Und ich glaubte ihm - nachgetragene Liebe

Bild von Annelie Kelch
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Meines Vaters Stimme schmolz
das sibirische Eis der Nachkriegswinter;
sie war süßer als Doktor Smedjasows,
der die Gefangenen quälte.

Nie hörte ich meinen Vater Nazi-Lieder singen,
nie die 'Internationale', nie Partisanensongs -
letztere hätte ich ihm verziehen.

Meines Vaters Hände haben sich nie
zum Hitlergruß erhoben.
SS-Männer schlugen ihm
die Nase kaputt, als er
einer Jüdin beistehen wollte.

Wenn ich mit meinem Vater durch
die Straßen unserer kleinen Stadt ging,
grüßte er lächelnd die Gastarbeiter,
und sie freuten sich, ihn zu sehen
und nannten ihn beim Vornamen: Fritz.

Wenn ich meinen Vater fragte, ob er
im Krieg jemanden erschossen habe,
sagte er: Nein. - Und ich glaubte ihm.

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Kommentare

24. Nov 2016

Danke, liebe Noè. Er war im Grunde ein sehr guter Mensch, der wunderbar singen konnte - im Stil von Tauber, Schock u.a. Opern- und Operetten- bzw. Liedersänger. - Aber er konnte auch sehr, sehr ungerecht und aufbrausend sein - das beruhte dann allerdings auf einer kaum vorstellbar schlechten Kindheit - und dann kam auch bald schon der II. Weltkrieg und die relativ lange Gefangenschaft in Sibirien, die er nicht gesund überstanden hat.

LG Annelie