Der Dienstweg

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von Ingo Erbe

Jeden Morgen komme ich beim Bahnhof an einem Weg vorbei, der heißt Dienstweg, so besagt es das Schild, das an seinem Anfang steht. Nun kenne ich einen Waldweg, einen Uferweg, da weiß man doch, wo 's dank ihm hingeht. Apropos >hingeht<; an der Kirche unseres Dorfes gibt es einen Abkürzungsweg, so heißt er, laut Schild und weiter steht darauf: Betreten auf eigene Gefahr. Erstaunlich, nicht wahr, so nah bei Gott und immer noch auf eigene Gefahr? Aber was ist nun ein Dienstweg? Ein Weg, der zum Dienst führt? Ein Weg, den nur der Dienst betreten darf? Neulich wartete ich auf den Bus. Irgendwann kam einer, und vorne, da oben über der Windschutzscheibe, war in großen Lettern auf rotem Grund zu lesen: Dienstfahrt. Der Bus hat nicht gehalten an der Haltestelle, an der ich wartete; er war eben im Dienst für den Dienst auf dem Dienstweg. Nun, ich wollte den Dienstweg, der auch durch einen Wald führt, benutzen, aber ein Diensthabender untersagte mir das Betreten des Dienstweges, obwohl mir mein Vorgesetzter stets empfiehlt, den Dienstweg einzuhalten. Der Diensthabende also klärte mich auf, dies sei ein bahneigener Weg, der, obwohl er durch ein bahneigenes Waldstück führe, kein Waldweg sei, den nur Bahnbedienstete und nicht einmal im Dienst fahrende Omnibusse benutzen dürften, grundsätzlich vom öffentlichen Verkehr ausgeschlossen sei. Ich versprach dem Diensthabenden, öffentlich nicht zu verkehren, was mir nicht half; ich durfte den Weg nicht betreten.

Da kam ein Hund daher, der entledigte sich auf den Dienstweg seiner Notdurft. Ich frug den Diensthabenden, ob dies ein Diensthund sei. Der konnte darüber gar nicht lachen, setzte ein Dienstgesicht auf und erstattete dem Hund einen dienstlichen Verweis, worum jener sich nicht im geringsten kümmerte, sondern genüßlich in sich gekehrt bedenkenlos sich weiter entleerte. Nach geraumer Dienstzeit wendete der Hund sich um, schaute nach, befand >es reicht< und ging seines Weges über den Dienstweg. Nun lag er da, der dampfende - ja, war er nun ein Diensthaufen, oder ein widerrechtlich auf dem Dienstweg hinterlassener Haufen eines öffentlich verkehrenden Hundes? Der Diensthabende bewaffnete sich mit einer Dienstschaufel, schaufelte dienstbeflissen des Hundes Hinterlassenschaft einfach jenseits des Dienstweges in den öffentlichen Verkehr hinein. Da erhob ich Einspruch, ob das denn gestattet sei, so einfach von der Abgeschlossenheit des Dienstweges in die verkehrende Öffentlichkeit hinein? Das ging mich einen Scheißdreck an, beleidigte er, und ich mahnte ihn, wenn er das dienstlich meinte, würde ich eine Dienstbeschwerde erheben, wenn er esaber ernst meinte, würde ich es vergessen. Er drohte mir mit der diensthabenden Bahnpolizei. Ich habe mich dann eines Umwegs bedient, als einzigen Ausweg; dort habe ich den Hund wieder getroffen, und ich habe ihm beim Metzger eine Fleischwurst gekauft, die ist ihm sehr dienlich gewesen. Und, ich gebe es ja zu, aber sagen Sie es bitte nicht weiter, ich habe ihm geraten, wo er sich ihrer, wenn sie verdaut ist, entledigen soll. Nun, das ist schon einige Zeit dahin, der Bahnhof ist abgerissen worden; an seiner Stelle steht heute eine Kirche, und der Weg heißt nicht mehr Dienstweg, auch nicht Kirchweg, oder Gottesweg, sondern >Weg der Erleichterung<, und jedesmal, wenn ich diesen Weg gehe, muß ich an den dienstfremden, also öffentlich verkehrenden Hund denken, und ich denke auch darüber nach, weil doch an diesem Weg ebenfalls ein Schild mit der Aufschrift steht >Betreten auf eigene Gefahr<, daß es doch geschehen könnte, daß Gott einmal dieses eine seiner Häuser auf Erden betreten möchte, er diesen Weg benutzte, und der Hund hätte .. , und Gott rutschte aus, mein Gott, wer würde, könnte, dürfte ihm aufhelfen, das gäbe eine Prozedur um Zuständigkeiten!

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