Albtraum

Bild von ulli nass
Bibliothek

der letzte Schritt war falsch
mir schwindelt und ich falle
durch das Nichts
in den Ozean des Widerspruchs

alles ist möglich
nichts eindeutig
rechts, links, oben, unten
hinten, vorne hart, weich
arm, reich, weit, eng
großzügig, streng

erforsche, suche
und erkenne endlich
meinen Willen
dort festgenagelt am Kreuz
über dem Altar
von dem Christus
gerade herunter stieg

er steht und hält seine Dornenkrone
in seinen blutenden Händen
er schaut mich hilfesuchend an
seine Tränen mischen sich
mit meinem Blut

ich wäre so gerne gut
aber es gelingt mir nicht

Verzweiflung erfüllt meine Existenz
denn mein Handeln erfolgt
ohne mein Zutun
und doch ganz unbestreitbar
tief aus mir selbst heraus
immer bin ich es

manchmal schwer erkennbar
auch meine Schmerzen sind da
halten unvermindert an . . .
meinen Blick zieht es erneut
hin zum leeren Kreuz
noch hält der Nagel –
den Willen ganz fest

ich habe keine Chance
alles scheint außer Balance
fühle mich atemlos –
Apnoe - Schweißausbruch
bleierne Schwere
nahezu bewegungslos

ich konzentriere mich
mit aller Macht auf mich
erkenne endlich,
dass ich träume

der Nagel löst sich
in Slow Motion

ich will
es funktioniert
ich erwache
endlich

älter schon und leicht überarbeitet

Mehr von ulli nass lesen

Interne Verweise

Kommentare

02. Okt 2018

Ein sehr bewegender Albtraum, Ulli. Und - es wundert mich sehr, dass Du als Atheist von Christus träumst. Das Neue Testament scheint zumindest Dein Unterbewusstsein zu beschäftigen. Gutes Gedicht, finde ich.

LG Annelie

02. Okt 2018

danke Annelie,
ja das ist es. Ein halbes Jahrhundert geprägt von Zweifel.
Atheismus darf keine schnelle Entscheidung sein, das finde ich verwerflich.
Aber hin und wieder schmerzt er.Phantomschmerz wohl.
LG
ulli

02. Okt 2018

Hallo Ulli, ich kann beim Lesen die Beklemmung nachspüren. Es ist eine gewisse Atemlosigkeit und geteilter Leidensdruck (du und Christus), den du dort vermittelst. Dein Gedicht hat tiefen Eindruck auf mich hinterlassen
lG
Anouk

02. Okt 2018

Ulli, du hast es.
Worauf es ankommt.
In dir selbst.
Sei darob und darin froh.

02. Okt 2018

Nun frag bitte nicht, was ich meine. Es würde heißen, du denkst, ich hätte dein Gedicht oder gar alle in ihrer deiner Art, ihrem Anliegen und Ehrlichkeit nicht begriffen.

Nicht nur ein lieber Gruß an dich.
Uwe

02. Okt 2018

Ich danke euch für die Aufmerksamkeit und die
Kommentare.
Gedichte sind für mich mich immer eine Art ' Wunder' :
eine überaus komplexe und nicht zu ergründende Synthese aus
Fantasie und Realitätssinn, Rationalität und Emotion, Erfahrung und Deutung,
Empathie und manischer Selbstsuche, Inspiration und Plan,
bewusst und unbewusst, passivem zulassen und gestalten, Talent und Begabung,
Lust und Last, usw. etc.
Ich verstehe es auch nicht wirklich.
LG
ulli
Klugheit,Spontaneität,Inspiration

03. Okt 2018

Ich bin spät dran, sehe Dein Traumgedicht eben erst und staune, lieber Ulli. Du als überzeugter Atheist widersprichst Dir selbst in dem furiosen Alb, den Du sehr bildhaft beschreibst. Der Rest wurde schon geschrieben ...

LG Marie

03. Okt 2018

Ja Marie so ist das mit den Überzeugungen und Gewißheiten.
Meist taugen sie nicht so viel, wie man meint.
Meine Klassen- und Deutschlehrerin, eine von der Literatur ' Besessene ' , an die ich
in der Kommunikation mit dir stets denken muss ? , sagte mal, Menschen, die sich ohne
jeglichen Zweifel festlegen können, mangelt es an Fantasie . . .
ich widerspreche mir nicht wirklich.
Ich schrieb es ja an Annelie, alles ist in mir, aber wie eine Art Phantom, das ist
mir neurophilosophisch plausibel.
Mein Lebensziel bleibt bestehen : im Sterben nicht zu einem Gott zu beten.
Ich bin gespannt, wie es endet. Du wirst es nie erfahren und ich werde es erst wissen,
wenn es dann so weit ist.
Die frühkindliche Infektion ist unheilbar, aber ich trainiere mein Immunsystem.
LG
ulli