Die akademische Palme - Page 2

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von Monika Laakes

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ist euer Fest.<
Erneut roch es nach Jasmin. Dr. Kneidel strengte sich an, um seine Stimmung in Hochform zu bringen. Er wollte seinen Hormonspiegel auf Glück einstellen. Er wusste, dass Pflanzen mit seiner Seele in Kontakt stehen, dass er sie nicht belügen kann.
>Meine Lieben, ich bin euer Freund. Schscht. Ganz ruhig.<
Dr. Kneidel verbeugte sich vor jeder Pflanze. Um die Stimmung noch mehr aufzuhellen, ging er zu seinem Schreibtisch und stellte den CD-Player an. Seine Freunde liebten Mozart. Die Klänge der kleinen Nachtmusik breiteten sich im Büro aus. Klänge der Harmonie und Schönheit. Sonnenstrahlen drangen in jede Zelle der bodenständigen Wesen, durchdrangen ebenfalls Dr. Kneidel. Er schwebte wie eine Elfe durchs Büro. Drehte vor jeder Pflanze eine Pirouette. Machte mit vorgestreckter Fußspitze einen Tanzschritt, verbeugte sich abermals vor jeder Pflanze. Nun sang er mit Kopfstimme:
>Anton, Bert und Christoph,
Dorian, Ernst und Felix,
meine besten Freunde
tanzen mit mir Menuett.<
Es hatte den Anschein, als bewegten sich die Blätter in Richtung Dr. Kneidel, als wollten sie ihn umschlingen. Das waren Momente hoher Glückseligkeit. Hatte Dr. Kneidel nicht gestern noch einen Hund getreten, der es wagte, einen Baum zu bepinkeln. Jaulend raste er von dannen und wäre beinahe von einem Auto erfasst worden. So agierte Dr. Kneidel mit ungezügelter Wut, um den Baum vor einer schleichenden Vergiftung zu bewahren. Dr. Kneidel hasste Hunde, er hasste Katzen. Mitunter hasste er Vögel, die durch Nestbau und Kotbeschmutzung die Pflanzen schädigten. Dr. Kneidels Liebe zu den sprachlosen und hilflosen Geschöpfen dieser Welt war grenzenlos.
Die Musik verstummte. Dr. Kneidel spielte die CD nochmals. Wieder durchdrangen Mozartklänge den Äther des lichten Wintermorgens. Noch einmal verbeugte sich Dr. Kneidel, verband sich im Glücksrausch mit jeder Pflanzenzelle und schwamm sozusagen im großen Pool kosmischer Energie.
>Anton, Bert und Christoph,
Dorian, Ernst und Felix,
meine besten Freunde
sind mir nah im Paradies<
sang er nun selbstvergessen und lauthals.
Er bemerkte nicht das Flüstern vor der Türe, das unterdrückte Kichern und Fußscharren. Bei seiner fünften Verbeugung wurde die Türe aufgestoßen. Unter schallendem Gelächter entfernten sich einige Kollegen fluchtartig. Und doch hatte er sie alle erkannt. Er sah grad noch, wie sie in Frau Rödlichs Büro verschwanden. Er knallte seine Bürotüre zu. Dann sammelte er die Fliegen und packte sie in den Beutel. Sein Nacken war knallrot bis über die Ohren. Er atmete schwer. Dieses heimtückische Frauenzimmer musste ihn durchs Schlüsselloch beobachtet haben. Sie hatte ihn bei den Kollegen lächerlich gemacht. Er stellte sich vor, wie sie das Schlüsselloch belagerten, um ihn zu beobachten. Wie der feiste Dr. Kehler sich vor Lachen ausschüttelte, wie Herr Metz seinen Schnurrbart langzog und wieherte, dabei Frau Rödlich lüstern anschaute und sie voll Inbrunst diesen Blick erwiderte. Dass zu alledem noch Frau Susanne Nahtläufer, sein Lehrmädchen, mit einbezogen wurde, mochte ihm so gar nicht gefallen. Dr. Kneidel durchforstete einige Akten, stellte handschriftlich einige Tabellen zusammen und gab sie auf ein Diktaphon. Frau Rödlich hatte sich gegen solche Büropraktiken stets wehren können.
>Keine Diktate per Tonband. Das ist stillos und passt nicht in unser Büromanagement.<
Dr. Kneidel hatte sich dennoch eine Ausrüstung zugelegt und sie in seinem Schrank aufbewahrt. Jetzt bestand eine reelle Chance, Frau Rödlich neu einzuordnen und somit genau ihren Nerv zu treffen.

