Totenstadt - Page 4

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abklären. Irgendetwas ist gewaltig schief gelaufen.“ „Anscheinend“, sagte Gero halblaut.
Gemeinsam fuhren sie in die Stadt, wo der Professor direkt bei seiner Sekretärin anrief, die natürlich schon zu Hause war.
„Frau Stilbla, was ist passiert? Was geht hier vor sich? Ich wurde benachrichtigt, dass die Arbeiter gegangen sind.“
„Das ist richtig... Professor Mischam, die Firma hat ihre Spende zurückgezogen.“
„Zurückgezogen?“
„Ja, sie glauben einfach nicht mehr an das Projekt... Als Entschädigung, bieten sie an den Rückflug zu übernehmen, erste Klasse, sagten sie.“
„Den Rückflug?! Was fällt denen...“, einen Moment hielt der Professor inne, er hatte keine Chance dort irgendetwas zu tun; er überlegte kurz und fasste einen Entschluss, „In zwei Wochen.“
„Wie steht es denn mit [Hier Cutten] dem Fortschritt?“ Gero hatte aufgelegt, fasste sich einen Augenblick lang und schritt dann nach draußen.
„Alles ist in bester Ordnung. Wir haben schon einen anderen Sponsor, der die Stadt weiter aufbauen wird“, sagte Gero zu dem Kontaktmann.
„Es war ziemlich laut da drin?“ „Manchmal müssen Angelegenheiten lauter geklärt werden. Sagen sie den Arbeitern, dass in zwei Wochen die Leute kommen und die Stadt aufbauen werden, wir werden diese Stadt reich machen“, sagte Gero lächelnd. „Und bis dahin?“ „Müssen sie natürlich am Lager weiterhelfen.“ „Aber hier ist niemand der irgendetwas aufbaut.“ „Wie gesagt in zwei Wochen. Mehrere Brunnen, richtige Straßen. In zwei Wochen ist das alles.“ „Aber im Moment ist ja niemand hier, die Arbeiter werden...“ „Ich kann dort wieder anrufen und das Ganze beenden“, sagte Gero trocken. „Zwei Wochen, dann erstrahlt die Stadt in neuem Glanz. Ich meine, der Brunnen funktioniert ja auch, oder?“ Der Kontaktmann nickte, anscheinend war er überzeugt. Es behagte Gero nicht, den Mann anzulügen, aber er musste als erstes alles untersuchen. Wenn die Meldung raus wäre, dass die Forschung ein Erfolg war, würden Scharen von Männern anrücken und alles untersuchen wollen.
Die Gespräche mit den Arbeitern liefen gut und sie stimmen zu, das Lager weiterhin am Leben zu erhalten, während Gero, Hendrik und Merlin zusammen die erste Reise in die Gänge planten.
Drei Taschenlampen, Wasser, ein Notizbuch und ein Stift. Nichts Besonderes. Bevor sie hineingingen ließ Gero den Kontaktmann die Arbeiter noch einmal fragen, ob jemand mitkommen wollen würde. Sie verneinten. „Es gibt kein Monster in der Totenstadt“, sagte der Professor und schüttelte den Kopf.
Sie würden nur ein paar Stunden weg sein. Die Arbeiter sollten da bleiben und den Lagerbetrieb beaufsichtigen, kleine Fundstücke begutachten und weiter säubern.
