Fortsetzung v. 05. Dez. 2016; Im Dickicht der Zeichen; Nora Meranes 1. Fall, ein Krimi - Page 2

Bild von Annelie Kelch
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es gelang mir kaum noch, meine Tränen zurückzuhalten.
„Gute Nacht, Marga“, sagte ich mit gebrochener Stimme und deckte die alte Frau zu. „Schlafen Sie gut. Morgen ist auch noch ein Tag.“
Während ich über den Korridor zu meinem Zimmer lief, rief ich mir die Verjährungsfristen ins Gedächtnis. Die Schwere einer Straftat ist hierfür entscheidend, ganz gleich, um welches Delikt es sich handelt. Bei Sexualdelikten beträgt die Verjährungs-Spanne drei bis 30 Jahre.
Mir fiel ein, dass die Verjährung für manche Sexualdelikte erst mit Ablauf des 30. Lebensjahres der Geschädigten greift; allerdings hatte Falkner Brenda nicht vergewaltigt, was ich ihm aufs Wort glaubte. Demnach wäre ihm Erpressung und Sex mit einer Minderjährigen vorzuwerfen, wobei das Opfer nicht mehr gegen ihn aussagen konnte. Brenda war tot – das hatte ich endlich begriffen.

Es war kurz vor zwei. Ein paar Stunden Ruhe lagen noch vor mir. Morgen früh würde ich als erstes nach Hellerburg fahren und Stefan um Rat fragen.

Ich fuhr um sieben in der Früh vom Spital mit dem Bus zum Hochhaus neben dem Finstergang, um mein Auto aus der Parkgarage zu holen. Der Bus hielt vor der Schule, und ich wurde von einem Pulk Kindern ins Freie geschoben.
Ich warf einen kurzen, verstohlenen Blick auf den Apfelgarten, bevor ich ins Haus trat. Eine lächelnde Frühlingssonne lag über den Wipfeln der alten Bäume und tauchte die Gegend in ein versöhnliches Licht. Selbst die schwarzen Pappeln hatten an Scheußlichkeit verloren. Ich war einen Moment lang versucht, in den Garten zu gehen, um mich dort umzuschauen; möglicherweise hatten wir etwas übersehen …
Wieder war es Santo, der mich von dem leichtsinnigen Vorhaben abhielt und vor einer möglichen Gefahr bewahrte. Er kam aus der Haustür gesprungen und begrüßte mich mit lautem Bellen – Santo, mein Lebensretter auf vier Beinen. Herr Kollberg kam hinterhergetrottet; er sah müde aus.
„Frau Merane“, stammelte Kollberg, bevor ich mich aus dem Staub machen konnte. „Der Mörder war wieder hier. Gestern Abend. Im Apfelgarten. Mindestens eine Stunde lang hat der mit seiner Taschenlampe dort die Gegend abgesucht.“
„Ja, und?“, fragte ich aufgeregt. „Haben Sie einen Streifenwagen gerufen?“
„Nö.“ Kollberg sah mich entgeistert an. „Daran habe ich gar nicht gedacht. Ich bin dann schließlich mit Santo rausgegangen; aber als wir uns auf der Höhe des Aufgangs zum Garten befanden, war plötzlich alles duster.“

„Falls Sie noch einmal während der Nacht den Lichtkegel einer Taschenlampe im Apfelgarten bemerken sollten, rufen Sie bitte sofort auf der hiesigen Wache an. Ich sage meinen Kollegen dort Bescheid, dass sie augenblicklich einen Streifenwagen zum Finstergang schicken sollen. Und laufen Sie in diesem Fall bitte nicht noch einmal durch diesen Weg; die Gefahr besteht, dass derjenige, der im Apfelgarten nebenan ganz offensichtlich etwas auskundschaftet, sich gestört fühlt und abhaut.“

Kollberg versprach, dass er genauso verfahren wolle, wie ich es ihm geraten hatte. Ich tätschelte Santos dunklen Kopf, er stellte seine langen Ohren auf, ließ seine prachtvolle Zunge raushängen, und ich hockte mich kurz neben das prächtige Tier, damit Kollberg ein Foto von uns schießen konnte. Ich habe den Schnappschuss vergrößern und einrahmen lassen. Die Aufnahme hängt in unserer Küche über dem Esszimmertisch (s. bitte am Ende dieser Folge).

Stefan war noch in der Morgenbesprechung, als ich in Hellerburg ankam. Im benachbarten Hannover sollte in wenigen Tagen eine große Messe stattfinden. Man hatte hierzu Beamte aus Hellerburg angefordert, die Einsatzpläne mussten besprochen und ausgearbeitet werden. Vorort sollte eine Wache für vier Beamte eingerichtet werden, damit die Strafanzeigen, deren Zahl laut Statistik während der letzten Jahre astronomisch angestiegen war, auf die zuständigen Dienststellen verteilt werden konnten.
Ich setzte mich zu meinen KollegInnen in die Wache und wartete. - Viola Gregor, eine junge Polizeimeisterin, schob mir eine Tasse Tee und die neuste Ausgabe der „Polizei heute“ über den Tresen und ich vertiefte mich in einen Artikel über die 'systematische Kriminalprävention'.

