Feueraugen II

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FEUERAUGEN  II
LESEPROBE 1. Kapitel
-1-  Aufbruch

Wie es im Nebel zu dämmern beginnt, sitzen James Jones Baldwin und seine Leute bereits in den Wagen und frühstücken. X hat auf seinem Campingkocher mit geschmolzenem Schnee Kaffee und Tee gebraut. Dalia und Dr. Glücklich sind begeistert.

"Wann ich da an den Morgen vor zwei Tag zurickdenke …", stellt Letzterer eben fest "... noch nicht mal an Kaffee hot's gegeben. Und heit hom mir a gonzes Frihstick!"

Unter ziemlich erbärmlichen Umständen frühstücken sie königlich. Die Reste der vorangegangenen Mahlzeiten am Vortag gibt es ebenso wie frisch gekochte Eier. Zwar bekommt nicht jeder zur gleichen Zeit sein Ei und sein heißes Getränk nach Wahl, aber niemand kann sich beschweren.

Schließlich kommt man vor Baldwins Wagen zusammen, um sich zu besprechen.

"Wie wollen wir's anpacken?", erkundigt sich der Krämer. "Wenn wir überhaupt etwas unternehmen können, dann müssen wir es jetzt wagen. Einfach drauf los? Ausschwärmen?"

"Ausschwärmen?" Baldwin ist ganz blass geworden. "Um Gottes willen! Nur das nicht! Wir bleiben schön zusammen. Mir reicht völlig, dass Rodolphe verschwunden ist. Ich hab keine Lust, nach und nach die Hälfte der Mannschaft zu verlieren."

"Also?" Zeramov hat seinen Notizblock gezückt und wartet auf Baldwins Strategie. Allerdings sieht man dem Drehbuchautor an, dass er die halbe Nacht über wach geblieben ist. Mit struppigem Haar sitzt er da, gähnt unaufhörlich und reibt sich mehrmals die Augen. Trotzdem fällt dem, der genau hinsieht und ihn kennt, ein schelmisches Grinsen auf, das man bei ihm nicht jeden Tag sieht.

"Haben sie einen Plan, Alexej?", forscht X, der neben ihm Platz gefunden hat.

Zeramov hält X seinen Notizblock hin. Auf der vorletzten der beschriebenen Seiten liest dieser den Eintrag, den der Schreiber irgendwann in der Nacht als letzte Möglichkeit sogar unterstrichen hat: 'Für ein Mal diskutieren die Baldwinschen nicht lange, sondern brechen gleich nach dem reichhaltigen Frühstück auf!

"Tatsächlich?" Jetzt schmunzelt auch X – was er selten tut. Die Vorstellung, dass bei Ihnen etwas ohne langwierige Diskussionen gehen soll ... erstaunlich … ungewohnt … befremdlich!

"Hätten wir einen langen Strick, ich würde uns am liebsten anseilen, Kinder!", erklärt Baldwin gerade. "Aber leider geht das nicht!"

"Und was machen wir dann?"

"Signore ... wir müssen in nördlicher Richtung suchen. Da haben wir wahrscheinlich die größten Chancen. Ich weiß zwar nicht, wie wir Rodolphe finden können, aber darüber zerbreche ich mir jetzt auch nicht den Kopf. Los, Kinder ... Action!"

Kurz darauf befinden sie sich schon im Aufbruch. Alles rennt aufgeregt herum, ein jeder packt noch irgendetwas zusammen. Einige überprüfen ihre Waffen, andere begnügen sich damit, in den immer noch unvorstellbar dichten Nebel hinein zu spähen. Nur Cassius lehnt lässig an Baldwins Wagen und wartet geduldig, bis die anderen abmarschbereit sind.

"Wie mache ich das nur mit meinem Mantel! Ich kann doch meine Ausrüstung unmöglich zurücklassen. Andererseits ist mein Trenchcoat für die Übergangszeit gedacht und unter dem Pelz stört er mich sogar!", erklärt X eben dem Dr. Glücklich.

"No, lossen Se ihn einfach zurick!", meint der.

"Ach, Sie mit ihrem Mantel. Giftmischungen und Sprengstoffe werden wir bestimmt nicht brauchen." Der Signore ist hinzugekommen - Ricci im Schlepp.

"Das hier werden wir brauchen ... wenn überhaupt etwas!", behauptet der und fuchtelt X mit seiner Pistole vor der Nase herum.