„Sollen wir wirklich nicht auf mehr Leute warten?“, fragte der Doktor und Gero schüttelte den Kopf. „Eine Chance haben wir. Eine. Nicht mehr, nicht weniger.“ „Haben wir alles?“ Hendrik sah zu den beiden Anderen, kontrollierte selbst nochmal, ob seine Taschenlampe funktionierte. „Dann mal los.“
Sie stiegen die Treppenstufen herunter und liefen einige Schritte, ließen den Schein der Taschenlampen über die Wände streichen, die mit winzigen Bildern verziert waren. Wieder das Bild der Kreatur. Wahrscheinlich eine Warnung, dass man jetzt noch umkehren konnte. Draußen fing es wieder zu stürmen an und mehrere Windstöße drangen nach unten. Wie durch die Windstöße geweckt, ertönte wie ein Heulen, dass den Dreien das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Sollten wir vielleicht nicht besser umkehren?“, fragte Merlin. Für einen Augenblick dachte der Professor ernsthaft darüber nach, doch dann schüttelte er den Kopf. „Jetzt nicht. Es gibt kein Monster hier.“ „Dieses Heulen...“, murmelte Hendrik. „Papperlapapp, gehen wir weiter. Denkt nur dran. Das wird die Totenstadt sein!“
Am Ende des Ganges stand eine Statue von Savir und der Weg gabelte sich. „Vielleicht sollten wir den Weg irgendwie markieren, damit wir wieder zurückfinden“, warf Hendrik ein. „Das wird das Beste sein. Hast du etwas dafür?“ Der Professor kramte in seinen Taschen und zog sein Notizbuch hervor und legte eines der Blätter auf den Boden. Sie gingen weiter den linken Gang entlang und kamen an einem seltsamen steinernen Gebilde vorbei. Es war krumm und merkwürdig geformt.
Dann kündigte sich wieder der Sturm von draußen an und wieder ertönte das Heulen, sobald der Wind die drei erreicht hatte. Das Heulen war hier am stärksten. Es kam von dem steinernen Gebilde. Der Professor musste lachen, als ihm klar wurde, dass die Leute einem billigen Trick aufgesessen waren und war erstaunt über die Intelligenz der Kultanhänger. „Die Apparatur ist das Monster.“ „Wie meinst du?“ „Der Wind kommt, geht durch den Stein und pfeift und heult. Ein verdammter, lebloser Stein.“ Sie betrachteten den Stein eingehend, ließen dann aber davon ab und nahmen die nächste Abzweigung. Wieder nach Links. Wieder eine Seite aus dem Notizbuch auf dem Boden. Wieder ein langer Gang. Doch diesmal gab es zu beiden Seiten kleine Nischen und einige Räume. Als die Drei näher traten fuhr dem Doktor ein angewiderter Laut aus. „Mumifiziert.“ Hendrik trat näher heran. „Die Toten leben zusammen mit den Lebenden“, sagte der Doktor und zeigte, dass im Raum noch ein freies Bett gewesen war und ein steinerner Tisch. Etwas Wasser stand hier noch, tropfte aus dem Stein in eine Schale. Vielleicht hatten die Leute so ihr Wasser bekommen, aber sicher waren sie sich nicht.
Weitere Räume mit verschiedenen steinernen Einrichtungen folgten und sie drangen immer tiefer in die Dunkelheit, durch die von Räumen flankierten Gänge. Das Notizbuch leerte sich mit der Zeit, wobei noch immer etwas mehr als die Hälfte an Seiten übrig war. Sie standen gerade wieder in einem der Räume und untersuchten gerade einen speziell geformten Tisch, möglicherweise war er für Opfergaben gedacht, als eine kleine Erschütterung durch die Gänge ging. Etwas Sand rieselte von der Decke. Die Erschütterung war minimal, aber durchaus spürbar. Dann noch eine winzige Erschütterung und dann ein lautes Krachen. Sie verließen das Zimmer und sahen, dass die Decke eingebrochen war und in dem Gang hinter ihnen alles versperrt hatte. Noch eine kleine Erschütterung und dann war wieder alles ruhig. Hendrik schritt zu dem Steinhaufen und sah es sich genauer an.
