anakonda ein. „Um sie hinterher zu fressen. Bin ich deshalb schlecht?“
„Selbstverständlich nicht“, beruhigte der Schöpfer die Riesenschlange. „Aber die Menschen haben eure Artgenossen nicht nur getötet, um sie zu essen. Dein Fell“, dabei deutete er auf den Ozelot, „haben sie zu Mänteln verarbeitet. Aus euch“, er zeigte mit der anderen Hand auf die Löwin und den Tiger, „machten sie Kaminvorleger und trampelten darauf herum. Deine Haut“, sagte er an die Anakonda gewandt, „wurde zu Schuhen, Portemonnaies, Handtaschen und Gürteln verarbeitet. Und dein Elfenbein“, wandte er sich an den Elefanten, „wurde zu Figuren geschnitzt. Da nutzte es wenig, dass du das größte Landsäugetier bist. Zum Essen haben sie nur das wenigste verwendet.“
„Aber warum?“, fragte der Panda. Aus seiner Stimme sprach dieselbe Verständnislosigkeit, die auch in den Augen der übrigen Tiere stand.
„Sie fanden euch schön“, sagte der Schöpfer. „Das wunderbare Fell des Ozelots, die mächtigen Stoßzähne des Elefanten. All das gefiel den Menschen. Und weil es ihnen gefiel, wollten sie es für sich haben.“
„Aber ist Schönheit denn mehr wert als ein Leben?“, fragte der Koala verwundert.
Der Schöpfer schüttelte traurig den Kopf. „Nichts ist mehr wert als ein Leben. Aber vielleicht begreift ihr nun, weshalb ihr ohne die Menschen besser dran seid.“
Eine Weile herrschte Schweigen. Bis schließlich der Schöpfer noch einmal das Wort ergriff. „Vor vielen Jahren entstand die Erde“, sagte er. „Praktisch aus dem Nichts ist sie entstanden. Dann kamen winzig kleine Lebewesen. Aus diesen winzig kleinen Lebewesen wurden immer größere Tiere, bis schließlich ihr entstanden seid. Eines Tages wollte ich das perfekte Lebewesen erschaffen. Sie sollten eine Sprache sprechen, damit sie sich untereinander verständigen konnten. Sie sollten auf zwei Beinen gehen, damit sie ihre Hände benutzen und neue Dinge damit schaffen konnten. Sie sollten sich ähneln, und doch sollte keiner aussehen wie der andere. Und sie sollten intelligent sein. Aber was hat es ihnen gebracht? Mithilfe ihrer Intelligenz haben sie viele von euch ausgerottet, eure Lebensräume zerstört und sich gegenseitig bekämpft. Was also wollt ihr? Eine neue Menschheit, damit sie das zerstört, was von unserer Welt noch übrig ist?“
Die Stimme des Schöpfers war immer lauter geworden, sodass die Stille nun, da er schwieg, wie etwas Lebendiges zwischen ihm und den Tieren stand. Die Löwin hob eine Pranke, als wolle sie die greifbar scheinende Stille berühren.
„Aber es gibt nicht mehr genug Wasserlöcher“, sagte der Elefant. „Woraus sollen wir denn trinken? Was sollen wir fressen?“
„Eure Wasserlöcher sind doch das kleinste Problem“, schaltete sich nun der Ozelot ein. „Ein bisschen Regen, und ihr habt wieder, was ihr braucht. Was aber ist mit unseren Bäumen? So ein Urwaldriese braucht viele Jahre, bis er richtig groß ist.“
„Und mein Bambus“, rief nun auch der Panda. „Ich kann nichts anderes essen. Das meiste vertrage ich nicht.“
„Deinem Bambus kann man doch beim Wachsen zusehen, oder etwa nicht“, protestierte der Koala, und das Känguru wippte zustimmend mit seinen langen Ohren. „Ich kann nur Eukalyptus fressen. Meinst du vielleicht, ich bin besser dran als du?“
„Ich würde dich ja gern zum Essen einladen“, gab der Panda giftig zurück und rümpfte die Nase. „Aber du bist so wählerisch, dass du selbst von deinem Eukalyptus nur wenige Sorten und auch davon nur die zartesten Blätter frisst.“
„Ruhe!“, rief der Schöpfer, und tatsächlich herrschte binnen weniger Sekunden wieder Schweigen. „Ihr habt alle recht. Und ich weiß auch schon, wie wir das Problem lösen.“
Der Schöpfer drehte sich herum, gefolgt von den neugierigen Blicken der Tiere. Doch an seinem breiten Rücken konnte selbst der Elefant nicht vorbeischauen. Es raschelte und klapperte geheimnisvoll.
