Story XII: A walk in the dark oder die Tölen vom ‚Kyffhäuser Busch‘ - Page 4

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Gürtel und spurtete – nachdem der freundliche Doktor zum fröhlichen Halali geblasen hatte – zum Wachturm hinter der krepierten Eiche, um diesen dann zu erklimmen.
Inzwischen fand die Metamorphose des Rudels sein natürliches Ende, um zwei Monsterwölfe und eine Kreatur, die selbst für einen Werwolf potthässlich war, auszuspucken.
‚Jetze hat der sich doch aufn Turm verkrochen!‘
Nach dieser rhetorischen Meisterleistung schüttelte der schwarzbehaarte Boiorix seinen quadratischen Wolfs-chädel hinsichtlich so viel Hinterhältigkeit, während Teutobald abfällig grunzte.
‚Ruhe bitte! Ihr, meine getreuen Häscher, schnappt euch den Kerl und werft seine Überreste nach unten. Danach kommt ihr zurück und zerlegt mir den feigen Leckerbissen in mundgerechte Einzelteile. Ihr könnt euch Zeit lassen, ich vergnüge mich derweil mit meinem Essen. Abtreten!‘
‚Jawohl mein Führer!‘
Boiorix schlug mit einem Knall die Haxen zusammen, während der blondfellige Teutobald gehorsam grunzte. Schließlich begannen beide in mäßigem Tempo mit ihrer Völkerwanderung.
Der befehlshabende Werwolf wiederum näherte sich, die kahlen Stellen in seinem räudigen, roten Fell genüsslich kratzend, gemächlich dem Abendessen, dessen Gewimmer sich augenblicklich verstärkte.
‚Ja, lass Deinen Gefühlen freien Lauf; ich liebe das! Wie wäre es, wenn Du noch ein wenig bettelst? Dann lebst vielleicht länger!‘
‚Bitte, Herr Doktor, meine Familie ist vermögend, Sie können so viel Lösegeld haben wie Sie wollen und tonnenweise Hundefutter dafür kaufen. Mein Führer, ich bin doch ein Volksgenosse und hasse die Juden so wie Sie. Ich schmecke Ihnen bestimmt nicht – ich habe Würmer. Bitte, Erbarmen, Gnade…etc…‘
Marius hatte sich derweil auf seinem Turm eingerichtet und beobachtete das herannahende Unheil. Der Turm war zwar mittelhoch und mit nur einer Leiter als Zugang versehen, aber so beschaffen, dass man auch an den Seiten hochklettern konnte. Es bestand also durchaus die Möglichkeit, dass der Angriff gleichzeitig von zwei Seiten erfolgte. Mit einem leisen Fluch bemerkte der Verteidiger, dass Teutobald am Fuße der Leiter Stellung bezog und dessen Volksgenosse sich anschickte, an der gegenüber-liegenden Seite den Aufstieg zu beginnen.
‚Jetze, kleines Schweinchen, kommen wir Dich holen!‘
Ein schauerliches Geheul entfuhr den Kehlen der schutzstaffelnden Ungetüme und die Attacke begann. Der blondfellige Teutone stieg die Leiter betont langsam herauf, um die erwartete Panik seines Opfers zu steigern. Dieses Tempo vermochte der schwerfällige Boiorix nicht einmal mitzuhalten, da er sich mit der Kletterei einigermaßen schwertat.
Schließlich erschien am oberen Rand der Leiter das primitive Haupt Teutobalds, dessen blaues Auge vor Gier leuchtete und der ein erfreutes Grunzen von sich gab. Diese Spielart grundlegender, teutonischer Kommunikation verwandelt sich aber abrupt in ein Geräusch, das eher an ein abgestochenes Schwein gemahnte, da Marius seinem Widersacher geschickt den silbernen Dolch in sein heiles Auge rammte. Auch dieser Aufschrei war nicht von langer Dauer und der zyklopenähnliche SS-Mann segelte – dabei den Flammdolch freigebend – gen Boden.
‚Jetze, hinterhältiger Jude, bisse dran!‘
Inzwischen war es dem plumpen Boirix gelungen, die Brüstung des Turmes zu erklimmen und sich sprungbereit zu machen. Blitzschnell drehte der Nazi-Jäger sich um und konnte die Spitze seines in Richtung des neuen Angreifers drehen, in dessen Körper sich der Flammdolch dann auch nach dem wilden Angriffssprung bis zum Heft vergrub und das Leben des Werwolfs abrupt beendete. Mühsam befreite der Germanenbesieger sich vom schweren Körper seines Widersachers, der ihn doch zu Boden gerissen und unter sich begraben hatte.
Liebe Freunde, so sieht man einmal mehr, dass Schweigen eben doch Gold ist und reden manchmal wirklich tödlich sein kann.
In der Zwischenzeit vergnügte sich der Rassenhygieniker in der beschriebenen Weise mit dem schönen Perseus und wurde durch den unsanften Untergang seines teutonischen Gefolgsmanns jäh in seiner vergnüglichen Tätigkeit unterbrochen; selbst die Zierde praktizierter Zivilcourage stellte völlig perplex das Gewinsel ein. Was da geschah, machte den arischen Doktor nun völlig fassungslos und als nun Denis an der Brüstung des Wachturms auftauchte und seinen blutigen Dolch schwenkte, verlor Hessling völlig seine Contenance.
