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diese Gegend treibt.“ Er sei auf der Wanderschaft und suche nach einer Beschäftigung als Zimmermann, antwortete Harold, er brauchte nur ein wenig Platz, nicht mal ein Bett, denn er trüge Decken bei sich. Und Tankred führte den Zimmermann an einen Tisch, bot ihm einen Stuhl und mühte sich um Getränke und Speisen, die er und Alwina ihm reichten.
„So so. Auf der Wanderschaft seid Ihr und sucht nach einem Arbeitsplatt. Hat denn niemand im Dorf Euch einen angeboten?“
„Bis jetzt noch nicht. Ich werde es Morgen aufs Neue versuchen.“
„Verzeiht mir meine Neugier. Eßt und trinkt nur, wir richten Euch ein Lager für die Nacht.“ Harold aber wies ab, „das braucht Ihr nicht, ich trage alles bei mir, was ich brauche.“ Am frühen Morgen brach er auf zum Dorf und gegen Mittag kehrte er zurück und berichtete, er habe eine Beschäftigung in einer Tischlerei gefunden. Tankred und Alwina beglückwünschten ihn.
In tiefer Nacht wurde Harold durch Geräusche geweckt, Sein Gastgeber schritt im Zimmer auf und ab, jener bemerkte Harold und bat ihn in einen Tisch, dort sprach er, „Ihr seid mir ein ehrlicher Mann, der seit Monaten mein Heim mit uns teilt, darum will ich Euch berichten. Das Mädchen Alwina, das bei mir lebt, ist das Kind von Adda, Tochter eines Fürsten, sie liebte einen Jungen aus dem Dorf und erwartete ein Kind von ihm, worauf der Fürst Adda verbannte. Und so gelangte sie in mein Haus, wo sie ihr Kind gebar. Nachdem Adda ihr Kind geboren hatte, drangen Schurken in mein Haus ein, und sie fielen über Adda her. Ich versteckte das Kind im hohlem Stamm des Baumes nebenan, eilte, so schnell ich vermochte, zurück, um Adda beizustehen, doch war ich zu spät, sie war fort. Draußen suchte ich nach ihr, und ich fand sie auch, blutüberströmt und tot. Wenn das Kind dies erführe? So wusch ich ihr das Blut ab, verband ihre Wunden, hüllte sie in saubere Kleider, wickelte sie in Decken ein, hob eine Grube aus neben dem Baum und bestattete sie darin. Sie zu retten ist mir nicht gelungen.“
„Ihr habt aber das Kind bewahrt“, antwortete Harold. „Aber ich hätte so gerne beide erhalten. Ich habe Alwina nie erzählt, was ihrer Mutter widerfahren ist.“
„Aber Tankred, hat sie denn nie nach ihrer Mutter gefragt?“
„Gewiß, ich log, sie sei fort gegangen. Sagt Ihr, was es recht, das ich tat? Tag und Nacht quält mich der Gedanke, falsch gewählt zu haben?“
„Ich meine Euer Entscheiden war richtig.“
Harold blieb bei dem Schäfer und Alwina. Als das Mädchen siebzehn Jahre zählte, kam der Tag, an welchem Tankred seiner fortgeschrittenen Jahre halber sich nicht mehr von seinem Lager erheben konnte, und so bat er beide zu sich. „Seid so freundlich, Harold, und nehmt aus der Kommode dort eine Schatulle und bringt sie mir.“ Nachdem er sie ihm gebracht hatte, wandte Tankred sich an Alwina, „ich habe dir immer gesagt, deine Mutter sei verschollen. Das aber stimmt nicht, ich brachte es nicht übers Herz, dir die Wahrheit zu sagen. Jetzt aber, wo du alt genug ist, wage ich es. Deine Mutter Adda wurde von verbrecherischen Menschen getötet. Indem die Schreckenstat geschah nahm ich dich, Alwina, und versteckte dich im hohlen Baumstamm. Als ich zurück ging, um Adda beizustehen, war alles schon geschehen, sie war tot.“ Das Sprechen fiel ihm schwer, er legte eine Pause ein, fuhr dann leise fort, „du weißt, teure Alwina, deine Mutter verstand es, Blumen, Blätter und Gräser dort zu hinterlassen, wo sie ihre Hände auflegte und ihre Füße aufsetzte, sie blühen immer noch in dem Baumstamm, in dem ich dich versteckte. Und sperrt mich in keinen Sarg, legt mich in die Erde, wie ich es mit Adda getan habe. Du siehst Alwina, du bist die Tochter einer Prinzessin, und sollte ich Euch Eurem Stand gebühren anreden, was ich nie getan habe, verzeiht...“ Hier brach Tankred Stimme, sein Atem verging und der Schlag seines Herzens verstummte, das Licht seiner Augen erlosch. Alwina streichelte seine alten Wangen, „das brauchst du nicht, du hast mich vor dem Mord bewahrt, für mich gesorgt, mir ein Heim gegeben, das alleine zählt, und dafür danke ich dir.“ Sie und Harold erfüllten seinen letzten Wunsch, und beide schürften eine Grube nahe des Baumes Wurzeln, senkten Tankred hinein, in Leinen und Decken gehüllt. Alwina beweinte den Toten, „nun habe ich niemanden mehr.“
„Doch, Ihr habt mich, wenn Euch das recht ist“, tröstete Harold sie.
Harold und Alwina blieben beieinander. Ein Jahr ging ins Land, da sprossen an Addas und Tankreds Ruhestätte sich umschlingende Zweige, die zu zarten Ästen wurden, und sich mit den Zweigen des mächtigen Baumes verbanden. Harold umarmte Alwina, still standen sie da und sahen darin ein Zeichen, daß Adda und Tankred verbunden waren, obwohl er sie nicht hatte retten können.
***
Das Geschehen ist lang dahin, der Baum ist immer noch da, in dem die Vögel auf immer wohnen, nie vertrieben werden, neben dem Haus des Tankred. Man sagt auch, daß welche, die in Streit geraten, innehalten an diesem Baum und ihren Streit vergessen.
Und wie es manchmal so geschieht, bin ich wohl eingeschlafen unter diesem Baum, und bin ich auch wieder erwacht, weil ich gefühlt habe, jemand beobachtet mich. Sitzt da unweit eine junge Dame mit schulterlangem hellem Haar auf einen Baumstumpf, einem Zeichenblock in den Händen und einen Kopfhörer an den Ohren. „Bleiben Sie noch einen Moment liegen, ich werde das Bild Wanderers Ruh nennen, wie heißen Sie?“
„Ich?“ Sie setzt den Kopfhörer ab. „Ja, ist sonst noch jemand hier, den ich fragen könnte? Oder wissen Sie nicht, wie Sie heißen? Schauen Sie, das Bild ist fertig.“ Und ich erhebe mich, betrachte es. Ein knorriger hoher Baum, mit Ästen, die bis auf den Boden fallen, ein Haus daneben und mitten darin liegt ein Mann, ausgestreckt und schläft. „So lag ich da? Was hören Sie sich denn an durch den Kopfhörer?“
„Richard Wagner, seinen fliegenden Holländer.“
„Der paßt aber nicht in diese Gegend.“
„Ich weiß, der Freischütz von Karl Maria von Weber wäre besser. Den habe ich aber nicht bei mir. Sind Sie zum ersten mal hier?“
„So ist