„Soll ich ihn in Geschenkpapier packen?“
Das Lächeln in den Augen des Ladenbesitzers verwirrte Anna …
„Nein Danke“, lächelte sie tapfer zurück „der ist für mich.“
Er nickte. Dann zauberte er eine geblümte Papiertüte unter dem Ladentisch hervor, legte eine Lage Seidenpapier hinein, und setzte den Rottweilerwelpen oben drauf.
Draußen auf der Straße drückte Anna die Tüte an ihr Herz.
Puh, das war geschafft. Aber warum hatte sie sich nur verraten? Musste denn wirklich jeder wissen, wie einsam sie war? So einsam, zu glauben, ein Kinderspielzeug könne Abhilfe schaffen?
Anna war ihr ganzes Leben lang einsam gewesen.
In ihrer Jugend hatte sie von einer Familie geträumt. Einem Mann, Kindern und einem Hund. An Bewerbern hatte es nicht gemangelt, aber Anna hatte einfach nicht den Mut gehabt, sich auf eine Beziehung einzulassen.
Da war immer diese Angst. Die Angst, verletzt zu werden.
So wurde sie älter und silberne Strähnen durchzogen das kastanienbraune Haar. Obwohl sie immer noch eine aparte Erscheinung war, blieben die Bewerber nach und nach aus. Anna registrierte es mit Erleichterung.
„Wahrscheinlich wäre ich nie eine gute Ehefrau und Mutter geworden,“
tröstete sie sich.
Doch die Leere im Herzen blieb.
Und der Hund?
Konnte sie sich nicht wenigsten diesen einen Wunsch erfüllen? Aber sie traute sich die Hundehaltung nicht zu.
Immer wieder versperrte sich selbst den Weg mit zu vielen Bedenken und Ausflüchten.
„Die Wohnung ist zu klein,“
sagte sie sich an einem Tag,
„ich hab‘ zu wenig Zeit,“
an einem anderen.
„Was das alles kostet! Das Futter, die Tierarztrechnungen, die Hundesteuer. Und dann macht er auch noch so viel Schmutz – nein, das geht wirklich nicht!“
Doch der Wunsch blieb.
In ihrer Not kam Anna auf die verrückte Idee mit dem Stoffhund.
„Nur zum Angewöhnen,“
redete sie sich ein,
„bis ich mehr Zeit habe für einen richtigen Hund.“
Kling klang klong klung … der metallische Vierklang zog Anna in die Magie des Spielwarenladens. Tausend Blicke richteten sich auf sie. Gespannt, sehnsuchtsvoll. Vor Schreck schnappte sie nach Luft und ein eiskalter Schauer rieselte ihren Rücken hinunter.
Das waren doch nur – ja was - Puppen? Stofftiere? Comicfiguren?
Aber warum guckten die denn alle so?
Der Hunger nach Liebe in den Augen der Spielzeugfiguren war Anna nur zu bekannt.
„Sie haben alle eine Seele.“
sagte eine sonore Stimme hinter ihr,
„und ihre Augen spiegeln die Seele des Betrachters.“
Anna wandte sich um und sah sich einem älteren Herrn gegenüber. Fast einen Kopf größer als sie. Die schlohweißen Haare und der Schnurrbart bildeten einen starken Kontrast zu seiner sonnengebräunten Haut. In seinen braunen Augen bemerkte sie - für den Bruchteil einer Sekunde - die gleiche Sehnsucht, doch dann wurde sein Blick ruhig und freundlich.
Anna nickte und lächelte dabei automatisch.
„Ich sehe mich ein bisschen um …“
Gedankenverloren strich sie einer Porzellanpuppe über die rotbraunen Locken.
‚Solche Locken hatte ich auch einmal,‘
dachte sie.
Die aufgemalten Augen der Puppe strahlten sie an.
„Nein!“
schalt Anna sich selbst,
„kein Kind, einen Hund!“
Das heftige Ziehen in ihrem Herzen ignoriert sie.
Nach ihrem Rundgang durch den Laden kam Anna mit einem Rottweilerwelpen auf dem Arm zu Kasse.
„Der soll’s sein?“
lächelnd nahm ihr der Ladenbesitzer den kleinen Hund ab.
