Sonnenstich unterm Halbmond

Bild von Lothar Peppel
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Wir hatten ein katzenfreundliches Hotel gewählt. Die erste Katze, welche ich dort streichelte, verpasste mir zwei circa vier Zentimeter lange Kratzer überm rechten Handgelenk. Und zwar genau dort, wo selbst der Laie die sogenannte Pulsader vermutet. Auffällige Kratzer. Jedenfalls so auffällig, dass die Hotelangestellten mich über die folgenden Tage sorgsam im Auge behielten. Man hielt mich wohl für schwer depressiv. Und somit für akut suizidgefährdet. Doch kein Südländer hat dort wirklich Zeit und Muße, labile Deutsche morgens tot aus dem Pool zu fischen. Oder von der Palme zu pflücken. Selbst wenn man All-Inklusiv gebucht hat. Als Tourist abhängen: voll okay. Touristen abhängen dagegen ist nicht mal gegen Trinkgeld erwünscht. Blöde Katze. Und meine Gattin hatte extra noch Katzenfutter mitgeschleppt. Das nächste Mal buche ich ausdrücklich ein menschenfreundliches Hotel. Mal sehen, was meine Olle dann für Futter mitnimmt. Auch Tag Zwei begann als Querulant. Frisch gepresster Orangensaft zum Frühstück. Ich kostete. Mmm. Merkwürdig. Ich kostete nochmal. Worauf mir die Wahrheit mit Anlauf ins Gesicht sprang: im Saft war kein einziger Schluck Wodka! Da kriegst du als pauschaler All-Inklu schon zu Urlaubsbeginn fast einen Herzkasper. Schließlich definiere ich Urlaub für mich als das möglichst effiziente Ausschalten jeglicher Denkprozesse. Orangensaft alleine schafft sowas natürlich nicht. Selbst, wenn er sich anstrengt. Gut, dass es im Hotel eine 24-Stunden-Bar gab. Ob sie allerdings wirklich rund um die Uhr auf hatte, konnte ich nicht überprüfen. Meine Gattin weigerte sich nämlich hartnäckig, nachts um Drei aufzustehen, um mir ein Frischgezapftes ans Bett zu bringen. Insgesamt gab es sogar sieben Bars. Auch eine Bar nur für Erwachsene. Also ohne das die ihre ständig heulenden Bälger mit rein schleifen durften. Addult only! Oder wie meine Gattin meinte: eine Bar für Verliebte. Und guckte mich dabei so komisch an. Seitdem mied ich die P-18-Bar. Naja. Versucht habe ich schon, dem permanenten Rausch dann und wann die sonnengegerbte Schulter zu zeigen. Oft ging ich mit dem türkischen Wort "Schai" für Tee auf der Zunge zur Strandbar. Doch kaum machte ich am Tresen den Mund auf, stotterte ich herum. "Sch… Sch… Sch… SchRum-Cola bitte!" Und schon hatte ich wieder einen Cuba-Libre am Hals. Und da ein Unglück selten allein kommt, passierte mir dasselbe zwanzig Minuten später wieder. Alkoholproblem oder Sprachfehler. Da streiten sich die Experten. Die behaupten ja auch, dass dem Planeten bald der Sand ausgeht. Wegen dem ganzen Gebaue. Das mit den Sandmangel kann ich aber nicht bestätigen. Allein mit dem, was ich jeden Abend aus der Arschkimme pulen musste, könnte ein fähiger Architekt eine mittlere Kleinstadt bauen lassen. Darmstadt wäre ein schöner Name dafür. Oder falls der nicht mehr zu haben ist: Enddarmstadt ginge auch. Der Strand war übrigens recht weitläufig. Meine Gattin bevorzugt das tiefe Wasser links vom Turm des Rettungsschwimmers. Worauf ich ihr sagte, ich wolle dem jungen Mann gerne 10 Euro geben, wenn er nur noch nach rechts schaue. Da ging der gemeinsame Urlaub auch kurz baden. Auch unangenehm am Strand war; wir waren nicht allein. Russen. Ja, sie lieben ihre Kinder. Und erklären ihnen gerne die Welt. Auch über eine Entfernung von zwanzig Metern. Ausgewachsene Russen redeten auch miteinander. Viel. Und laut. Kein Wunder, dass sie den Krieg gewonnen haben. Die haben die Deutschen einfach tot gequatscht. Gut hingegen war das Essen. Quasi schon vom Anschauen allein quoll das Unterhautfettgewebe ums Zigfache an. Aufgrund der Verschiebung der körpereigenen Proportionen waren die an sich knielangen Badeshorts nach nur drei Tagen zu einem optischen Tanga mutiert. Der ganze Strand ein einziger Lymphstaudamm. Auch wenn meine Gattin nach einer Woche kulinarischer Dekadenz behauptet, sie passe immer noch in eine 36. Ich persönlich vermute ja einen Zahlendreher. Aber das sage ich ihr nicht. Kratzer habe ich nämlich schon genug.

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