Zacharias - Page 2

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aus. Vielleicht spielte draußen jemand Musik. Ich schaltete das Radio an und switchte solange durch die Kanäle, bis ich keine Lust mehr hatte und auf einer Politikdiskussion hängenblieb. Konservatismus der wieder salonfähig wurde. Ekelhaft unmenschlich. Ich drehte das Radio ab, als ich in die Straße abbog, in der Zacharias wohnte. Es war ein Plattenbau. Ein Zimmer hatte Elke einmal erzählt. Ich war nie dort gewesen und es hatte mich auch nie interessiert. Ich ging zu dem Klingelschild und erschauerte kurz als ich den Nachnamen las – Lautmann. Elke Lautmann. Für wen tat ich das? Ich blickte kurz auf den Boden. Dann drückte ich auf die Klingel. Warten. Keine Reaktion. Klingeln. Warten. Keine Reaktion. Wiederholen, wiederholen. Ich hatte wirklich keine Zeit dafür. Rauchend blieb ich weitere fünf Minuten dort stehen und starrte auf das Klingelschild. Elke hatte mir immer wieder von ihren Besuchen bei Zacharias erzählt, obwohl ich es nie hören wollte. Er hatte damals wohl häufiger in einem Skaterpark rumgehangen; vielleicht immer noch. Ich verließ den Hauseingang und ging zu der ersten Person, die in Sichtweite kam und fragte sie, ob es hier irgendeinen Park gäbe. „Gehen Sie am Supermarkt vorbei, die dritte Straße, dann rein und dann sehen Sie's schon.“ „Danke“, meinte ich. „Geht es Ihnen gut?“, fragte der Passant. Ich starrte ihn nur an. War irgendetwas passiert? „Danke für die Auskunft“, sagte ich noch einmal und machte mich dann auf. Kopfschmerzen fluteten meinen Kopf. Es war als fehlte etwas, aber ich wusste nicht was. Was hatte er gewollt?
Ich erreichte nach nicht einmal zehn Minuten den Skaterpark. Alles war heruntergekommen und überall wurde alles vollgeschmiert. Vandalen. Hier skatete niemand. Allgemein machte niemand Sport. Hier hingen einfach nur hohlwangige Gestalten rum. Ein älterer Mann fummelte an einem weißen Din A4 Blatt herum. Eine Gruppe von Jugendlichen reichten einen Joint herum. Dieses Scheißzeug wird euch noch zerstören, dachte ich. Ich lief zu den Jugendlichen hin und wollte sie fragen, ob sie Zacharias gesehen hatten, doch als ich mich ihnen näherte, wirkten sie ängstlich und strömten zügig in alle Richtungen, Kopf nach unten. Ich verzog das Gesicht und zündete mir eine Zigarette an. „Die Kinder haben keine Ahnung. Wenn du Bulle wärst, wärst du nicht allein. Der Fotzenstaat lässt seine Knechte ja nichtmal allein aufs Klo.“ Ein Mann, der aussah, als wäre er Ende 30, aber sicher nicht mal Ende 20 war, kam auf mich zu. „Also Opa. Suchst du deinen Enkel?“ „Ja. Sowas in der Art.“ „Zum Drücken kommste sicher nich her.“ Seine Augen wirkten so seltsam trüb. „Zacharias.“ „Zack?“ „Ja.“ „Der ist untergetaucht.“ „Untergetaucht?“ „Der hatn paar tausend Euro Schulden. Hat was auf Ko geholt, aber am Ende alles selbst gedrückt. Richtiger Trottel.“ „Wo ist er?“ „Kein Plan. Ich hoff für ihn, dass er innem andern Land chillt. Kein Plan, wen er da genau verärgert hat, aber das war irgendwer der fast oder direkt an einer Quelle hängt. Anner richtigen.“ „Ich muss Zacharias … Zack finden.“ „Keine Chance.“ „Dieser Typ – dem Zack Geld schuldet. Wo finde ich den.“ „Kann ich dir sagen.“ Ich schaute ihn an, wartete. „Fürn Schein.“ „Wie viel?“ „50, denk ich.“ Ich gab ihm fünf Zehner. „Hast keinen Fünfziger?“ „Nein.“ „Vertickst du Gras?“ Ich runzelte die Stirn. „Wo finde ich den Typen?“ „Weiß ich nicht, aber ich kenn wen, der das weiß. Hundstageweg 16. Vladi.“ „Vladi wie?“ „Müller. Aber du hast die Infos nich von mir.“ Ich nickte und ging zurück zum Plattenbau. Was für eine Scheißgegend.
Ich würde die Schulden von Zacharias abbezahlen. Das Geld brauchte ich sowieso nicht mehr und es war wie ein letzter Gefallen an Elke. Wie sollte ihr Sohn wieder auf die richtige Bahn kommen, wenn ihn so etwas blockierte? Ich klingelte. Kopfschmerzen. Plötzlich Krieg im Kopf. Alles auf einmal, alles plötzlich nichts. Schwärze und Schmerz und Schwarz, Schwarz, Schwarz. Scheiße, Scheiße, Scheiße. Irgendwann ließ es nach, ich machte die Augen auf, saß auf den Stufen vor dem Plattenbau und hatte einen Zettel in der Hand. Was war passiert? „Ist alles ok?“, fragte eine dicke Frau vor mir. „Alles glänzend.“ Ich stand unbeholfen auf, lächelte schief und ging los. In der Luft hing wieder diese seltsame Melodie. Ich erreichte die Adresse innerhalb von zwanzig Minuten mit dem Auto und klingelte. Es war eine Vorstadtgegend und ein Vorstadthäuschen. Alles wirkte so nett und gepflegt. Der Typ hatte mich verarscht, da war ich sicher. Ein Mann um die 30 lehnte sich nach einer knappen Minute aus dem Türrahmen und sah mich an. „Was kann ich für Sie tun?“ „Ich komme wegen Zack.“ „Oh. Natürlich. Kommen Sie doch rein.“ Ich ging an ihm vorbei in das Häuschen. „Lassen Sie die Schuhe ruhig an.“ Er lächelte mich an, drehte sich dann und rief: „Basti!“ Ein Baum von einem Kerl kam zu uns und fing an mich zu befassen. „Was soll das?“ „Reine Vorsichtsmaßnahme.“ Nach einer knappen Minute war der Dicke fertig. „Alles in Ordnung, Basti?“ Der Dicke nickte und verschwand und wir gingen in ein gepflegtes Wohnzimmer. Mir wurde ein Platz auf der Couch angeboten, während sich der Mann in den Sessel setzte. „Also. Warum sind Sie hier?“ „Ich will die Schulden von Zack zahlen.“ „Sind Sie sein Vater?“ „Nein.“ „Warum dann?“ „Ich tue jemandem einen Gefallen. Also, wie viel?“ „12000.“ Ich schluckte. „Wie ist das passiert?“ „Das fragen Sie Zack besser selbst. Werden Sie bezahlen?“ „Morgen komm ich vorbei.“ „Nein, so läuft das nicht. Sie bringen die nächsten drei Tage jeweils 4000 Euro an bestimmte Orte. Warten Sie.“ Er stand auf, zog sich Handschuhe an, nahm ein Blatt und notierte mit der linken Hand einige Orte. „Immer um 15 Uhr.“ Die Schrift war grausam, aber lesbar. Er zog die Handschuhe wieder aus. „Zack hat viel Glück.“ „Das hat er“, murmelte ich.
Ich verließ kurz darauf das Haus und fuhr zurück zu mir. Geld hatte ich genug auf der Bank. Ich verbrachte den Abend damit alle möglichen Automaten abzuklappern und jeweils das Maximum abzuheben. Danach packte ich alles in Plastiktüten. Sollte ich das wirklich machen? Aber was sollte ich sonst mit dem Geld machen?