So verdichtete sich das Bestimmungsnetz, gesponnen aus zahlreichen Spitzfindigkeiten. Frau Rödlich verweigerte ihre Aufgabe. Dr. Kneidel drohte mit unbegrenzter, unbezahlter Beurlaubung. Frau Rödlich wiederum mit dem Arbeitsgericht.
Trotz alledem gediehen die Palmen prächtig. Dr. Kneidel liebte Streitkultur. Die Auseinandersetzungen mit Frau Rödlich erzeugten in ihm eine Fülle neuer Ideen, turnten ihn sozusagen in allen Lebensbereichen an. Er war in Hochstimmung. Es war ihm ein Bedürfnis jeden Morgen nach Frau Rödlichs Dieffenbachia zu sehen. Er goss sie einmal die Woche mit Blumendünger. Die Pflanze gedieh unter Dr. Kneidels Händen. Frau Rödlich verließ stets ihr Büro und zündete sich auf dem Flur eine Zigarette an.
>Haben Sie nichts zu tun, Frau Rödlich<, bemerkte Dr. Kneidel gewöhnlich im Vorübergehen. Frau Rödlich war sehr still geworden. Nur das tiefe Inhalieren des Zigarettenrauchs war zu vernehmen. Sie hatte das Rauchen nach jahrelanger Abstinenz wieder aufgenommen. Da in den Büros Rauchverbot herrschte, musste sie entweder auf den Flur oder die Toilette ausweichen. Neue Möglichkeiten für Dr. Kneidels Wortbombardements.

Es war an einem Frühlingsmorgen. Es roch nach aufbrechender Erde. Überall zeigten sich Spitzen von Krokussen, Tulpen, Narzissen, die explosionsartig ihre grünen Speere aus dem Boden schossen. Dr. Kneidel hatte all seine Potenz in die Verwirklichung seiner Ideen einfließen lassen. Frau Rödlich war aufgefordert, den Umgang mit dem Diktaphon zu trainieren. Niemals zuvor hatte er sie weinen sehen.
>Nun, gnädige Frau, wann melden Sie sich zu einem Deutschkursus an der VHS an?<
Dr. Kneidel hatte ihren ersten Versuch, sein Diktat phonetisch zu erfassen, auf ihren Schreibtisch geknallt.
>Was, um alles in der Welt, wollen Sie hier managen, Frau Rödlich? Versuchen Sie zuerst, sich mit Ihrer Sprache anzufreunden.<
Er hörte sie heftig atmen. Dann nestelte sie an ihrer Handtasche. Als sie die Zigaretten hervorzog, zitterten ihre Hände. Das Feuerzeug entglitt und fiel auf den Boden vor Dr. Kneidels Füße. Er sah ihren Nacken, während sie vor ihm hockte und nach dem Feuerzeug angelte. Es schien, als sträubten sich dort ihre Haare. Dann rannte sie auf den Flur.
Dr. Kneidel verließ ihr Büro. Er sah, dass ihre Schultern zuckten. Sie stieß heftig Zigarettenrauch in die Luft. Er blieb stehen. Sie wandte ihm den Rücken zu und schaute aus dem Fenster. Er stellte sich neben sie und blickte in ihr Gesicht. Es war gerötet und leicht verquollen. Die Wimperntusche verschmierte den Bereich ihrer Augen, zog Spuren bis zu den Mundwinkeln. Dr. Kneidel war in Beutestimmung. Er hatte ihren bloßen Nacken vor sich gesehen, sah nun ihre entblößte Seele.
>Aber Frau Rödlich, gibt’s ein Problem für Sie?<
Abrupt drehte sie sich um und verschwand in ihrem Büro. In der darauffolgenden Woche war Frau Rödlich krank. Dr. Kneidel hatte nichts von ihrem schwachen Herzen gewusst. Sein Vorsatz, sie in Zukunft nicht mehr mit seinen Scherzen zu behelligen, bedeutete für ihn ein enormer Kräfteaufwand. Er war nun mal ein Vollbluthumorist.
Nun vermochte der Beginn des Frühlings mit Helligkeit und ausströmenden Düften Dr. Kneidel über eine Hochstimmung hinauszubringen, er war am Rande der Milchstraße, nahe dem Allerhöchsten.

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