"Vorsicht, Mr. Ricci ... mit so etwas spielt man nicht. Die ist doch wohl geladen!"

"Bene ... schon gut, Signore X!" Ricci steckt seine Waffe wieder ins Brusthalfter.

Schließlich ist man bereit.

Cassius hat alle verfügbaren Taschen im Pelzmantel, seiner Jeans-Jacke und der Hose mit Kaugummi vollgestopft, X hat sich entschlossen, seinen Trenchcoat zurückzulassen, Zeramov hält Notizblock und Schreibzeug in der Hand und die anderen brauchen wohl nicht viel.

"Kinder ... gehen wir's an!" Baldwin beginnt eine kurze Ansprache. "Ihr wisst, dass wir einiges zu erwarten haben. Was auf uns zukommt, kennen wir nicht, also:größte Vorsicht. Wir bleiben dicht zusammen, und wenn einer etwas bemerkt, was ihm verdächtig erscheint, meldet er das sofort. Verstanden? - Gut, dann los!"

Der dichte Nebel und die Ungewissheit, die darin verborgen liegt, verleihen diesem Aufbruch etwas Heroisches … Dramatisches.

Baldwin und Zeramov führen den Zug an, dahinter der Krämer - Dalia und X als Schlusslichter.

 

*         *         *

 

"Wirklich sehr neblig heute!", stellt Marlène fest.

"Noch dichter als gestern Abend!", bestätigt Ricci, der vor ihr dahintrottet.

Der Schnee ist hüfthoch, die Baldwinschen kommen nur langsam voran. Allerdings drängt sie auch nichts, denn sie wissen ja nicht, wohin genau sie müssen.

"Wenn man bedenkt, dass der arme Rodolphe jetzt schon volle zwei Tage hier draußen ist ...!"

"Tja, Miss Lama ... aber einfach in der Kälte wird er wohl nicht herumstehen!", meint X.

"Dem ist zuzutrauen, dass er das Schloss schon entdeckt hat.Vielleicht sitzt er gemütlich im Warmen und wartet auf uns!", schlägt Michel vor.

"Na, ihre Ideen sind wirklich großartig!", brummelt Ricci. "Hat er uns eventuell noch ein paar Zimmer herrichten lassen, eh?"

Der Signore findet diesen Einfall so witzig, dass er laut auflachen muss.

"Was ist?" Baldwin bleibt stehen und starrt entsetzt zurück.

Die Letzten im Zug verstehen diese Reaktion falsch und sind ihrerseits erschrocken.

"Mon dieu, Monsieur Baldwin ... Rodolphe ... ist er ...?" Michel wagt seine Vermutung nicht auszusprechen.

"Was ist?", brüllt da der Chef und seine Miene verändert sich rasch. Jetzt sieht er richtig wütend aus. "Was lachen sie so, Signore?"

Alle drehen sich um und fragen 'was ist?'.

"Oh, ich ... perché ... Luigi hat mich zum Lachen gebracht, mehr nicht. Er hatte einen dummen Einfall!", erklärt der Signore.

"Dann behalten sie ihre dämlichen Einfälle in Zukunft für sich, Luigi!", kreischt Baldwin. "Ich verlange Konzentration ... absolute Ruhe, ja!? - Ich bin ein Nervenbündel und vertrage kein Gelächter mehr!"

Schweigend, hoch konzentriert und vorsichtig jeden Meter vor sich begutachtend gehen sie weiter. Die Stille wird nur gelegentlich von Riccis Niesen unterbrochen. Seine Erkältung ist schlimmer geworden.

"Dieses orgiastische Geniese geht mir langsam auf die Nerven, Luigi. Können sie denn nichts dagegen tun?", fragt Michel, als Ricci gerade wieder einmal herzzerreißend geniest hat.

"Scusi, Michele! – Ich bin machtlos dagegen. Außerdem macht es mir bestimmt keine Freu... haaaaaatttsssschiiiiiiuuuuuhhaaaaa! ... Freude, wollte ich sagen."

"Kaum zu glauben, wie sich bei manchen LeutenErkältungen äußern können!", stellt X fest.

Etwas später bemerkt Marlène, dass die Sonne durch den Nebel bricht.

"Ach, das freut mich!", sagt Michel. "Dann verschwindet der Nebel und man fühlt sich nicht mehr

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