Ich hab zu allen Himmeln aufgeschaut

Bild von Anouk Ferez
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Ich hab zu allen Himmeln aufgeschaut,
hab jeden Stein am Wege aufgelesen.
Von allen Wassern trank ich, jeder Laut
jedweder Rausch, ob Heil, ob Weh
ist Rohstoff für mein Herz gewesen.

Ich lebte, liebte, stieg aus Tiefen auf zur Höh.
Nun bin ich ruhig. Nicht stumpf, nicht überdrüssig.
Viel eher satt und müd. Das Staunen schwindet,
gebiert Erkenntnis, hernach Glauben. Spröde, rissig
wird die Schale. Doch der Geist, der sich entbindet,
ist die Essenz, die –stets aufs Neu – sich selbst erfindet.

Ich hab zu allen Himmeln aufgeschaut,
vom iridsch‘ Brot gekostetet, Wein getrunken.
Nun bin ich ruhig. Und leis. Und himmelleicht.
Ich steige aufwärts, Richtung Licht – kein einzger Laut
der Klage streicht die Hand, die mich dorthin gewunken.

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Kommentare

26. Aug 2018

Welch schönes, interessantes Gedicht: Das Fazit eines Menschen, der zu sich selbst gefunden hat, nachdem er/sie durch Höhen und Tiefen gegangen ist - um letztendlich zur Höh aufzusteigen, die im Einklang des Herzens mit dem Leben gipfelt. Das könnte auch Hesse geschrieben haben. Danke, für dieses wirklich gute Gedicht, liebe Anouk.

Liebe Grüße,
Annelie

26. Aug 2018

Liebe Annelie, kürzlich ist eine alte Dame verstorben, die Mutter einer "Tante", zu der wir guten Kontakt in Kindertagen hatten. Sie hat auf eigenen Wunsch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gewünscht, keine Medikamente mehr und keine lebenserhaltenden Maßnahmen zu bekommen. Sie hat ihre 2 Urenkelchen kennengelernt, hat ihr Leben gelebt, sie schlief friedlich ein. Irgenwie hatte ich dieses Bild vor Augen. Ich habe noch uralte Bilder von ihr, als sie rüstig war und mitten im Leben. Ich denke, ihr Scheiden von der Welt war gut so wie es war und bewundernswert. Kein Festhalten um jeden Preis, sie ging, zufrieden und in Würde.
Das bewundere ich und daher diese Zeilen (GEdicht)
Danke für deinen positiven lobenden Kommentar, alles liebe ,
Anouk