‚Das gibt es doch nicht! So eine Unverschämtheit: Wir sind doch die Herrenrasse!‘
Schnell fing sich der verwaiste Führer wieder und entschied, nun eine bewährte Vorgehensweise zu verwenden.
‚Warum muss ich immer alles alleine machen? Höre zu, Du Untermensch: Ich werde jetzt Deinen Freund langsam massakrieren.‘
Mit schriller Stimme unterbrach der Antigonide die Ausführungen des Doktors.
‚Nein, nein, bitte nicht. Ich helfe Ihnen diesen verdammten Marius zu erledigen, ganz ehrlich.‘
‚Das wirst Du nützlicher Idiot, aber jetzt halte Dein Maul! Also ich werde Deinen Freund langsam in seine Einzelteile zerlegen, wenn Du nicht von diesem Turm herunterkommst und Dich meiner Ungnade unterwirfst! Ich zähle jetzt bis drei: Eins..‘
‚Also gut, Hessling. Ich komme jetzt!‘
Langsam, mit dem Rücken zur Leiter, den Dolch locker in der linken Hand haltend, begann Marius die Anweisungen des Geiselnehmers zu befolgen. Dessen widerwärtige Fratze verzerrte sich zu einem höhnischen Ausdruck und sein zerrütteter Geist verzückte sich an der vermeintlichen Überlegenheit der arischen Rasse. Inzwischen hatte Denis ungefähr die Hälfte der Strecke geschafft und der räudige Doktor gab seine Anweisung.
‚Stop Untermensch, Du wirfst jetzt Deine verfluchte Waffe auf den Boden und kommst ganz langsam herunter.‘
Des einsamen Wolfs Augen sprühten vor Vergnügen. Das mit den Geiseln funktionierte immer. Wenn dieser renitente Kerl fast unter wäre, so würde er ihn unter Einsatz seiner Wunderwaffe – dem nach Exkrementen und Fäulnis duftende Mundgeruch des Hygienespezialisten – außer Gefecht setzen und in aller Ruhe ausnehmen.
‚Klar, Du Herrenmensch!‘
‚So ist es brav, stupider Untermensch. HAHAHHH.‘
Zu außerordentlichen Überraschung des selbsternannten Vertreters einer höheren Spezies blieb diesem förmlich das Lachen im Halse stecken, da Marius den Dolch nicht in Richtung Boden, sondern direkt auf den Doktor geschleudert hatte und das Wurfinstrument dank einer glücklichen Fügung tief in Hesslings Kehle stecken blieb. Mit einem letzten, ungläubigen Ausdruck auf der Fratze verschied der letzte Nova-Cimbria-Werwolf.
Noch erstaunter über das Geschehen war freilich der tapfere Perseus, der aber dank seiner charakterlichen Flexibilität allmählich zu seinem alten Selbst zurückfand. Während unser Monsterjäger den Rest der Leiter bewältigte, überwand das ehemalige Abendessen seine Schüchternheit und gelangte zu neuer Größe.
‚Hopp Marius, komm jetzt her und hilf mir gefälligst auf! Dann trägst Du mich zur nächsten Polizeidienststelle, damit ich aussagen kann, wie ich diese Nazi-Bande fertiggemacht habe.‘
Der Angesprochene schien seinen dankbaren Mitschüler nicht so recht zu beachten, sondern ging stattdessen zu Dr. Hesslings Kadaver und zog den Dolch aus seiner Kehle. Mit ungläubigem Schütteln seines attraktiven Hauptes erhob sich der ignorante Ignorierte.
‚Marius, Du elender Plebejer, hörst Du nicht, was ich sage! Ich warne Dich: Wenn Du nicht mitspielst, dann werde ich dafür sorgen, dass Du in der Gasse endest, wo Du auch hingehörst. Das hat man davon, wenn man sich mit solch asozialem Pack einlässt. Ich werde..‘
Marius schnitt dem Scheltenden förmlich das Wort ab, indem er mit einer eleganten Bewegung das Herz des Redners mit seinem Dolch durchbohrte. Seine bisher mühsam aufrechterhaltene Selbstbeherrschung war für immer dahin. Nach diesem nutzlosen Aristokraten würde er sich als nächsten Rektor Poppelmeier vorknöpfen und natürlich auch noch diesen verfluchten Cornelius Sulla. Der hatte seinerzeit dem Jug Urtha den Rest gegeben, nachdem jener nach Marius Aktionen hilflos am Boden lag und einen Großteil des Ruhms bei der sonstigen Eliteschülerschaft eingestrichen. Außerdem behandelte der Typ ihn mit nonchalanter Verachtung, die verletzender als des verblichenen Perseus Sticheleien war. Der Junge machte zwar gerade einen Griechenland-Türkei-Trip, aber irgendwann musste der ja wieder zurück….
Wie ihr seht, kann es immer gefährlich sein, Menschen zu über- oder unterschätzen und in manchen Zeitgenossen steckt eben mehr, als man auf den ersten Blick sieht.

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