Der Tränenkrug

Bild von Jürgen Wagner
Bibliothek

Das liebe Kind war ihr gestorben
Die Mutter kam nicht mehr zur Ruh
Sie hatte schon den Mann verloren
Nun noch ihr einzig Kind dazu

Die Tränen war’n ihr ausgegangen
Der Schmerz, er wollte nicht mehr geh’n
In tiefer Nacht ging sie ins Freie
Der Mond, der konnte sie versteh‘n

Die Schönheit des verschneiten Landes
Sie konnte sie nicht einmal seh’n
Doch plötzlich sangen da ganz leise
viel Kinderstimmen wunderschön

Frau Berchta war’s mit ihren Heimchen
Sie strebten grad dem Walde zu
Das letzte Kind konnt‘ kaum noch gehen
Es schleppte einen schweren Krug

Sie half ihm vor der großen Hecke
Erkannte jäh ihr eigen Kind
Es schleppte ihre ganzen Tränen
Das Hemd war nass – und sie fast blind

‚Ach liebe Mutter, lass mich gehen
Die Große Mutter hat viel Raum!‘
Sie küsste es noch unter Tränen
Und half ihm über jenen Zaun

Nach einem deutschen Volksmärchen zu Frau Perchta, einer Parallelgestalt zur Frau Holle, die in den geweihten Nächten mit den Seelen der verstorbenen Kinder unterwegs war: 'Das Tränenkrüglein'.

Veröffentlicht / Quelle: 
Aus 'Frau Holle - eine Würdigung', Berlin 2016

Interne Verweise