Achja

Bild von W.Haller
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Sie ist so froh, dass sie immer anrufen kann, wenn ihr danach ist, und dann sagt sie: ach-ja. Dieses ach-ja ist sozusagen ihr Pausenzeichen, dann fühlt sie sich besonders wohl, und wir nennen sie Achja, das ist nicht abwertend oder ironisch gemeint, und immer wenn wir an sie denken, stellt sich ein Gefühl von Frieden und Heiterkeit ein, weil sie von diesen schönen Gaben selber so viel hat, dass es immer noch für andere reicht.
Eigentlich hat sie nichts auf dem Herzen, sie will nur mal ach-ja sagen, dann taut sie langsam auf und sagt noch ein paar Sachen, die sie einfach mit uns teilen will, wie man jetzt sagt. Ihr friedliches und freundliches Wesen ist ansteckend und färbt auf jeden ab, mit dem sie spricht. Es ist nicht etwa so, dass sie sich einsam fühlt und z.B. denen am anderen Ende der Leitung ihre Sorgen mitteilen muss, damit sie ihr tragen helfen, nein, sie hat nichts, was sie quält, im Gegenteil, sie ist zufrieden mit allem, wie es ist, ihrem Leben, der Welt und sich selbst. Dabei ist sie weder wohlhabend, noch gesund oder „unter Menschen“, sie ist schon ihr ganzes Leben lang allein, behindert und bezieht eine spärliche Rente, die trotz sparsamer Verwendung gerade so für das Nötigste reicht und leider immer zu früh verbraucht ist. Sie ist glücklich, mit ihrem Rolli immer noch ein paar Schritte machen zu können, so eine wunderbare Erfindung, man kann damit gehen, sich drauf- setzen, den Einkauf verstauen, und ihn sogar zusammenklappen, wenn es sein muss. Das Haus ihrer Mutter, die schon vor langer Zeit gestorben war, ist alt und unpraktisch, sie wohnt oben, aber die Toilette ist unten, und das Treppensteigen ist jedes Mal ein Drahtseilakt, aber darauf will sie auf keinen Fall verzichten, das hält sie in Bewegung. Morgen ist ein besonders schöner Tag, da gibt es wieder Rente, und da gönnt sie sich normalerweise ihren monatlichen Krimi, für 9,99 € in Paperback (sie sagt Reclam), jeden Monat, nur im letzten nicht, da musste sie fast 10 Euro Gasgeld nachzahlen, weil die Preise so gestiegen waren, da ging es natürlich nicht. Den Krimi sucht sie schon lange vorher aus, deshalb weiß sie immer genau, was dran ist, diesmal war es „Der Schrei der Nachteule“ von R. Kallweit, der schreibt immer so schön gruselig.
Achja. Es ist so schön, dass ich immer mal bei euch anrufen kann, wenn mir gerade danach ist, ich kann ja nicht dauernd meine Freundin anrufen, denn ich will sie nicht überfordern, wir rufen uns jeden Tag zweimal an, immer um die gleiche Zeit, und ihr Mann hat nichts dagegen. Ich muss besser aufpassen und darf mein Telefon nicht vergessen, das muss ich jetzt immer bei mir haben, seit mir das neulich im Keller passiert ist, als ich den Gaszähler ablesen und mich dazu bücken musste. Als ich die Zahlen abgeschrieben hatte, kam ich nicht wieder hoch, das hatte ich noch nie, und ich habe nicht geschrien, denn das würde keiner hören, es ging einfach nicht, aber es fügt sich ja alles immer so wunderbar, ich musste nur knapp zwei Stunden warten, und da kam meine Freundin schon, weil ich nicht auf ihren Anruf reagiert hatte. Sie fand mich im Keller, half mir wieder auf, und alles war gut.
Morgen Mittag gibt es mein Lieblingsgericht, Bandnudeln mit Antipasti, darauf freue ich mich schon so, und abends gibt’s immer Toastbrot mit Butter und dick Petersilie drauf, das ist immer ein kleines Fest.
Achja.

2015

Interne Verweise

Kommentare

08. Feb 2017

Toll!!! Die schnörkellose Sprache ist dem Thema angepasst und führt den Leser durch eine beeindruckende Geschichte. Hier finde ich eine Erzählkunst, die mir gefällt. Mich in ihren Bann zieht. In Erinnerung an Hemingway, den ich sehr mochte.
LG Monika