„Du kannst jetzt rauf, Nora“, sagte sie nach einer knappen halben Stunde. 'Lassie' ist zurück in seiner 'Katakombe'; aber Vorsicht, er könnte beißen. Marzok hat ihn sich heute vorgeknöpft und zur Schnecke gemacht. Das konnten wir bis hier unten hören, war wirklich nicht schön.“
„Was ist passiert?“, fragte ich.
„Gestern Nachmittag ist ein frisch Verhafteter aus dem Fenster gesprungen und abgehauen.“
„Aus welchem Stock?“
„Aus dem zweiten, scheint sich den Fuß verstaucht zu haben, konnte aber entkommen. Wahrscheinlich hat er sich hinter einem Gebüsch in einem der Vorgärten versteckt. Wir konnten ihn nirgends aufstöbern.“
„War das Fenster geöffnet?“, fragte ich.
„Sperrangelweit“, sagte Viola.
„Wer hat ihn vernommen?“
„'Lassie' höchstpersönlich“, sagte sie. „Und weshalb das Fenster offen stand, kannst du dir ja wohl denken.“
„Weil es schon so schön warm draußen ist und so herrliche Luft …?
Viola grinste ironisch.
„...wohl eher, weil Stefan vor Rauchschwaden den Taschendieb nicht erkennen konnte.“
„Sag ich doch“, gab ich zur Antwort. „Er wollte frische Luft ins Zimmer lassen. Räuber, die armen alten Frauen die Handtaschen klauen, stinken.“
„Das soll in diesem Fall aber umgekehrt gewesen sein“, lachte Viola. „Bei der Geschädigten soll es sich um eine stinkreiche Bürgerin dieses Ortes handeln. Deshalb auch dieses ganze Theater.“
„Selbst stinkreiche alte Damen haben ein Recht darauf, unbehelligt ihre Gucci-Handtaschen spazieren zu führen“, sagte ich, lief aus der Wache und sprang die Treppen nach oben in den zweiten Stock.
Ich klopfte an die Tür, hinter der ich Stefan an seinem Schreibtisch vermutete, pochte einmal ... zweimal ... dreimal ... öffnete und blickte in ein leeres Zimmer. Das Fenster war geschlossen, und es stank bestialisch nach kaltem Rauch.
Ich wollte die Tür schon wieder schließen, als ich das Fragment eines Schuhs entdeckte, dessen Spitze ein Stück weit neben dem Schreibtisch hervorragte.

Ich lief um den Schreibtisch herum und nahm den Zigarillo von Lassies Brust, der vor sich hin schwelte und bereits ein Loch in sein edles Polo-Hemd gebrannt hatte.
Das war bereits der zweite Herzinfarkt, den ich binnen zwei Tagen miterleben musste. Ich kannte mich inzwischen aus.
Atmung und Puls waren noch schwach vorhanden; ich lockerte Stefans sonnengelbe Frühlingskrawatte, knöpfte den Hemdkragen auf, lagerte seinen Kopf auf einem flachen Kissen, das ich im Schrank fand, und riss das Fenster auf. Viola hatte einen Rettungswagen alarmiert und im selben Moment, als ich die Sirene hörte, klingelte das Telefon.
Marc war dran und sagte: „Herr Falkner ist vor einer Stunde verstorben; so ein Mist, ich wette, der hätte uns eine Menge zum Mordfall Brenda erzählen können -. Geheuer war mir der nicht. Weißt du, was der gelesen hat, als wir neulich seine Frau befragten?“
„Na?“, fragte ich.
„'Lolita'“, sagte Marc. „War der Alte womöglich pädophil?“
„Wohl kaum“, sagte ich. „Dann hätte Marga Falkner es gewiss nicht so lange bei ihm ausgehalten. Außerdem ist Nabokovs 'Lolita' ein Klassiker. Ich habe das Buch auch gelesen – wie so viele andere sexuell normal orientierte Menschen.“
„Wann kommst du zurück?“, fragte Marc. - Wenn ich mich nicht täuschte, schwang in seiner Stimme ein Hauch von Sehnsucht mit. Möglich war aber auch, dass ich mir das nur eingebildet habe; vermutlich konnte ich es selber kaum erwarten, nach Weidenbach zurückzukehren; aber ich wollte Stefan ins Krankhaus begleiten.

„Gegen Abend bin ich zurück“, frohlockte ich. „Stefan hat soeben einen Herzanfall erlitten; aber er atmet noch - Gott sei Dank!"

Fortsetzung am Sonntag, den 11. Dezember (03. Advent / Mevlid, Fest der Gläubigen; Mohammeds Geburtstag (Islam) )

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Kommentare

08. Dez 2016

Gewitzte Spuren, schlau gelegt -
Hoch-Spannung weiterhin bewegt!
(In Punkto "Täter" rätselt Krause ja sowieso:
"Wer is nu Nora?! Wo is Santo uff m Foto?!")

LG Axel

09. Dez 2016

Moin, Bertha,

Santo ist die mit den blonden langen Haaren;
Nora hat ihre Ohren gespitzt,
lässt die Zunge raushängen,
hechelt und schwitzt,
weil hinterm Täta grad hergerannt,
Santo kämmt immer nur ihr blondes Haar,
ist pfiffig und faul, wird total verkannt.

LG Annelie

09. Dez 2016

Mir war det ja lang schon klar!
Det Nora Polizei-Hund war!

jez. Bertha Krause!
(Der wache Hund im Hause!)

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