Wälder, Bäume - Gedichte, Gedanken

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Einleitung

Menschen, die sich ungern zu Wort melden, werden gern als "andersartig" angesehen, man meidet den Umgang mit ihnen.
Bäume melden sich nie zu Wort. Sie sprechen nicht hörbar, aber sie kommunizieren miteinander. Und genau deshalb lieben die allermeisten Menschen den Wald, dessen Bäume. Sie gehen im Wald spazieren und genießen seine Ruhe und seinen Duft. Der Genuss wird noch verstärkt von den milden Lauten, die Wind und Bäume gemeinsam über die Besucher rieseln lassen.
Der Gang durch einen Kahlschlag macht keinen Spaziergänger froh.
Der Mensch liebt die Bäume, den Wald, ja, er braucht sie! Ein alter Wald, dem man die Bäume genommen hat und wieder aufforstet, wird nie wieder ein Wald, wie er einmal war. Der Mensch ist dabei, die natürlich entstandenen Wälder zu vernichten.
Die Bäume werden sich rächen - langsam, schweigend!
*
Wir lieben die Bäume,
wir brauchen ja sie.
Wir schlagen die Bäume,
verbrennen gern sie.

Die Bäume sind schweigsam,
doch sprechen auch sie.
Die Sprache der Bäume -
erlernen wir sie?

Sie stehen und hoffen:
"Verliert eure Gier."
Sie bitten, nicht flehend:
"Seid friedlich, wie wir."
*
Ich war zwei Jahre alt, als unsere Familie im Mai 1945 ein provisorisches Zuhause im mittelfränkischen Bauerndorf Segringen bei Dinkelsbühl bekam. Fast alle Familienmitglieder überstanden die Flucht aus Polen, viele Hunderttausende nicht.
Als ich fünf Jahre alt war, hatte ich meine ersten, großartigen Erfahrungen mit Bäumen, sagt meine Erinnerung. Es waren freundliche Bäume, die einem Flüchtlingskind Äpfel bis zum Gartenzaun eines Bauern rollten, damit ich sie mit den Fingern erreichen konnte:

Ein roter Apfel
vom Baume fiel
und bis zum Rand
der Wiese rollte,
wo ein Kind froh spielte.

Das Flüchtlingskind
mit großen Augen
auf diesen Apfel schielte.
Es wusste, was es wollte,
nicht, ob es durfte, sollte.

Der Bauer sah es
von seinem Fenster,
ging lächelnd zu dem Buben hin:
"Mei Bua, du darfstn fei essen."
Ich habe es ihm nie vergessen.

Bei diesem Bauernpaar ("Sesslerbauer") durfte ich bald darauf ein und aus gehen. Ich wurde so etwas wie ein Sohn, den es nicht hatte. Im Sommer durfte ich ihre fünf Kühe hüten, was ich gerne tat. Meine Lieblingsweide war eingerahmt von einem Jungwald, vielleicht einen Kilometer vom Hof entfernt. Stolz führte ich meine Herde durch das Dorf. Auf der Weide war ich allein mit den Kühen und Bäumen, fühlte mich wohl bei ihnen. Ein Baum war so ganz anders als die Tannen, die ich kannte. Der Bauer erzählte mir später, dass es eine Lärche ist, ein Nadelbaum, der im Herbst seine Nadeln verliert. Mir tat dieser einsame junge Baum leid. Ich saß immer neben ihm, wenn ich meine Butterbrote aß, und dabei manchmal die Kuh vergaß, die gerne den Klee im Acker fraß statt von des Bauern eignem Gras.
Dieses ruhige Leben auf dem Hof nahe am Weiher und "meiner" Weide, von Bäumen umrahmt, ist der Hauptgrund, warum ich meine Zeit in Segringen gern eine "frohe Kindheitszeit" nenne. Diese gute Zeit hat mein Leben geprägt.
*
Ein Lied möcht ich ihm singen -
dem Bauerndorf Segringen:

Das Dorf, gleich nach dem Kriege,
war meiner Kindheit Wiege.
Es hatte Menschen, die mir gaben,
was Kinder gerne haben.
Sie gaben Freiheit mir auf Wiesen
und Tannenbäumen, Riesen.
Sie gaben Frohsein mir und Essen -
nie werd ich dies vergessen.

Vom Bauerndorf Segringen
- von dir vor allen Dingen -
will träumen ich und singen.
*
Zu Weihnachten 1951, ich war fast neun Jahre alt, zog die Familie nach Düsseldorf, die Kindheitszeit verschwand und kam nie wieder.
Meine Bäume wurden ersetzt durch die Ruinen, die es damals noch in jeder Straße gab. An zwei Düsseldorfer Baumerlebnisse in der jüngeren Jugendzeit habe ich gut im Gedächtnis:
- In der Nachbarstraße gab es einen Schrebergarten mit zwei Apfelbäumen und einem Zaun.
Einmal war ein Apfel so nah, dass man ihn durch den Zaun nehmen konnte, was ich tat. Ich war katholisch getauft, aber nicht katholisch aufgezogen. Vor unserem Religionslehrer aber hatte ich Achtung und Respekt. Mit warmen Worten erklärte er mir, dass Stehlen eine Sünde ist, aber wenn man sie beichtet, wird sie einem vergeben. Ich beichtete also meine Sünde und verließ mich darauf, dass Gott mir vergab.
- Auf unserer Straße wurden Bäume gepflanzt. Über Jahre hinweg beobachtete ich durch das Fenster den Baum direkt vor unserem Haus, wir wohnten im vierten Stock. Als der Baum im zweiten Stock angekommen war, begann ich zu überlegen, ob ich es wagen würde vom Fenster auf einen Ast zu springen, wenn der Baum auf dem dritten Stock angekommen ist. Ich bin heute noch ein bisschen traurig, dass ich es nie erfahren durfte. Vielleicht lag es daran, dass Gott mir meine Jugendsünde doch nicht ganz verziehen hat. (Vielleicht tat er es doch, viele Jahre später, indem er mich beschützte, als ich als 70-jähriger einen Tandemfallschirmsprung hinunter auf einen Sandstrand wagte.)

