Nena und ich

Bild von Magnus Gosdek
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Stellen Sie sich ein Haus vor. Welches Haus, ist das nicht ein wenig zu allgemein? mögen Sie fragen und vielleicht haben Sie damit sogar Recht. Stellen Sie sich also ein zweistöckiges Einfamilienhaus auf dem Land vor. Dahinter erstreckt sich ein Garten, der über eine Terrasse zu erreichen ist. Es handelt sich um ein neues Haus, welches erst zur Jahrtausendwende gebaut und weiß gestrichen wurde. Ich denke, das sollte genügen, um Ihre Vorstellungskraft anzuregen. Bezüglich der Anzahl und Größe der Räume haben Sie sicher schon eine Entscheidung getroffen. Richten Sie sich das Haus nach Ihren Wünschen ein, im Laufe der Geschichte wird ohnehin das meiste hinausgeworfen.
Natürlich ist dieses Haus bewohnt. Eine junge Frau hat es von ihren Eltern geerbt und zog von der Stadt zurück in ihr Heimatdorf. Sie heißt Irena, läßt sich aber auch gerne Nene oder Nena nennen. Irena ist braunhaarig, aber auch dabei berücksichtigt sie gerne Ihre Wünsche und färbt sich in Windeseile in rot, schwarz oder blond um. Wie Sie sicherlich bemerken, ist Irena nicht eitel.
Nur in einem Punkt ist sie nicht verhandlungsbereit. Irena hat einen Freund und besteht darauf, ihn sich selber auszusuchen. Was soll man da machen? Liebe geht oft seltsame Wege. Die junge Frau verriet, dass dieser Mann Toni heißt. Toni mit „i“, darauf beharrt sie, da dieses „i“ den Anfangsbuchstaben ihres Vornamens anzeigt. Tonirena.
„Wir gehörten einfach zusammen“, erklärt sie und dagegen kann ich nichts mehr sagen. Finden Sie sich also bitte mit Toni ab, wenn Sie mit Irena keinen Ärger bekommen wollen.
Die junge Frau arbeitet als Internetdesignerin und Bloggerin, was immer das auch heißen soll. Ich nehme es so hin und vertraue Ihnen, dass Sie über mehr Wissen als ich verfügen und in Ihrer Vorstellung erahnen, was sie nun wirklich macht. Mir genügt es, dass Irena von zu Hause aus arbeitet und sie keine finanziellen Sorgen hat.
Täglich sitzt sie in ihrem Arbeitszimmer und werkelt auf diversen Internetseiten herum. Sie hat sich diesen Platz im Erdgeschoss eingerichtet und vielleicht wirft das Ihren Kopfentwurf der Hausaufteilung über den Haufen. Zu Beginn der Geschichte habe ich Sie allerdings auf diverse Änderungen bereits hingewiesen. Irena meint, dass sie vom Arbeitszimmer aus direkt in den Garten gehen kann und in die angrenzende Küche, was für sie wichtig ist, da sie ebenso leidenschaftlich kocht, wie sie als Bloggerin arbeitet.
Toni wohnt nicht bei ihr. Wenigstens noch nicht offiziell.
„Eigentlich ist es ja Zeit, aber warten wir einmal den Schluss dieser Geschichte ab“, meint Irena, womit sie ihre Entscheidung auf mich abwälzt. In manchen Dingen benimmt sie sich schon ein wenig passiv, aber auch wenn wir uns noch nicht so lange kennen, tue ich ihr gern den Gefallen.
Natürlich weiß Toni nichts davon, dass die Freundin sein Schicksal in meine Hände legt. Ich vermute, dass es ihm nicht gefallen würde. Er ist ein recht eigenwilliger junger Mann und arbeitet als Viehauktionator.
„Ich habe Hemmungen, vor Menschen zu reden, und das ist meine Therapie“, verrät Toni Irena, die es wiederum mir erzählt. Was geht es eigentlich mich an, was der Freund ihr anvertraut?
„Wie willst du eine Entscheidung über uns treffen, wenn du ihn nicht kennst?“ fragt sie mich.
„Beschränke dich wenigstens auf die wichtigen Dinge“, entgegne ich ihr.
„Woher soll ich wissen, was für dich wichtig ist?“ antwortet sie mir, woraufhin ich nichts mehr sagen kann. Wie Sie sehen, ist Irena gescheiter als ich.
Nehmen wir Tonis Therapiebemühung also einfach hin. Bei seiner Arbeit beachten wir ihn ohnehin nicht weiter. Wenn dort etwas Interessantes passiert, wird Irena mir das sicher umgehend erzählen.