Als ich drei Tage später die letzte Tüte abgeliefert hatte, fuhr ich zum Friedhof. „Ich hoffe, du kannst das irgendwie mitbekommen“, murmelte ich. Dann schüttelte ich den Kopf und plötzlich hatte ich wieder diese entsetzlichen Kopfschmerzen. Als würde man mein Gehirn in Säure auflösen und ich jeden Millimeter spüren. Ich öffnete die Augen langsam. Es regnete. Ich saß in meinem Wagen am Rand einer Autobahnraststätte. Es ging vorbei mit mir. Ich fand die Zigaretten, betrachtete den Rauch. Ich würde sterben. Ich nahm noch einen Zug und betrachtete die Regentropfen an der Fensterscheibe, die wie Spermien alle in die selbe Richtung flossen. Sterbehilfe. Es führte kein Weg dran vorbei. Ein wenig Würde oder sowas. Ich fragte in der Raststätte, wo ich genau war und fuhr dann Nachhause. Zum Glück war es nicht mehr als eine Stunde weg. Ich hatte Angst noch einen Aussetzer zu bekommen. Zuhause holte ich den Zettel hervor. Ich legte ihn auf den Küchentisch und sah ihn lange an. Morgen würde ich anrufen, morgen. Als ich im Bett lag, schien die Melodie in meinem Ohr zu flimmern. Nur am Rande, unwirklich und immer wenn ich versuchte genauer hinzuhören, verschwand sie. Ich schlief ein.

