Aussterbende Begriffe (1) : Der Salonkommunist

Bild von Max Dernet
Bibliothek

Mein Großvater war's, der an einem dieser regentrüben Sonntagnachmittage zwischen Herbst und Winter, hart mit der Frankfurter Schule ins Gericht ging. ‚Salonkommunisten‘ war sein abschließendes Verdikt, bevor das Gespräch endgültig von der Politik auf die Fußballbundesliga umschwenkte und man zuerst das Licht, denn draußen dämmerte es bereits, und dann das Radio einschaltete, um Heinz Mägerleins Berichten aus der Sportwelt zu lauschen.

Salonkommunisten! Ich saß im Sessel neben dem Radio und starrte auf die bernsteingelb schimmernden Städtenamen auf der Skala, während Mägerlein die Spielergebnisse der Bundesliga verlas, und versuchte mir diese unheimlichen Gesellen vorzustellen. Wir hatten keinen Salon, nur ein Wohnzimmer.

Die Tante meiner Mutter allerdings besaß einen, Frau Konsul lebte in einer der großbürgerlichen, von den Bomben verschonten Häuser direkt an der Theresienwiese. Ich sah sie einmal im Jahr, wenn ich mit Mutter aufs Oktoberfest durfte. Sie empfing uns im Salon, in den das Dienstmädchen meine Mutter und mich über das diskret knarrende Parkett des endlosen Flurs geführt hatte, einem mit schweren Sesseln und einem Flügel ausgestatteten, großen Raum, meist abgedunkelt, denn der Konsul war alt und ‚leidend‘, er vertrug kein Tageslicht mehr.

Tante erschien, wie immer schwarzblau gekleidet, mit einer Perlenkette über dem, was man damals ‚stattliche Büste nannte’, und erfragte mit vornehm klickender Stimme die Neuigkeiten aus der Vorstadt. Meine Mutter gab höflich Auskunft, während ich ungeduldig dem durch Doppelfenster und dicke Vorhänge gedämpften Orgelklang des Tobbogans lauschte und auf das obligatorische Fünfmarkstück für den Wiesnbesuch wartete.

Wie ein Kommunist aussah, das wusste ich von den Plakaten des kürzlich stattgefundenen Wahlkampfs. Teuflisch lauerte er in Moskau, unser Land zu erobern. Wenn so ein Kommunist in seinem Salon stünde, wäre dieser vermutlich auch verdunkelt, rötlich wie in der Geisterbahn das spärliche Licht. Aber einen Fünfer für das Oktoberfest bekäme ich wohl nicht von ihm.