„Jetzt kennen wir uns schon fast drei Seiten. Kannst du mich nicht langsam Nene oder Nena nennen?“ beschwert sich Irena bei mir.
„Wenn du das möchtest“, entgegne ich ihr.
„Immerhin liegt mein Schicksal in deinen Händen. Etwas Vertrautheit kann ich da schon verlangen. Ich kann natürlich auch in meinen Blogs schreiben, was für ein arroganter Arsch du bist“, sagt Nena.
Wie Sie bemerkt haben, liegt mir nichts daran, ihr Alternativangebot anzunehmen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie mit der Zeit immer mehr an Profil gewinnt. So eine Frau bekommt auch die Hemmungen des Freundes in den Griff. Aber sicher nicht sein Hobby.
Toni sammelt. Es gibt tausend verschiedene Dinge, die man sammeln kann. Schmuck, Kartenspiele, Bierdeckel, Autogramme, Art déco, Spielzeug, Kaffeekannen, Comichefte, Münzen, aber auch so herrliche Sachen wie Veduten und Schwabinchen. Vielleicht sind auch Sie von der Leidenschaft befallen und können sich die Vielzahl an Vitrinen vorstellen, in welchen Toni seine Sammlung sorgsam präpariert und aufbewahrt. Was immer Sie sich ausdenken, Toni besitzt es (sogar Bilder von Picasso, van Gogh, Rembrandt, wenn gewünscht, allerdings nur als Kopien). Für Nena sind ihr Arbeitszimmer und die Küche wichtig, und so überlässt sie Toni den Rest des Hauses. Es ist sehr angenehm für ihn, da er vor kurzem damit begonnen hat, Haushaltsgeräte der 60er Jahre zu sammeln.
Mixer, Toaster, Kaffeemaschinen wuchern in all den Zimmern, was Nena wohl ein wenig irritiert, sie aber nicht veranlasst, mit ihrem Freund darüber zu reden. Was sie wirklich stört, sind die vier Dutzend Waschmaschinen, Kühlschränke und Geschirrspülgeräte, die den Platz in der Wohnung wirklich einschränken.
„Mach was dagegen“, fordert sie mich auf.
„Was soll ich da tun?“ frage ich sie.
„Rede mit Toni, dass ich die Geräte aus dem Haus haben will“, sagt Nena.
„Das machst du besser selber“, entgegne ich. „Immerhin hast du dir den Freund auch selber ausgesucht.“
„Aber nicht so“, mault Nena.
„Ein wenig Spaß kannst du mir schon gönnen“, sage ich und fühle mich wohl dabei.
Nena notiert etwas auf dem Papier auf ihrem Schreibtisch, was sie wahrscheinlich in ihrem nächsten Blog verwenden will. Ich hoffe, dass es nicht mich betrifft.
„Ich kenne Toni doch gar nicht“, sage ich, um einzulenken.
„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du dich herausreden willst“, entgegnet Nena. „Aber wenn du dich weigerst, mache ich es eben selbst.“
Ich bin erleichtert. Die Beziehung zwischen Autor und Protagonist ist immer ein wenig schwierig. Wenn man ihnen entgegenkommt, glauben sie, alles mit einem machen zu können. Ich überlege, ob Nena und ich nicht ein bisschen Abstand brauchen und ich sie wieder Irena nenne.
„Untersteh dich!“ zischt Nena und sucht auf ihrem Smartphone das App für ihren Blog. Ich hab verstanden. Immerhin

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Kommentare

04. Sep 2016

Mehr als lesenswert scheint das -
Dieser Text macht richtig Spaß!

LG Axel

04. Sep 2016

Nena meint, das sie sich auch Mühe gegeben hat.Vielen Dank, Axel. LG Magnus

04. Sep 2016

Oh mein Gott! Ist diese Geschichte süß!
Davon könnte ich mir ganz viele zwischen zwei Buchdeckeln vorstellen!
Congrats, Magnus!

04. Sep 2016

:-) Danke schön, noé. Das kann ich mir auch. LG Magnus

04. Sep 2016

Absolute Oberklasse! Davon würde ich auch gerne mehr lesen, Magnus.
Sowas von witzig und originell!
LG Corinna

04. Sep 2016

Das freut mich sehr, Corinna. Nena ist auch schon ganz stolz, dann beschäftigt sie sich heute wenigstens mit Toni und lässt mich in Ruhe :-) Lieben Gruß Magnus

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