Story III: I have a dream

Bild von Q.A. Juyub
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Alexander Parvus, seines Zeichens Bürger 4. Klasse, saß an einem kalten Januarmorgen meinetwegen des Jahres 35 nach der großen, demokratischen Wende in der altersschwachen S-Bahn, die ihn vom ‚Common Housing Area‘ zum ‚Low Tech Working Area‘ fuhr. Allen Nichtfreunden von Anglizismen sei hiermit versichert, dass ich in dieser unsagbaren Geschichte sparsam damit umgehen werde; I swear! Zufrieden mit sich und seiner kleinen Welt hing unser Mann seinen trivialen Gedanken nach. Eigentlich hatte er doch in seinem Leben alles erreicht! Nach seinem erfolgreichen Studium der ‚Experimental Indoctrinated Junk Science‘ und dem Abschluss als ‚Master of Elaborated Desaster‘ durfte er seine fünf freiwilligen sozialen Jahre für die oberstädtische Müllabfuhr in den Ressorts der 2. Klasse Bürger ableisten, um dann von der ‚Agentur für allgemeine Wohlfahrt‘ eine Arbeit als Softwaretester für einen lokalen Eierkochmaschinenhersteller zugewiesen zu bekommen. Dabei ging es vornehmlich darum, nach Testprozeduren, die Testmanager verfassten, möglichst dumme Bedienungsfehler der recht simplen und weitgehendst automatisierten Gerätschaften zu simulieren. ‚Auf den ersten Blick mag eure Aufgabe primitiv und unwichtig erscheinen,‘, so versicherte der Großraumbüroälteste während des letzten Teammeetings, ‚aber gerade die kleinen Lichtlein sind es, die die Demokratische Plutokratie in bunten Farben schillern lässt.‘ Eine Haltung, der sich unser unangepasster Held vorbehaltlos anschloss. Wie gerne wäre er doch Testmanager im Elfenbeinturm geworden! Aber ach, das war nur den Staatsbürgern 3. Klasse vorbehalten. Diese privilegierte Bevölkerungsgruppe bekam Mehrzimmerwohnungen in den Plattenbauten des ‚Gated Common Housing Areas‘ zugewiesen, wurde im Krankenhaus stationär in Fünfbettzimmern aufgenommen, durfte in Fahrgemeinschaften gebrauchte E-Autos verwenden. hatte sogar das passive Wahlrecht und erfreute sich noch vieler anderer grandioser Vorrechte. Früher war ein Aufstieg in solch exklusive Kreise mit überragendem Talent und einer exorbitanten ‚Demokratieabgabe‘ an die richtigen Kreise noch möglich, aber seitdem das ‚Gesetz für soziale Gerechtigkeit‘ von der Einheitsfront der demokratischen Parteien auf Empfehlung der amtierenden ‚Magna Mater‘ verabschiedet worden war, bewegte sich ein derartig schwindelerregender sozialer Aufstieg in den Dimensionen der Unmöglichkeit. Wie toll müsste es sein, wenn man Bürger erster Klasse wäre! Die haben echten Benziner mit Chauffeur und dürfen ohne Sondergenehmigung mit dem Flieger verreisen. Andererseits, es ist schon hart sich Tag und Nacht für die Demokratie so mächtig ins Zeug zu legen.
‚Das war wirklich gestern eine interessante Sendung im Staatsfunk: ‚Mit dem Lamborghini gegen Rechts und Links.‘
So tiefgründig ging es träumerisch durch den bescheidenen Denkapparat Alexanders des Beschränkten. Natürlich war dies eine unerfüllbare Phantasterei unseres Helden, da die entscheidende Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur plutokratischen Elite die genetische Abstammung von zwei Angehörigen derselben darstellte.
‚Aber‘, so memorierte das mündige Bürgerlein eine Weisheit aus seiner Studienzeit, ‚eine subordinäre Haltung ist erste demokratische Bürgerpflicht. Wer einmal hated gegen die Obrigkeit, fügt sich nimmer ins Gesetz!‘
Seit einiger Zeit und unendlichen kostenintensiven Forschungen fand die renommierte Hampelmann Stiftung auftragsgemäß heraus, dass Hasskriminalität eigentlich eine psychische Krankheit nach ICD-Catch 22 wäre, da nur sozial suizidal veranlagte Zeitgenossen vom jährlich veröffentlichten Kanon der erlaubten demokratischen Meinungsfreiheit rechts oder links abwichen. Auf Basis der dreiseitigen Studie beschloss dann die Legislative aus humanitären Gründen, überführte Hater nach Verbüßung ihrer Gefängnisstrafen lebenslang in dafür vorgesehene psychiatrische Einrichtungen zu internieren; von wegen staatlicher Fürsorgepflicht und so.