1975, ich war 32 Jahre alt, kamen die Bäume - so wie ich sie wollte - wieder zurück zu mir, b.z.w. ich zu ihnen. Schweden gab mir in etwa das zurück, was ich in Segringen verlor und in Düsseldorf nicht finden konnte.

**

Von Birken und anderen Bäumen - eine Gedichtsammlung:

Gedanken am Bach

Ruhig fließt im Wald der Bach,
in dem Bett, dem steilen.
Aus der Ferne hört man schwach
Vogelsang bisweilen.
Sonnenblitze schwirren, eilen,
durch das grüne Blätterdach.

Jeder Ast an jedem Baum
kann etwas berichten,
doch verstehen wir sie kaum
diese Baumgeschichten.
Wir uns eigene erdichten
oder hören sie im Traum.

Ein Baum, der liegt, ist tot

Der alte Baum war lang schon morsch,
dann starb sein letzter Ast.
Doch Jahre noch er trotzig stand,
auch rindenlos ich schön ihn fand
und habe ihn, so oft ich kam,
gestreichelt und umarmt.

Beim letzten Mal, er lächelte,
ein kühler Wind frisch fächelte
und gab ihm einen Stoß.
Der alte Baum sich fallen ließ,
er fiel auf weiches, grünes Moos.

Auf diesem Bett liegt jetzt ein Freund -
ein Baum, er liegt, ist tot.

Bald Blüten auf dem Baum sich sonnen

Es hat sich schon herumgesprochen:
Der Lenz ist wieder da!
Man hat seit Tagen ihn gerochen,
die Zeichen bringen ihn uns nah.

Der Himmel scheint viel klarer, blauer,
die Vögel haben Landerecht.
Es mehren sich die Nestlebauer,
die schnellsten sind schon schwanger, echt.

Veränderung zeigt auch die Wiese,
sie kleidet sich in helles Grün.
Der Schneerest war einmal ein Riese,
um ihn herum fängt's an zu blühn.

Ein Schmetterling dreht seine Runde,
noch etwas eckig sie doch scheint.
Dem Südwind schlägt die erste Stunde,
in der er gern zu gut es meint.

Bald Blüten auf dem Baum sich sonnen,
sie mögen mildes Frühlingslicht.
Das Leben schwelgt in Liebeswonnen,
ein Kälterückschlag schreckt es nicht.

Die Birke steht an ihrer Stelle
und

© Willi Grigor, 2021

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Kommentare

05. Mär 2021

Frau Krause ist Typ "Mammut-Baum"!
(Bei mir reicht es zum Bonsai - kaum ...)

LG Axel

05. Mär 2021

Ich hatte einmal einen Traum,
er gibt noch immer keine Ruh.
Es ging um einen kleinen Baum,
er sah so aus wie ich und du.

LG
Willi

06. Mär 2021

Wunderbare Baumgedichte, Baumgeschichten. Eine umfassende Würdigung! Deiner Verehrung der Bäume schließe ich mich an, lieber Willi. Bin sehr berührt von dieser vielseitigen Liebeserklärung an diese unsere Geschwister, ohne die wir nicht leben können, die jetzt in so großer Zahl krank werden und sterben.

LG Marie

06. Mär 2021

Ich freue und bedanke mich über Deine "Würdigung", Marie.
Als ich die Idee bekam, meine Baum-/Waldgedichte zu bündeln, war ich überrascht, wie viele es in den letzten 5 Jahren geworden sind. Sie schlummerten verstreut in verschiedenen Computermappen.

Ich wünsche Dir ein gutes Schreibwochenende. (Dein Vermögen am laufenden Band hervorragende Texte zu schreiben, ist beeindrucken.)

Willi

06. Mär 2021

Du großer starker Baum

Lass mich niedersinken
lass mich ausruhen
lass mich anlehnen
lass mich zu Ruhe kommen
lass mich zu mir finden
in deinem Schatten
du großer starker Baum.
Uschi R.

Welch schöne Texte Du da verfasst hast, ganz wunderwunderbar!!!
Liebe Grüße in Deinen Abend - Uschi

07. Mär 2021

Alles was Du Dir von dem großen, starken Baum gewünscht hast, wird er Dir erfüllen. Du musst Dich nur nahe genug an ihn legen und lautlos mit ihm reden.
Hier die zweite Strophe eines kleinen Baumgedichts. (Die erste ist die Antwort von Axel Englerts Kommentar.)

Ich mag nicht diesen Traum,
mein Herz mir fast zerbricht.
Ein Baum will sein ein Baum,
kein Mensch, der schreit und spricht.

Danke auch für Deinen Kommentar, Uschi.
Freundliche Grüße
Willi

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