Garfield & Co I

Bild von Dieter J Baumgart
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Der Friedenstifter

Woher er kam und warum ist uns nicht bekannt. Eines Tages jedenfalls stand er vor unserer Tür, freundlich interessiert, als ob er sagen wollte: Voilà, da bin ich, na dann wollen wir mal sehen...
Er hätte auch der Schornsteinfeger sein können, der freundlich den Kamin in Augenschein nimmt, feuchte Stellen im Schornstein ausmacht und gleich ein kostengünstiges Angebot mit Termin „... dann haben Sie für mindestens zehn Jahre Ruhe“ unterbreitet.
Doch nein, im Gegensatz zum Schornsteinfeger, der uns jährlich aufsucht, kam Garfield nur einmal – und blieb. Er säubert und repariert auch nichts, aber er bereichert seitdem unser Leben hier, wie es vor ihm schon andere Tiere, meist Katzen oder Hunde, taten. Garfield allerdings tat noch mehr: Nachdem Generationen von Katzen in Mourèze nur Streit und Mißgunst kannten, haben sich die Zustände unter seinem Einfluß grundlegend geändert.
Als er wie aus dem Nichts auftauchte, hatte er schon seinen Wintermantel an, gelb-orange, mit einer gewaltigen Halskrause, was ihm durchaus etwas löwenartig Majestätisches verlieh. Wir nannten ihn Garfield, denn die Ähnlichkeit mit dem 1975 von Jim Davis geschaffenen Antihelden einer Comic-Serie gleichen Namens war frappierend.

Inzwischen kennen wir ihn ein Dreivierteljahr, doch wenn es darum geht, sein Wirken im Dorf zu würdigen, dann wurde der Grundstein dafür schon vor dreieinhalb Jahren gelegt. Damals, es war Herbst, fand sich eines Morgens eine völlig verdreckte, andeutungsweise noch weiße, schwangere Katze vor unserem Haus ein. Halb verhungert ähnelte sie eher einem mit Fell verkleideten Gestell, in dem ein Sack hängt, als einer werdenden Katzenmutter. Ihr erbärmliches Aussehen rührte uns, und wir beschlossen, wenn schon nicht für Unterkunft, so doch zumindest für Nahrung Sorge zu tragen. Zu jener Zeit, ich deutete es schon an, war unser Dorf alles andere als ein Hort des Friedens für Angehörige der immerhin sechzig Millionen Jahre alten Familie der Feliden. Mißgelaunte Einzelgänger und egoistische Familienkater machten einander das Leben schwer, bekämpften und verjagten sich bei jeder Gelegenheit und ohne Grund. Auf diesen Katzenkleinkriegsschauplatz also wurde das grauweiße Bündel verschlagen. Zwar erschien sie den Mourèzer Warlords noch zu unbedeutend, doch ihres Futters war sie nie sicher, und es bedurfte schon unserer ganzen Aufmerksamkeit, damit sie sich halbwegs in Ruhe sattfressen konnte.

Es kam die Zeit ihrer Niederkunft, was wir daran erkannten, daß sie eines Tages noch dünner war und nach dem Futtern gleich wieder verschwand. Einige Wochen später wurde uns dann der Nachwuchs vorgestellt: Schon halbwegs entwöhnt und mit einer Mischung aus Neugier und Furchtsamkeit zeigten sich erst eins, dann zwei und schließlich insgesamt vier kleine Wollknäuel, drei schneeweiße und ein kohlrabenschwarzes. Versuche, an Mutters Milch zu kommen, wurden aus erzieherischen Gründen mit Ohrfeigen geahndet, der Weg zu unserer Haustür war erlaubt, weitere Ausflüge hingegen zogen Strafe nach sich. Das Familienleben spielte sich also vor unserem Hause ab, und zu unserem nicht geringen Erstaunen verwandelte sich das hellgraue Katzengestell innerhalb weniger Tage in eine weiße Diva, die ihre Nachkommenschaft fest im Griff hatte. Nur, wenn es ums Futter ging, für das wir wegen des herannahenden Winters auch weiterhin zuständig waren, hatten die Katzenkinder den Vortritt. Und bald ließen sich auch die einzelnen Charaktere voneinander unterscheiden. Während die drei Weißen mehr oder weniger zusammenhielten, hatte es die Schwarze schwerer, zumal sie sich nicht nur in der Farbe, sondern auch durch ihr wesentlich längeres, seidigeres Fell von ihren Geschwistern unterschied und so zum sprichwörtlichen schwarzen Schaf wurde.