‚Toleranz, Gerechtigkeit, Einheit und Nachhaltigkeit‘, so lautete das Motto der Demokratischen Plutokratischen Republik, die die alte BRD nach den großen Unruhen, ablöste. In jener Zeit waren Polizei und Bundeswehr nicht mehr in der Lage, weite Teile des Bundesgebietes zu kontrollieren. Neben schweren politischen Fehlern, die nun der geneigte Leser je nach Weltanschauung selber herausfinden mag, verursachte die zweite computergestützte Industrielle Revolution mit ihren Millionen Arbeitslosen einen völligen Zusammenbruch der schon arg lädierten Sozialsysteme. Wie sich leicht nachvollziehen lassen dürfte, neigt ein voller Bauch wenig zur Revolte, aber die Mägen waren leer. Ohne Zweifel hätte dies für die herrschende, bundesdeutsche Elite üble Konsequenzen nach sich gezogen, wenn nicht Donald, der Dritte seines Namens und ‚Lordprotector‘ der Konföderierten Staaten von Amerika, entschieden eingeschritten wäre. Dessen Intentionen waren weniger in der Art, die ihm feindlich gesinnte Elite zu retten, als vornehmlich die amerikanische Machtposition in Europa aufrechtzuerhalten und die verbleibende Industriekapazität des zerrütteten Landes lukrativ zu nutzen. Zusammen mit dem französischen Präsidenten auf Lebenszeit, Joseph Fouché, wurde in Brüssel, der Hauptstadt der Union abhängiger Staaten, der gleichnamige Vertrag ausgehandelt. Das Staatsgebiet der ehemaligen BRD zerfiel in mehrere, voneinander unabhängige Gebiete. Da gab es einmal den amerikanischen Sektor, der hauptsächlich aus diversen Stützpunkten nebst Umland - vor allem der Airbase in Ramstein inklusive der umgebenden Region, die ungefähr der Hälfte des ehemaligen Bundeslandes Rheinland-Pfalz umfaßte - bestand. In ehrwürdiger Tradition ließ Donald, der Dritte seines Namens, die Sperrgebiete mit diversen Mauern hermetisch abriegeln. Ferner wurden in den weitgehend verwüsteten Gegenden des Landes sogenannte ‚Autonome Regionen‘ eingerichtet. Das heißt im Klartext einfach, dass man Land und Leute einfach sich selber überließ. Lokale Führer und Bandenchefs erhielten folgerichtig diverse ‚Wiederaufbauhilfen‘ von der DPR, die dazu beitrugen, die Sicherheitslage immens zu entspannen. Die Demokratisch Plutokratische Republik wiederum umfasste die Landstriche, deren technische Infrastruktur noch einigermaßen intakt war. Mit Unterstützung amerikanischer Truppen und den Streitkräften der Union wurde dann schließlich das beschriebene demokratische Friedensprojekt installiert. Ich könnte euch natürlich jetzt noch über Feinheiten wie ‚Freihandelsabkommen‘ oder sonstiges berichten, aber ich muss gestehen, dass ich euch eigentlich nur unterhalten will und mein Exkurs schon arg lang war. Falls ihr einen politischen Hintersinn seht, so ist das durchaus beabsichtigt, aber hütet euch vor Schubladen, gelle!
Während ich euch das Ohr abgelabert habe, erreichte unser braver Bürger den Ort seines Wirkens, einen Zentralbahnhof mit dem Charme eines Gefangenenlagers. Voller Vorfreude auf seine intellektuell äußerst herausfordernde Tätigkeit verließ Parvus leicht drängelnd die wohlgefüllte S-Bahn. Er befand sich nun im ‚Transition Area‘, das nur durch das Passieren mehrerer Kontrollstellen verlassen werden konnte. Der niedere Bürger hatte sein Bürgerphone zwecks Identitätsfeststellung, sicherheitsrelevanter Datenerfassung gemäß der ‚europäischen Richtlinie zum verbesserten Datenschutz‘ und Abbuchung der Mobilitätszusatzgebühr dem Vollzugsbeamten vorzulegen. In der Regel verlief der Vorgang problemlos, falls dies jedoch nicht der Fall sein sollte, standen freundliche Aktivisten der ‚Deeskalierenden Staffeln Demokratischer Sicherheit‘ -kurz DSDS- des Commodore Dragomir Bolle bereit. Routiniert reihte sich nun Alexander Parvus in die für ihn vorgesehene Schlange -Buchstaben O und P-

Hello Folks,
zu eurem Vergnügen -hoffe ich!- eine kleine Leseprobe.
Cheerio
JU

Veröffentlicht / Quelle: 
Nonsense _1_DR

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