Zwei Gedichte vom Schreiben
Vergessen
Ich habe nie geschrieben,
was "Poesie" man nennt,
hab fast mein ganzes Leben
als Ingenieur "verpennt".
Ich war darauf versessen
ein "guter Mann" zu sein
und dabei ganz vergessen,
dass neunzehnhundertsechzig
als Jungbursch ich einst schrieb
vier Lehrer-Schimpfgedichte.
Nicht eins in mir verblieb!
Doch hab ich sie gefunden
beim Umzug, letztes Mal.
Sie zeigten ein paar Wunden,
ihr Blick: ein Freudenstrahl.
Das Leben will vergessen,
was es nicht ständig braucht,
ist wie der Herd im Sommer,
der dann nicht feuert, raucht.
Sag, wer denn kann's ermessen
am End, ob dies und das
zu gut war, zu vergessen,
so schlecht, dass man's vergaß.
***
Gefunden - 50 Jahre später
Ich ging in fremder Stille
in einem fernen Land.
Ein unbekanntes Sehnen
nahm fest mich an die Hand.
"Und du beginnst zu schreiben!",
rief laut mir zu das Meer.
Ich lief im Takt der Wellen
den Worten hinterher.
Der Mensch geht durch das Leben,
er folgt dem Ruf der Pflicht.
Die Rufe seiner Seele
hört er im Trubel nicht.
Doch auch die straffsten Zügel
ein Mensch manchmal verliert,
und statt erstarrter Stummheit
ein Bächlein in sich spürt
mit fließenden Gedanken
hin zu der Worte Meer,
das ruft und öffnet Schranken.
Ich sag ihm: "Danke sehr!"
Ich habe sie gefunden,
die Worte, Poesie.
Sie haben mich entbunden
und meine Fantasie.
© Willi Grigor, 2018
Aus dem Leben
Die vier vergessenen Jugendgedichte sind folgender Erzählung angehängt:
literatpro.de/prosa/120117/de-die-vier-dora-die-bierzeitung-und-deren-auswirkungen
An den nicht endenden Stränden Australiens begannen die Rufe 2010.
literatpro.de/gedicht/210518/dank-an-das-meer
Ein nächtliches Erlebnis in Tasmanien 2013 betreffend "Dichten" erzähle ich hier:
literatpro.de/prosa/040416/au-2013-schluesselerlebnis-in-hobart