Als wir unser Haus schließlich Mitte Dezember für drei Monate verließen, waren die Katzenkinder selbständig und ihre Mutter konnte sich anderen Aufgaben zuwenden. Eine Vertrautheit mit uns Menschen hatte sich allerdings nicht entwickelt, wurde von uns aber auch nicht forciert. Mitte März des folgenden Jahres gewannen wir dann einen neuen Überblick, stellten allerdings fest, daß sich an den alten Herrschaftsstrukturen nichts geändert hatte, wenngleich auch gelegentlich neue Köpfe in der Riege der Machthaber zu beobachten waren. Einer dieser neuen Köpfe entpuppte sich zu unserer Überraschung als die kleine langhaarige Schwarze, deren Geschwister nur noch selten zu sehen waren und schließlich ganz verschwanden. Inzwischen als Kätzin erkennbar, hatte sie sich Schillers Aussage „Da werden Weiber zu Hyänen“ zu eigen gemacht und mischte dementsprechend in der Mourèzer Katzenmafia mit. Das Jahr nahm seinen Lauf und vom Lebenswandel des einzigen im Dorf verbliebenen Kindes unseres herbstlichen Pflegefalles bekamen wir, abgesehen von gelegentlichem Geschrei, nicht viel mit.

Eines Tages dann war auch sie eindeutig in anderen Umständen und bezog ihr Wochenbett – wohl in Erinnerung an die eigene Kindheit – wieder in unserer Nähe. Ganz in unserer Nähe sogar, denn das Nachbarhaus hatte einen neuen Besitzer und wurde entrümpelt und ausgebaut. Alles, was im Wege war, wanderte zunächst in den ehemaligen Weinkeller, dessen Tür offenstand und der sich somit als komfortable Herberge für die neue Katzenfamilie anbot. Wieder waren es vier neue Gesichter in der immer noch zerstrittenen Katzengemeinde: drei grau Gestromte mit mehr oder weniger großen weißen Flecken und eine ganz Schwarze, Ebenbild ihrer energischen Mutter. Und wieder verfolgten wir mit Interesse, wie sich die verschiedenen Charaktere herausbildeten. Auch die schwarze Enkelin unserer einstigen Kostgängerin sonderte sich bald von der Familie ab, während die drei anderen – die eine mehr, die anderen weniger – erkennen ließen, daß ihnen menschliches Tun und Lassen nicht ganz schnurz war, obwohl wir die Beköstigung bald einstellten. Unmerklich wandelte sich auch das katzige Gegeneinander im Dorf zu einem nicht gerade von gegenseitigem Interesse getragenem Nebeneinander. Die zänkische Mutter entließ ihre Kinder in eine freundlichere Umgebung, änderte sich selbst jedoch nicht, wie wir gelegentlich noch heute feststellen können. Die neue Generation, zu der nun auch junge Katzen gehörten, die bei Familien im Dorf ihr Auskommen hatten, ließ zwar nicht viel Gemeinsinn erkennen, lag aber auch nicht dauernd im Streit miteinander.

So bot sich zu der Zeit, da Garfield die Geschicke seiner jungen Mitkatzen in seine Pranken nahm – und das ist durchaus wörtlich zu nehmen – etwa

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