Einen winzigen Moment lang sahen der Hund und der Mann Anna mit einem Blick an, der, wie schon der Blick der Puppe, in ihrem Herzen ein Ziehen hervorrief.
Wieder dieser Spiegel - dieser Seelenspiegel.
Sie schauderte.
„Ist praktisch,“
dachte Anna, als sie am Abend vor dem Fernseher saß und den Welpen in ihrem Schoß kraulte.
„Wir brauchen nicht Gassi gehen, ich muss kein Futter kaufen, und als Leckerli reicht ein Mon Cheri für uns beide.
Aber genau diese Dinge fehlten ihr auch. Mit dem Hund durch Wiesen und Felder streifen, ihm anschließend die Pfoten säubern, Futter für ihn zubereiten und ihn mit Leckerli verwöhnen. Traurig seufzte sie.
Tagsüber lag der kleine Hund auf Annas Bettdecke und des Nachts durfte er mit darunter. Eng aneinander gekuschelt setzten sie der Einsamkeit, die jede Nacht mit ihren eiskalten Fingern nach Anna griff, ein Bollwerk entgegen. Ein winziges Bollwerk. Denn Anna merkte schnell, dass dieser kleine Stoffhund ihr Leben nicht wesentlich veränderte. So lieb sie ihn auch hatte, so sehr sie mit ihm schmuste, ihn knuddelte und stupste - er blieb, was er war – ein Spielzeug.
Doch eines Abends, als Anna ihren Liebling wieder einmal kraulte, als sie seine Kunststoffnase mit der ihren berührte, begegnete sie seinem Blick. Lebendige braune Augen. Ein Blick voller Sehnsucht, ein Blick, der nach ihr rief. Und wieder einmal seufzte Anna, doch dieses Mal wusste sie, was sie zu tun hatte.
Kling klang klong klung … Anna ließ sich zum zweiten Mal in den Spielwarenladen ziehen. Wieder spürte sie, wie sich unendlich viele Blicke auf sie richteten. Aber jetzt mit einem anderen Ausdruck. Entschlossenheit? Die Bereitschaft, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen?
Sie sah sich um - und eine eiskalte Hand umfasste ihr Herz.
Der Ladenbesitzer war nirgends zu sehen.
„Mein Vater ist hinten, in der Werkstatt.“
Eine junge Frau kam auf sie zu, lächelnd, als hätte sie Anna bereits erwartet.
Mit zitterndem Herzen zog Anna den Perlenvorhang zur Seite. Dort stand er, der „Herr der Spielwaren“. Sein weißes Haar leuchtete selbst hier, im Halbdunkel. Er drehte ihr den Rücken zu und hantierte an einer Kaffeemaschine. Als es gurgelte und der Duft des Kaffees sich in dem kleinen Raum auszubreiten begann, drehte er sich um.
„Naa, brauchen Sie wieder einen Freund?“
„Ja.“
Anna schluckte.
Er stellte zwei Keramikbecher auf den Arbeitstisch.
„Kaffee ist gleich fertig.“
Sie setzte sich auf einen Korbstuhl, den jemand extra für sie hingestellt zu haben schien.
Zwischen den Bechern kauerte eine kleine Tigerkatze. Sie war übel zugerichtet. Ein Ohr halb abgerissen, das linke Auge hing nur noch an einem Faden, ihr Fell war schmutzig und sie krümmte sich zusammen, als hätte sie große Angst.
„Ja,“ dachte Anna, „So sehe ich aus, genau so.“
„Ich habe sie aus der Altkleidersammlung gerettet.“
sagte der Ladenbesitzer, als er Annas Blick bemerkte.
Während er den Kaffee einschenkte und Anna Milch und Zucker anbot, fuhr er fort:
„Sie ist widerstandfähig, aber sie braucht Liebe. Dann wird sie wieder aufblühen.“
Und leise setzte er hinzu:
„Wie du. Du darfst nur keine Angst davor haben.“
Kommentare
Eine so zarte, wunderschöne Liebesgeschichte. Hab ich gerne gelesen. Ein Text zum Dahinschmelzen.
LG Monika
Herzlichen Dank, liebe Monika, und allen Anderen für Eure Klicks.
Liebe Grüße, Susanna