Schließlich wandte der Schöpfer sich wieder seinen Gästen zu. In der Hand hielt er ein riesiges Blatt Papier, das er nun vor ihnen ausbreitete. Es war eine Weltkarte, aber die einzelnen Kontinente waren vollkommen leer. Keine Berge, keine Flüsse, nichts war dort eingezeichnet.
„Fangt an“, sagte der Schöpfer und verteilte eine riesige Palette farbiger Stifte vor den Tieren. „Malt all das in euren Kontinent, was dort einmal war und was ihr dort haben möchtet. Aber denkt auch an die anderen Tiere, die daheim geblieben sind. Du“, er schaute die Löwin mit eindringlichem Blick an, „wirst viele Wasserlöcher malen, für all die anderen Tiere wie die Zebras und die Gazellen.“
„Aber“, protestierte die Löwin, „wenn es in ganz Afrika nur ein Wasserloch gäbe, dann müssten alle Tiere dorthin kommen, um zu trinken. Damit wären sie doch viel leichter zu fangen.“
„Eben drum. Sie möchten auch leben, ebenso wie du. Sie brauchen Orte, wo sie vor euch sicher sind.“
Die Löwin nickte. Tatsächlich hatte sie noch nie darüber nachgedacht, dass auch ihre Beutetiere leben und ihr und ihren Artgenossen nicht nur als Nahrung dienen wollten. Es war nicht der ausgeprägte Gerechtigkeitssinn, der sie dazu veranlasste, tatsächlich mehr als ein Wasserloch zu malen. Sie tat es, weil ihr klar war, dass der Schöpfer ihre Vorschläge nicht akzeptieren würde, wenn sie nur an sich und ihre Familie dachte.
„Und ihr“, der Schöpfer deutete auf das Känguru und den Koala, „ihr malt nicht nur Wiesen und Eukalyptusbäume. Vergesst die Wüste nicht, und die Flüsse für die Fische und die Krokodile.“
Der Schöpfer machte es sich auf seiner Wolke bequem und beobachtete die Tiere, die eifrig und in bewundernswerter Einigkeit drauflos malten. Wie Kinder im Kindergarten schienen sie helle Freude an ihrer Arbeit zu haben. Ja, sie halfen sich sogar gegenseitig, denn die gewaltigen Füße des Elefanten waren zum Malen ebenso wenig geeignet wie die Schwingen des Adlers.
„Eure Zeit ist um“, rief der Schöpfer, nachdem er seine Sanduhr unzählige Male herumgedreht hatte. „Ich hoffe, ihr habt genau darüber nachgedacht, was ihr gemalt habt. Denn was einmal steht, ist so leicht nicht mehr zu ändern. Spätere Beschwerden werden nicht angenommen.“
Er betrachtete eine Weile das Werk und nickte. Tatsächlich hatte die Löwin mehrere Wasserlöcher auf den afrikanischen Kontinent gezeichnet. Der Ozelot hatte Bäume gemalt, die so hoch waren, dass Affen und Vögel dort oben sicher waren. Denn der Ozelot selbst würde für diese hohen Wipfel viel zu schwer sein. Flüsse durchzogen die gesamte Weltkarte, Bäume und ganze Wälder waren ebenso auf jedem Kontinent zu finden.
„In Ordnung“, sagte der Schöpfer schließlich. „Nun geht wieder heim. Ich habe viel zu tun, denn ich möchte mit meiner Arbeit fertig sein, bevor ihr alle wieder zu Hause seid.“
Der Schöpfer arbeitete Tage und Nächte an der Welt. Ohne Pause formte er Bäume, füllte Wasserlöcher und Flussbetten auf und setzte Berge auf die Erde. Bis er endlich fertig war und zufrieden sein Werk betrachtete. Vögel und Affen hockten in den hohen Wipfeln der südamerikanischen Urwaldriesen. Krokodile tummelten sich in den Flüssen Australiens und Afrikas. Echsen sonnten sich in der brütend heißen australischen Sonne ebenso wie in den trockenen Landstrichen Nordamerikas und Afrikas.
Alles war wieder so, wie es einst gewesen war. Nein, nicht ganz. Denn es gab keine Menschen mehr auf der Erde.

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Veröffentlicht / Quelle: 
"Andy - Desert Mix I", erschienen bei edition ginga, ISBN 978-3947737079
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