„Hier ist kein Durchkommen. Keine Chance.“
„Scheiße, was machen wir jetzt?“, fragte der Doktor. „Warum mussten wir auch hier reingehen? Ich hatte von Anfang an ein beschissenes Gefühl bei der Sache!“ „Wir werden hier schon irgendwie rauskommen. Gibt sicher mehr als einen Weg nach draußen“, sagte Hendrik. „Wir sind immer nach links gegangen, also gehen wir jetzt einmal nach rechts und dann zurück. Das wird ja schon so eine Art Muster sein.“ Der Professor nickte zustimmend. Ein Heulen erklang erneut und der Doktor zuckte zusammen. „Das ist ekelhaft...“ „Kein Monster in der Totenstadt. Und die Toten sind sicher meist auch schon zerfallen“, murmelte der Professor und schritt mit den anderen weiter, die Anderen im Schlepptau. Der Weg nach rechts führte an eine Stelle an der anscheinend ein Weg nach links mit einem Weg nach rechts zusammenführte. Es war eine Art Rautenmuster. Sie folgten dem Weg, doch gelangten zu einer Sackgasse. „Verdammt.“
Weitere Sackgassen folgten. Sie fanden nicht einmal mehr zurück zur Stelle an der sie hergekommen waren und kamen weder voran noch zurück. Nach ein paar Stunden setzten sie sich auf eine steinerne Bank, die auf dem Weg stand. „Wir müssen vielleicht bei der nächsten nach rechts, da kommen wir sicher raus. Anders kann es nicht sein“, sagte Gero fast verzweifelt. „Halt bloß dein Maul. Was für eine scheiß Idee. Totenstadt. Hier ist vielleicht kein scheiß Monster aber draufgehen tun wir trotzdem.“
„Wie blöd waren wir hierherzukommen – “ „Hinter der nächsten Biegung kommen wir sicher auf den richtigen Weg.“ „Genug ist genug. Wir gehen in die andere Richtung. Deine scheiß Ideen haben uns nirgendwohin gebracht.“ „Aber es geht dort weiter, ich bin mir sicher.“ Der Doktor stand auf. „Nicht mit mir. Komm Hendrik.“ Hendrik schien einen Moment zu überlegen und trottete dann dem Doktor hinterher. Gero konnte es nicht fassen. Er war sich sicher, wo es weiter ging. Er musste einfach weiter machen. Alleine zog er stundenlang durch die Gänge, verlor jeden Gedanken an Zeit. Einfach immer weiter. Ohne Sinn, ohne Verstand. Einfach immer weiter. Ohne Sinn, ohne Verstand. Einfach immer weiter. Ohne Sinn, ohne Verstand. [Ausfaden – Ausblenden]

Draußen im Lager standen die Arbeiter und warteten ab. Eine Woche verging und jede Nacht ertönte das Heulen der Kreatur, sodass sie sich sicher waren, dass die Fremden dem Monster zum Opfer gefallen waren. Manche warteten auch länger, aber nach gut zwei Wochen, war lediglich die Hälfte noch da. Immer noch in der Hoffnung, dass die falschen Versprechen des Professors bald wahr werden würden. Am 16ten Tag sprachen einige darüber, dass das Lager keinen Sinn mehr hatte und fingen an die Zelte auseinanderzunehmen. Während des Einsammelns der nützlichen Teile, ertönte das Heulen noch einmal und die Arbeiter zuckten zusammen, nur kurz, aus Reflex, doch dann wich der kurze Schreck einer ungeheuren Angst, als sie sahen, was langsam aus der Totenstadt, die Treppe hinaufgekrochen kam. Eine ausgemergelte Gestalt kroch auf allen vieren und gab seltsame Laute von sich.
Die Arbeiter packten das Werkzeug und schlugen die Kreatur nieder, warfen sie zurück in die Totenstadt und versiegelten den Eingang, sodass nichts mehr aus dieser Hölle entfliehen konnte. Die Kreatur der Totenstadt war besiegt.

Mit seinen letzten, schwachen Herzschlägen, zurückgelassen in der steinernen Dunkelheit, dem Ende entgegen, murmelte der Professor seiner Sinne nicht mehr mächtig: „Es gibt kein Monster in der Totenstadt, es gibt kein Monster in der Totenstadt.“

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