Die weiße Blume

Bild von Heinrich Heine
Bibliothek

In Vaters Garten heimlich steht
Ein Blümchen traurig und bleich;
Der Winter zieht fort, der Frühling weht,
Bleich Blümchen bleibt immer so bleich.
Die bleiche Blume schaut
Wie eine kranke Braut.

Zu mir bleich Blümchen leise spricht:
Lieb Brüderchen, pflücke mich!
Zu Blümchen sprech ich: Das thu’ ich nicht,
Ich pflücke nimmermehr dich;
Ich such’ mit Müh und Noth
Die Blume purpurroth.

Bleich Blümchen spricht: Such’ hin, such’ her,
Bis an deinen kühlen Tod,
Du suchst umsonst, find’st nimmermehr
Die Blume purpurroth;
Mich aber pflücken thu’,
Ich bin so krank wie du.

So lispelt bleich Blümchen, und bittet sehr, –
Da zag’ ich, und pflück’ ich es schnell.
Und plötzlich blutet mein Herze nicht mehr,
Mein inneres Auge wird hell.
In meine wunde Brust
Kommt stille Engellust.

Veröffentlicht / Quelle: 
Gedichte, S. 50-51, Maurerschen Buchhandlung, Berlin 1822

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gelesen von Fritz Stavenhagen

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Kommentare

04. Jun 2017

Die weiße Blume und Heine
kamen beide schnell ins Reine.
Ein lieblich Text mich
fast verhext.
Gruß an alle Heine-Leser,
Volker Harmgardt