Am nächsten Morgen rief ich um 10 Uhr an. Nach einer kurzen Unterredung wurde mir erklärt, dass der Mann in zwei Wochen vorbeikäme. „Erzählen Sie bitte niemandem davon. Der 11.12. - würde das passen?“ „Ja.“ Als wäre es ein Arzttermin und nicht mein Todestag. Jetzt wusste ich, was auf meinem Grabstein stehen würde. Es war ein seltsames Gefühl.

Ich wusste nichts mehr mit mir anzufangen. Das Testament war geklärt und für alles andere fehlte mir die Kraft. Ab und an ging ich essen, aber nur selten. Meist saß ich da und starrte ins Leere. Schließlich wartete ich auf einen Anruf von Zacharias. Ein Danke vor dem Tod. Ich glaubte nicht wirklich, dass etwas kommen würde. Jetzt hatte ich ihn aus den Schulden geholt und er hatte wahrscheinlich direkt wieder angefangen irgendeinen Dreck zu nehmen. Ich würde Weihnachten nicht mehr erleben. Vielleicht war das besser so. Es wäre deprimierend gewesen.
Ab und an hatte ich Aussetzer, aber in diesen Tagen schien das keine Rolle mehr zu spielen.

Am 5ten Dezember entschied ich mich doch noch einmal zu Zacharias zu fahren, einfach nur um ihn noch einmal zu sehen, ein paar Worte zu sagen und ihn dann für den Rest seines Lebens allein zu lassen. Die verkrüppelten Bäume hatten alle Blätter abgeworfen. Alles wirkte seltsam trist. Ich klingelte und niemand machte auf. Wahrscheinlich ist er wieder auf Drogen, dachte ich und spazierte durch die triste Gegend zu dem Skaterpark. Zwar sah ich Zack nicht, aber ich traf wieder auf den Mann, der mich weitergeschickt hatte. „Immer noch auf der Suche nach Zack?“ „Ja – ist er mittlerweile zurück?“ „Ne, einer der Typen, die für den Typen arbeiten, dem Zack Geld schuldet, haben ihn gefunden und zusammengeschlagen. Irgendwie konnte er sich verpissen.“ „Wieso das?“ „Weil er seine Schulden nicht zahlt, was sonst?“ Entrüstet sah ich ihn ein paar Augenblicke an. „Ich hab alles gezahlt.“ Der Mann vor mir fing an zu lachen. „Glauben Sie so einfach geht das? Der Typ hat sie verarscht, Zack kommt doch nicht frei weil irgendein Opa ein bisschen Geld abdrückt. Der kommt da nicht raus bis er's selbst zahlt oder tot ist.“ Ich starrte ihn an und jedes Blut floss aus jeden Winkel meines Körpers. „Was ist los, Opa?“ Ich drehte mich um und stieg ins Auto. Was hatte ich noch zu verlieren? So funktionierte das nicht. Nein.
Ich fuhr in die Gegend in der ich den Typen getroffen hatte und wartete im Auto. Eine Stunde. Zwei. Drei. Vier. Voll konzentriert, bis sich schließlich die Haustür öffnete und der Mann herausstolzierte und in einen Wagen stieg. Als er gerade im Begriff war loszufahren, drückte ich aufs Gas. Kopfschmerzen. Wieder Krieg in meinem Kopf. Und irgendwo, ganz weit weg, leise die Melodie.

„Herr Proban, Ihr Stiefsohn ist vorbeigekommen“, sagte der Arzt. Der alte Mann sah verwirrt um sich. „Ich … Ich habe keinen Sohn.“ „Ihr Stiefsohn, Zack.“ „Oh. Nein, nein.“ „Doch, doch.“ Der Arzt ging zum Krankenbett. „Der Sohn Ihrer Frau, Elke.“ „Wo ist die Melodie hin?“ Er betrachtete den alten Mann eingehend. Immer wieder hatte er von dieser Melodie gesprochen und niemand konnte sich darauf einen Reim machen. „Ich hole ihn mal.“ Der Arzt verließ das Krankenzimmer, um mit dem Besucher zu sprechen. „Er wird Sie wohl nicht erkennen, aber ihm geht es gut.“ Der Mann nickte. „Also, Herr Lautmann. Wenn Sie noch irgendetwas brauchen, rufen Sie einfach.“ Der Arzt ging und der Mann betrat das Zimmer. „Zacharias?“ Der Alte war durch den Autounfall blind geworden. Er wirkte so lange verwirrt, bis seine Hand ergriffen wurde. „Ich bin froh, dass wir uns noch einmal sehen, du Wichser. Dein Stiefsohn ist tot. Ich hab ihn gefunden und geschlachtet.“ Der Mann drückte eine Hand auf den Mund des Alten, als dieser anfing zu wimmern. Dieser wehrte sich nur schwach. Dann drückte er mit der anderen Hand so fest zu, bis die faltige Hand brach. „Niemand greift mich an. Niemand.“

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